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Wie Blau und Schwarz noch einmal der Blockade entrinnen könnten

Dass es sich bei schwierigen Verhandlungen spießen kann, ist an sich gewiss normal, weil es ja nur zeigt, dass ernst verhandelt wird. Was sich aber jetzt bei den blau-schwarzen Koalitionsgesprächen abspielt, ist ein ganz schlechtes Omen für das Glücken der Koalition. Jenseits der etwas infantilen Inszenierung der letzten Stunden (Verhandlungsabbruch Ja-Nein; Krisensitzung des Parteivorstandes; Jammern gehen ausgerechnet zum Bundespräsidenten, also dem letzten, der sich ein Zustandekommen dieser Koalition wünschen kann; plötzliches Spiel über die Öffentlichkeit, wie wenn man schon einen Wahlkampf vorbereitet; Weiterverhandeln) sind die Gründe der Sorge ernstere. Und sie sind zahlreich.

Dabei geht es insbesondere um folgende Punkte:

  1. Es sind zwar viele Details aus den Verhandlungen bekannt geworden, aber noch immer scheint es kein einziges des guten Dutzends wirklich dringender Großprojekte zu geben, auf die man sich geeinigt hätte. Gelingen da nicht wirklich mehrere davon, dann sollten sie alle beide beim nächsten Mal am besten gar nicht mehr für eine Wiederwahl antreten.
  2. Es ist nur noch lächerlich, wenn man als vertrauliche Antwort auf die Frage nach solchen Großprojekten lediglich hört, dass man sich eh schon auf das Senken der Steuern geeinigt hätte. Das ist aber geradezu kriminell, wenn man nicht davor – oder zumindest gleichzeitig – die tausend Mal wichtigeren großen Einsparungs- und Reform-Projekte vereinbart hat. Wenn man so vorgeht, begeht diese Koalition den gleichen Fehler, den die bisherige Opposition nicht zu Unrecht der schwarz-grünen Regierung vorgeworfen hat, nachdem diese die weitgehende Abschaffung der stillen Progression und die üppige Erhöhung von Beamtengehältern und Pensionen ohne irgendwelche Gegenfinanzierungen (also Einsparungen) beschlossen hatte.
  3. Herbert Kickl hat genau das getan, weswegen er zu Recht ein paar Tage davor selbst die ÖVP gerügt hat: nämlich konkrete Verhandlungsinhalte und Forderungen plötzlich selbst an die Öffentlichkeit zu tragen, womit er jeden Kompromiss erschwert.
  4. Kickl hat damit exakt das getan, was schon bei den davor gelaufenen Dreiergesprächen für den ersten großen Krach gesorgt hat, als Beate Meinl-Reisinger öffentlich das Finanzministerium gefordert hat. Jetzt hat der FPÖ-Obmann genau das Gleiche gemacht – und darüber hinaus neben dem Finanz- auch noch das Innen-, das Medien und das Europaministerium gefordert. Warum um Himmel tut er das plötzlich in der Öffentlichkeit?
  5. Damit ist endgültig bewiesen, dass Kickl und Christian Stocker jetzt wirklich wochenlang über eine Koalition verhandelt haben, ohne die Ressortfrage, das in der Politik immer Schwierigste, vorab zumindest in groben Zügen geklärt zu haben. Damit haben sie sich endgültig als Amateure erwiesen.
  6. Wenn der demonstrative, nur angeblich routinemäßige Gang zum Bundespräsidenten dazu gedient haben soll, um die kursierenden Behauptungen abzuklären, dass Van der Bellen sein Veto gegen einen blauen Innenminister einlegen will, dann ist das zwar von seiner Seite legitim – ein solches Veto würde die Regierungsbildung aber noch mehr erschweren, weil es dann für Kickl zu Recht völlig inakzeptabel wäre, auf das Innenministerium zu verzichten.
  7. Der schlechte Verlauf der Regierungsverhandlungen ist daran zu erkennen, dass zumindest bisher von FPÖ-Seite nie die bei erfolgreichen Regierungsbildungen immer übliche Formel "Auf Augenhöhe" gefallen ist. Aus dem Fehlen dieser Formel muss man bei der ÖVP klar die alternative Forderung heraushören: "Auf die Knie mit euch!"
  8. Das Schlimmste ist, dass es – vor allem Kickl als Chef der größeren Partei – in keiner Weise geglückt ist, dass er es nach allen Eindrücken auch gar nicht versucht hat, das wichtigste Fundament für eine gelingende Koalition aufzubauen: nämlich Vertrauen.
  9. Es ist aber auch nicht geglückt, eine Formel zum Abbau des Misstrauens bei dessen zweitwichtigster Quelle zu finden, nämlich bei der Möglichkeit jedes Regierungsmitglieds, einschließlich des Bundeskanzlers, in EU-Räten abzustimmen, wie sie wollen. Das ist aus gleich drei Gründen ein Problem:
    1. Die ÖVP hat diesbezüglich mit der Frau Gewessler schon ihre üblen und letztlich Schwarz-Grün beendenden Erfahrungen gemacht;
    2. Diese von den EU-Verträgen eingeräumte Kompetenz der Regierungsmitglieder abzustimmen, wie sie wollen, steht auch in totalem Gegensatz zur Grundstruktur der österreichischen Bundesverfassung, die für die Regierung bei allen Beschlüssen immer ein totales Einstimmigkeitsprinzip vorsieht, derzufolge der Regierungschef im Gegensatz zu anderen EU-Ländern kein weisungsartiges Recht hat;
    3. Das ist aber auch deshalb ein Problem, weil in Sachen EU die beiden Parteien inhaltlich weiter auseinander sind als in praktisch allen anderen Politikbereichen. Denn auch wenn in der FPÖ derzeit niemand direkt den EU-Austritt fordert, so hat es das doch in der Vergangenheit gegeben, so ist sie doch in jeder Frage auffallend russlandfreundlich, so ist sie doch ein Gegner aller Ukraine-Hilfen, so ist sie doch ein Gegner der gemeinsamen Sicherheitspolitik, und so ist sie doch zumindest ein sehr unsicherer Kantonist, wenn es jetzt um eine geschlossene Antwort auf die Trump-Drohungen geht – um nur die wichtigsten außenpolitischen Punkte zu nennen.
  10. Umgekehrt erkennt die ÖVP nicht wirklich an, dass die Kritik der FPÖ an der EU in vielen Punkten – vom Green Deal über die Lieferkettengesetze bis zu etlichen woken Gesellschaftspolitik-Ansätzen – berechtigt ist. Dass sie eigentlich ganz mit ihren eigenen Intentionen zusammenpassen müsste und diese im Vergleich zur Koalition mit den Grünen sogar deutlich verstärken würde. Kritik an der EU darf kein Staatsverbrechen sein.
  11. Wenn Kickl nicht sehr bald in professioneller Weise die Herstellung von Vertrauen gelingt, wenn wirklich seine Haltung weiterhin ganz vom Rachedurst für seinen ungerechtfertigten Abschuss im Jahr 2019 geprägt ist, wenn er wirklich glaubt, die ÖVP in die Koalition hinein prügeln zu können, dann ist die Regierung endgültig tot, egal, ob sie formell fürs Erste noch zustande kommt oder nicht.
  12. In der ÖVP ist deshalb jetzt trotz aller von Karl Nehammer nach unten gejagten und von Christian Stocker bisher nie nach oben gebrachten Umfragewerte die Stimmung erstmals im Kippen. Motto zumindest mancher: "Dann gehen wir wenigstens mit erhobenem Haupt in Neuwahlen und können uns wenigstens weiterhin in den Spiegel schauen." Etliche können bei diesem Blick in den Spiegel anstelle des eigenen Gesichts angeblich schon das eines Manns namens Sebastian K. erkennen ...

Vorerst aber sollte man sich noch ganz auf die Frage konzentrieren: Wie kommen die beiden Parteien in den zwei wichtigsten Fragen konstruktiv noch aus der vielleicht letalen Blockade heraus? Da können jetzt keine Argumente mehr helfen, sondern nur noch klare – und erprobte – institutionelle Regeln. Die müssten etwa so ausschauen:

  1. Beim Streit um die Ministerverteilung kann nach den jetzigen, sich gegenseitig ausschließenden Festlegungen wohl nur noch das altbekannte Reißverschlussprinzip den nötigen Kompromiss schaffen. Das heißt: Man lässt die Ministerien vorerst so, wie sie heute sind. Dann besetzt die FPÖ als erste eine Position – vermutlich jene, die "Bundeskanzler" heißt –, dann die ÖVP die zweite und immer abwechselnd. Durchaus sinnvoll wäre es dabei, dass ein Ministerium eingespart wird, dass der Vizekanzler ein echtes Ressort übernimmt und dass die Agenden des Ministeriums für "Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport" gleichmäßig auf andere Ministerien aufgeteilt werden (so war beispielsweise die Kunst jahrzehntelang ein Teil des Unterrichtsministerium und ist heute ein Bereich, in den sich die Politik ohnedies inhaltlich nicht einmischen sollte). Bei einem solchen Vorgehen hätte die FPÖ am Ende ein Ministerium mehr, was in etwa dem Wahlergebnis entspricht. Will man darüber hinaus Kompetenzbereiche umgliedern, kann das nur nach dem Motto "Do, ut des" funktionieren, also nach dem Prinzip des klassischen Tauschhandels: eine Sektion herüber, eine hinüber.
  2. Bei der Abstimmung in allen EU-Räten darf ein österreichischer Minister oder Bundeskanzler (oder ein beamteter Ersatzmann) nur dann mit Ja oder Nein stimmen, wenn er regierungsintern den nötigen Konsens hat. Dazu braucht es nicht unbedingt eine eigene Ministerratssitzung, dazu braucht es nur jeweils eine befugte Telefon/SMS/WhatsApp/Mail-Adresse. Als solche Adressaten könnten die jeweiligen Spiegelminister dienen, wobei man jeweils die anderen Minister mit CC in Kenntnis setzt. Diese Spiegelminister müssten halt während einer Ratssitzung jederzeit erreichbar sein, um immer sofort Ja oder Nein sagen zu können. Und wenn der in Brüssel (oder sonstwo) sitzende Minister kein grünes Licht bekommt, dann muss er sich halt enthalten.

Das ist alles machbar. Das ist keine Zauberei. So löst man Konflikte. Man muss nur wollen.

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