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Israel und die Hamas haben jetzt – nicht zuletzt mit Hilfe zahlreicher Vermittler wie Katar, dem alten und dem neuen US-Präsidenten – einen Vertrag fixiert, der diesmal halten dürfte, und der den paar Dutzend noch lebenden Geiseln die Freiheit bringen dürfte. Darüber herrscht auf vielen Seiten Freude. Aber die Freude ist absolut unberechtigt (mit nachträglicher Ergänzung).
Das ist sie nicht nur, weil man an das eineinhalbjährige Leid der anfangs 253 Geiseln, der überlebenden, wie auch der zu Tode gefolterten und vergewaltigten, wie auch ihrer Familien denken muss. Das ist sie nicht nur, wenn man an das Leid der Gaza-Bevölkerung, ihre fast völlig zerstörten Heimat, an die über 40.000 toten Araber, aber auch an die rund 1500 in diesem Krieg umgekommenen Israelis denkt. Die Freude ist aber noch viel weniger berechtigt, wenn man an die Zukunft denkt, wenn man erkennt, wie trügerisch die Hoffnung auf Frieden ist.
Denn noch nie hat eine terroristische Geiselnahme auch einen so großen Erfolg erzielt. Noch nie sind durch einen erpresserischen Terrorakt so viele Verbrecher freigepresst worden.
Die in Israel inhaftierten Palästinenser, von denen so viele schon freigekommen sind und noch mehr jetzt freikommen werden, waren ja – im Unterschied zu den völlig willkürlich genommenen Geiseln – alle in ordentlichen Verfahren durch Richter wegen konkreter Verbrechen verurteilt worden. Die genaue Zahl der insgesamt freigepressten Strafgefangenen ist zwar noch unbekannt, aber jedenfalls ist ihre Zahl ein Vielfaches der Geiseln, die schon freigelassen worden sind oder die jetzt noch freigelassen werden. Nach manchen Schätzungen sind es sogar über tausend Araber, die im Austausch freigehen.
Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die jetzt alle in der Haft zu friedfertigen Zeitgenossen geworden sind. Sind sie doch schon einmal aus Hass auf Israel und den Willen, alle Juden zu vertreiben, zu Gewalttätern geworden.
Noch viel schlimmer aber ist: Letztlich werden die radikalen Araber, die Hamas und alle ihre Verbündeten das Abkommen als einen großen Sieg feiern. War doch die Freipressung möglichst vieler palästinensischer Gefangener von Anfang an das Hauptziel der gesamten Geiselnahme. Für die Terroristen sind die Zehntausenden arabischen Toten und Hunderttausenden sonst schwer geschädigten Landsleute lediglich Kollateralschäden in ihrem Kampf gegen Israel. Das gilt für sie umso mehr, als sie von einer Kampfesreligion getrieben werden, die jedem im "Heiligen Krieg" Umgekommenen glorreiche Kompensation im Jenseits verspricht.
Das Allerschlimmste aber ist, dass nun mit vielen Nachfolgeverbrechen zu rechnen ist. Rund um die Welt haben viele vor allem islamistische Aktivisten gelernt: Verbrechen lohnt sich. Terror lohnt sich. Der jetzige Erfolg ist eine Riesenermutigung für sie.
Es wäre mehr als überraschend, wenn es nicht in den nächsten Monaten und Jahren zu einer Fülle von Nachfolgeaktionen kommen sollte, von Aktionen, die durch die Gaza-Geiselnahme angestiftet worden sind. Auch in österreichischen Gefängnissen sitzt eine erkleckliche Zahl islamistischer Verbrecher, die draußen Sympathisanten haben.
Gewiss, der menschliche Druck des Leidens der Geiseln – von deren grässlichem Los bisher nur Bruchstücke bekannt geworden sind – auf die israelische Regierung war unermesslich. Dazu kamen die täglichen herzzerreißenden Solidaritätsaktionen der Angehörigen der Geiseln auf Israels Straßen.
Daher kann sich wirklich jeder von uns nur wünschen, niemals in so terminale Entscheidungssituationen gestoßen zu werden, wie sie Premier Netanyahu und seine Kollegen durchmachen mussten. Auf der einen Seite steht da der große Drang, das aktuelle Leid zu beenden und die Möglichkeit, wenigstens noch ein paar der eigenen Staatsbürger zu retten. Auf der anderen Seite steht die extrem hohe Gewissheit, Terroristen zu ähnlich schlimmen Aktionen in der Zukunft ermutigt zu haben. Zu Aktionen im Nahen Osten und in der ganzen Welt.
Nur ganz wenige Führer der demokratischen Welt hatten in ähnlichen Situationen die verzweifelte Stärke, Erpressern und Geiselnehmern nicht nachzugeben. Einer davon war Helmut Schmidt, der große deutsche Kanzler von 1972 bis 1984. Er konnte durch Nichtnachgeben die blutige Welle des deutschen Linksterrorismus (der eng mit dem palästinensischen Terror wie auch mit der DDR kooperierte) in die Knie zwingen.
Dieses tragische Dilemma des heutigen Israel wird auch durch alle militärischen und diplomatischen Erfolge des Judenstaates nicht aus der Welt geschafft. Dabei sind die gewaltig, sie sind vielleicht die größten in der Geschichte Israels:
Eine Bedrohung bleibt jedoch, und nicht nur für Israel: Das ist eben die durch den Terrorismus, den man jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar zu neuen Taten, vor allem zu Erpressungen ermutigt hat.
PS: Auch in der Ukraine blickt man mit Freude auf die militärischen Erfolge Israels – und denkt aber mit Bitterkeit daran, wie erfolgreich man selber sein könnte, hätten die USA das Schwarzmeer-Land so konsequent unterstützt wie Israel.
(Nachträgliche Ergänzung: Genau das in diesem Text beschriebene Dilemma hat in Israel zu einer neuerlichen wahrscheinlich eher nur kurzfristigen Verschiebung des schon verkündeten Geisel-Abkommens geführt)