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Wie es in Österreich weitergehen wird

Wie geht es mit den Koalitionsverhandlungen weiter – von denen man seit Wochen nicht den geringsten Fortschritt hört? Das ist die zentrale innenpolitische Frage, die viele Österreicher bewegt. Danach überhaupt zu fragen, ist freilich ganz schön mutig. Haben die Bürger doch im September im wörtlichen Sinne ihre Stimme abgegeben und auf absehbare Zeit keine Chance, sie wieder zurückzubekommen. Aber inzwischen kann man auch ohne Mitsprachemöglichkeit ganz gut abschätzen, wie es weitergehen dürfte, wobei es zunehmend drei klare – einander freilich widersprechende – Wahrscheinlichkeiten gibt: eine kurzfristige, eine mittelfristige und eine langfristige.

Kurzfristig wird es wohl trotz allem Stillstand zu der jetzt angestrebten Dreierkoalition kommen. Mittel- oder gar langfristig hat diese hingegen fast keine Chance; lange vor dem nächsten Wahltag dürfte es bei  der ÖVP, aber wahrscheinlich auch der SPÖ zu parteiinternen Revolten kommen. Dabei sägt bei der ÖVP gar nicht wie einst ein Sebastian Kurz oder ein Erhard Busek oder ein Reinhold Mitterlehner am Sessel seines Vorgängers, sondern dort wird einfach die pure Verzweiflung und der parteiinterne Konsens schlagend werden: So könne es nicht mehr weitergehen, wenn wir als Partei überleben wollen.

Kurzfristig haben die Koalitionsverhandlungen hingegen eine ganz gute Chance, zu einem Abschluss zu kommen – obwohl es täglich deutlicher wird, wie es dabei knirscht und grummelt. Aber letztlich spricht vieles dafür, dass die drei Parteivorsitzenden am Ende doch zu einem Irgendwie-Abschluss kommen werden. Das droht aber ein Papier zu sein, in dem fast alle heiklen Fragen, vor allem jene zur Defizit- und Migrationsbekämpfung durch Formel-Kompromisse und unpräzise Vorhabens-Beteuerungen auf die Zeit nach Bildung der Regierung aufgeschoben werden.

Das wird wohl der einzig mögliche Weg sein, um mit der SPÖ zusammenzukommen. Zu unrealistisch ist noch immer die Schlaraffenland-Traumwelt eines Andreas Babler, in der man nur ein Bedürfnis definieren muss und schon kann es eine wohlwollende Politik auch decken.

Die Parteichefs haben sich jedoch selbst so sehr an dieses Modell einer Dreierkoalition als alternativlos gebunden, dass vor allem Karl Nehammer, aber auch Babler genau wissen: Wenn sie mit diesen Koalitionsverhandlungen scheitern, müssen sie zurücktreten.

Nehammer war es ja selbst, der die einzige denkbare Alternative für die ÖVP, die Möglichkeit einer Koalition mit den Freiheitlichen, schon im Wahlkampf ohne jede Not durch sein persönliches Veto gegen den FPÖ-Chef als Person blockiert – und damit erst den Freiheitlichen zum Wahlerfolg sowie zum weiteren atemberaubenden Zuwachs bei den seit der Wahl gemachten Umfragen verholfen hat. Nehammer hat damit freiwillig jene Kooperation abgeschnitten, die jetzt schon in fünf von neun Bundesländern die Landesregierung bildet, und die das demnächst in acht von neun Bundesländern tun könnte, also in allen bis auf Wien, das rot bleiben dürfte. Er treibt mit seinem Kurs die ÖVP nachhaltig unter die 20-Prozent-Linie.

In die gleiche Richtung ist ihm Babler sogar einen Schritt bergab voraus. Auch dieser ist seinen Job los, wenn er nicht Vizekanzler wird. Er hat noch dazu jetzt schon mit einer parteiinternen Rebellion zu tun, die zwar wohl nicht den schillernden Herrn Fußi wirklich an die Parteispitze bringen dürfte, die aber massives Zeichen parteiinterner Unruhe ist.

Nur Beate Meinl-Reisinger muss nicht um ihren Job bangen. Aber sie ist ja sowieso nicht überlebenswichtig für das Koalitionsprojekt. Allerdings gibt es auch in ihrem Lager einzelne Stimmen, die zu erkennen beginnen, wie sehr es der liberalen Sache inhaltlich eigentlich dienen würde, würden die Neos in eine andere Dreierkoalition gehen, nämlich in eine mit FPÖ und ÖVP:

  • Sind doch diese drei Parteien in ihrem Wirtschafts- und Budgetprogramm weit näher beieinander als die drei derzeit verhandelnden Parteien.
  • Wäre doch eine solche Koalition das einzige denkbare Dreierbündnis, das wirtschaftlich sinnvolle Reformen durch eine Zweidrittelmehrheit gegen die linken Verfassungsrichter abmauern könnte.
  • Ist doch das (lobenswerte, richtige und notwendige) Bekenntnis der Neos zu substanziellen Pensionsreformen nur zusammen mit FPÖ und ÖVP umsetzbar.

Aber gewiss, das Hoffen auf ein Umdenken der Neos wird unerfüllter Wunschtraum bleiben. Dazu sind die Neos zu sehr von der linken Verschwörungstheorie gehirngewaschen, durch die FPÖ wäre die Demokratie bedroht, durch die FPÖ würde irgendein Rechtsextremismus drohen.

Aus diesen Gründen scheint es also recht wahrscheinlich zu sein, dass die jetzigen Koalitionsgespräche am Ende doch irgendwie zu einem Abschluss kommen werden, aber eben nur zu einem Irgendwie-Abschluss. Viel mehr ins Zittern werden die Parteichefs danach parteiintern kommen. Zwar könnten sie es mit Würgen und Krachen schaffen, den Koalitionspakt mit vielen in die Zukunft verschobenen Entscheidungen durch die eigenen Parteigremien zu bringen.

Aber spätestens am Tag nach der Angelobung, wenn die Mühen der Ebene im Regierungsalltag beginnen, wird der parteiinterne Frust zunehmen. Denn es ist geradezu denkunmöglich, dass während einer Koalition mit der SPÖ die notwendigen Einsparungen tatsächlich in Gesetze gegossen werden können, deren Formulierung man in diffuser Weise auf die Zeit nach der Regierungsbildung verschoben hatte.

Wer das bezweifelt, der gehe etwa die beinharten Notwendigkeiten durch, wie die "Agenda Austria" sie aufgelistet hat, um in den kommenden Jahren die dringend notwendige Budgetstabilisierung zu erreichen. Diese Liste reicht, um nur die auffallendsten Highlights zu nennen

  • von einer Erhöhung des Pensionsantrittsalters auf 67
  • und Pensionsreduktionen
  • über die Einsparung etlicher grüner Förderungen wie etwa das Klimaticket,
  • über eine Reduktion des Pendlerpauschales
  • und des Dieselprivilegs,
  • über zwei Nulllohnrunden im öffentlichen Dienst,
  • über eine Reduktion des Finanzausgleichs an die Länder
  • und über nicht näher spezifizierte "Ressorteinsparungen" in Milliardenhöhe
  • bis zu Einsparungen im Gesundheitsbereich in Milliardenhöhen.

Das meiste davon klingt in österreichischen Ohren wie eine Ansammlung von politischen Todsünden, Unmöglichkeiten und Kapitalverbrechen – selbst wenn man ignoriert, dass bei fast all diesen Ausgabeposten sehr öffentlichkeitsaktive Lobbies schon aktiv sind, sogar ganz in die Gegenrichtung die Notwendigkeit weit höherer Ausgaben zu betrommeln. Und die Beamten haben überhaupt gerade erst ihre nächsten Gehaltserhöhungen von der alten Regierung zugestanden bekommen.

Geht man diese Liste durch, dann bekommt man eine erste Ahnung, welche gewaltigen Verteilungskonflikte uns in den nächsten Jahren bevorstehen. Ganz zu schweigen davon, dass wir – nicht zuletzt als Kollateralschaden der deutschen Ampelpolitik – in die längste Rezession der Nachkriegsphase geschlittert sind, dass sich also die Wahlkampf-Hoffnungen Nehammers krachend zerschlagen haben, sich durch Wachstum aus dem Defizit herausentwickeln zu können.

Es ist geradezu undenkbar, dass mit der SPÖ diese Liste der Schmerzen auch nur zu Teilen realisiert werden kann. Das Selbstverständnis der SPÖ ist ja ganz im Gegenteil nur auf neue Ausgabenwünsche hin ausgerichtet. Daher wird diese Koalition sehr bald scheitern müssen, selbst wenn sie zustande kommt, weil man alle unangenehmen Entscheidungen auf später verschoben hat.

Freilich: Es ist auch alles andere als klar, ob es alternativ in einer Koalition mit den Freiheitlichen gelingen kann, einen größeren Teil der ToDo-Liste abzubauen. Das herauszufinden hat Nehammer durch das Nichteingehen von Verhandlungen mit der FPÖ grob schuldhaft versäumt. Und da die ÖVP erst dann mit den Freiheitlichen zu sprechen beginnen wird, wenn mit der Dreierkoalition die einzige Alternative gescheitert ist, wird die ÖVP bei den Verhandlungen hoffnungslos geschwächt und die FPÖ noch weniger flexibel sein.

Sicher ist aber eines: Jedes Jahr, das nach Ende der Pandemie verschlafen worden ist, um kräftig zu sparen, jedes "Koste es, was es wolle" während der Pandemie, jede über die Inflation hinausgehende Pensionserhöhung in den letzten 15 Jahren, jede einzelne Erweiterung des Wohlfahrtsstaates macht jetzt die Aufgabe einer Sanierung umso größer und schmerzhafter.

Der nüchterne Blick macht fast sicher, dass die Sanierung Österreichs derzeit nicht gelingen kann. Diese wird wohl erst dann stattfinden, wenn die Republik so wie einst Griechenland mit Vollgas gegen die Wand gedonnert ist. Wenn niemand mehr Österreich einen Kredit geben wird. Wenn die Schmerzen so groß sind, dass die Österreicher und ihre Parteien die Schmerzen einer Sanierung als relativ geringer denn die Folgen der Zahlungsunfähigkeit des Landes zu ertragen imstande sind.

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