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Das Drama des Joe Biden und seines Umgangs mit dem kriminell gewordenen Sohn ist der Stoff, aus dem griechische Tragödien sind: Es ist die Kollision zwischen zwei in einer konkreten Situation unvereinbar gewordenen humanen Prinzipien und Pflichten, die aber beide eigentlich Absolutheitsanspruch haben. Der gefallene Sohn ist auch eine paradigmatische Figur der christlichen Bibel. Da steht auf der einen Seite die Vaterliebe als gleichsam höchste Form der Nächstenliebe. Da stehen auf der anderen Seite das Gesetz, die irdische Form der Gerechtigkeit, und die Glaubwürdigkeit eines obersten staatlichen Machtträgers.
Auch die Götter der Antike konnten bei solchen Wertekonflikten keinen einfachen Ausweg bieten, weshalb es in der griechischen Tragödie regelmäßig zu einem tödlichen Ende des Zusammenstoßes der Prinzipien kommt. Der Vater des Neuen Testaments hingegen entscheidet sich zur Gänze für die Vaterliebe, für die Verzeihung, für das Vergessen des Geschehenen.
Freilich: Der Fall des Präsidentensohnes Hunter Biden unterscheidet sich in einem Punkt vom gefallenen Sohn der Bibel: Dieser hat "nur" gegen den Vater verstoßen, Hunter Biden hingegen gegen das Gesetz. Und das ausgerechnet in einem Land, wo der Satz "It’s the law!" mehr Wert hat als im Rest der Welt.
Freilich: In europäischen Augen erscheint das, was Hunter angestellt hat, fast als lässliche Sünde. Er hat Steuern hinterzogen. Und er hat beim Erwerb einer Schusswaffe einen Fragebogen ausgefüllt und dabei gelogen. Er hat nämlich angegeben, frei von Drogensucht zu sein. Später hat er angegeben, dass er zu diesem Zeitpunkt nach einer Entziehungskur "sauber" gewesen sei. Dem aber haben mehrere Zeugenaussagen, vor allem früherer Partnerinnen, widersprochen.
Solche falsche Angaben auf einem Fragebogen sind freilich ein Delikt, das Hunderttausende Amerikaner begangen haben – aber weniger als 300 pro Jahr werden erwischt und strafrechtlich verfolgt. Jedenfalls könnte Hunter Biden deswegen zu einer Strafe von bis zu 25 Jahren verurteilt werden, auch wenn das Verfahren gegen ihn wahrscheinlich nur deshalb überhaupt in Gang gekommen ist, weil er als Präsidentensohn bekannt ist.
Dennoch hat Joe Biden in der Vergangenheit betont, dass er seinen Sohn nicht begnadigen werde. Jetzt aber, wenige Wochen vor Ende seiner Amtszeit, hat er genau das getan – mit der Begründung, er sei zwar Präsident, aber auch ein Vater.
Damit hat Joe Biden die Familie als einen seiner allerhöchsten persönlichen Werte bewiesen – selbst um den Preis, dass sowohl die Geschichtsbücher als auch die Republikaner dies für ewig ins Zentrum der Bewertung seiner Präsidentschaft rücken werden. Vor allem für Donald Trump ist das zweifellos ein persönlicher Triumph. Kann ihm doch künftig niemand mehr sonderlich glaubwürdige moralische Vorhaltungen machen, wenn er nach seinem eigenen Amtsantritt im Jänner alle gegen ihn laufenden Verfahren niederschlagen wird. Überdies kann man ja auch bei ihm die kriminelle Energie und Bösartigkeit der ihm vorgehaltenen Daten ebenso relativieren wie bei Hunter Biden.
Joe Biden hat für die Liebe und Solidarität zu seinem Sohn (der ihm nach dem Krebs-Tod eines anderen Sohnes sowie dem Unfalltod seiner ersten Frau und einer Tochter besonders wichtig geworden ist) den denkbar höchsten Preis eines Spitzenpolitikers bezahlt: den seiner persönlichen Glaubwürdigkeit.
Nun ist es gewiss Bestandteil fast aller Rechtsordnungen und des historischen Absolutismus erst recht, dass der König, der Präsident ein solches Begnadigungsrecht hat, und dass die Staatsoberhäupter selbst erst recht nicht verfolgt werden können. Sie wurden vielfach als"legibus solutus", als über dem Gesetz stehend angesehen. Dieses Prinzip steht im Widerspruch zur Gerechtigkeit, die als wichtigstes Element die Pflicht hat, Gleiches gleich zu behandeln. Dieses Recht wurde quer durch die Geschichte auch immer wieder durchaus selektiv zugunsten von Freunden und Familien angewendet.
Auch der österreichische Bundespräsident hat im Prinzip noch das Begnadigungsrecht. Aber nur im Prinzip. Er kann es nur auf Vorschlag des Justizministers (eigentlich der Bundesregierung) anwenden. Das geschieht zum Beispiel bei den regelmäßigen Weihnachtsamnestien. Dabei bemüht man sich aber immer, recht objektive Maßstäbe festzulegen: etwa, welche Verurteilungen ausgenommen sein müssen; etwa, wie viel der Strafe schon abgebüßt sein muss. Dadurch ist es in Österreich unmöglich, dass der Bundespräsident alleine und willkürlich irgendwelche persönlichen Freunde oder Angehörige begnadigt.
Auf der anderen Seite hat in Österreich aber der Justizminister relativ viel Macht: Er kann insbesondere den Staatsanwälten die Weisung geben, die Strafverfolgung gegen bestimmte Personen aufzunehmen oder einzustellen. Das wurde einst auch grob missbraucht, als jahrelang die Verfolgung des Fünffachmordes durch einen Propagandisten und engen Freund der SPÖ-Spitze (Stichwort: Versenkung der Lucona) vom Justizministerium behindert worden ist.
Freilich ist auch ein solches Vorgehen mittlerweile massiv erschwert worden: einerseits durch die Schaffung eines Weisungsrates zur – allerdings nicht öffentlichen und nicht bindenden – Beratung des Justizministers bei solchen Entscheidungen; andererseits durch die Pflicht, eine Weisung des Ministers an die Staatsanwaltschaft zur Einstellung eines Verfahrens zu veröffentlichen (nicht jedoch solche Weisungen, bei denen es im Gegenteil um Aufnahme oder Weiterführung eines Verfahrens geht).
Freilich ist durch die Teilentmachtung von Bundespräsident und Justizminister die Möglichkeit des Missbrauchs des Strafverfolgungsrechts durch die Staatsanwälte selber umso größer geworden. Das hat die Nation anhand der dutzendfachen Skandale und Umtriebe der Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA mitverfolgen müssen. Diese hat willkürlich – oder genauer gesagt: aus ideologischen Gründen – mutmaßliche Straftaten, wie die zahlreichen Bestechungsinserate aus dem Imperium der Gemeinde Wien, unverfolgt gelassen, ebenso wie sie willkürlich bis sadistisch durch jahrelange unbegründete und nie zu einer Verurteilung führende Verfolgung Dutzende Existenzen vernichtet hat.
Verglichen mit dieser Realität ist der Satz Joe Bidens tausende Male sympathischer, humaner, aber auch besser in einen Rechtsstaat integrierbar: "But I am also a Dad."
Zweifellos wird Bidens moralische Entscheidung aber auch für viele Millionen andere Menschen als Begründung oder Vorbild dienen, wenn sie die Familie als wichtiger als das objektive Gesetz ansehen und dementsprechend handeln. Aber letztlich war die Familie als wichtigste Zelle jeder Gesellschaft lange vor dem Staat und vor dem Gesetz da. Und sie wird auch dann noch da sein, wenn Staat und Gesetz kollabiert sind.
Genau das ist aber auch der Grund, warum Sozialisten spätestens seit Karl Marx die Familie so hassen und bekämpfen. Etwa in dem sie dem von ihnen als Machtinstrument so geliebten Staat von der Familie unabhängige "Kinderrechte" zuschieben wollen.