Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Jeder Österreicher, der die deutsche Politik ein wenig verfolgt, musste jetzt zweimal auf den Kalender schauen, um sich zu vergewissern, dass er in der österreichischen Vorweihnachtszeit des Jahres 2024 lebt und nicht in der deutschen des Jahres 2021. Damals hat nämlich in Berlin eine ebensowenig zusammenpassende Dreier-Koalition wie jetzt in Wien unter Absonderung ganz ähnlich optimistischer Töne zusammengefunden – oder ist, besser formuliert, zusammengestolpert. Man könnte aber auch an das Jahr 2019 denken, als in Wien eine ideologisch genauso unterschiedliche Zweiparteien-Koalition geschmiedet worden ist. Diese hat damals wenigstens gleich am Anfang zugegeben, dass man aus zwei ganz unterschiedlichen Welten stammt – in denen man freilich dann auch fünf Jahre lang geblieben ist. Tatsache ist, dass wir heute wissen, dass die Koalitionsbildungen 2019 da wie 2021 dort in ganz ähnlicher Weise so ziemlich zu den schlechtesten und zerstrittensten Regierungen der letzten Jahrzehnte geführt haben. Man kann daher sicher sein: Die Ende 2024 in Wien wie auch in Berlin angestrebten Koalitionen Schwarz-Rot-Pink (Letzteres ist in Deutschland Gelb) werden genauso scheitern wie die erwähnten Vorgänger.
Wenn es nicht passt, dann passt es eben nicht. Dann helfen auch noch so viel Phrasen nicht.
Das wird bei dem, was sich da in Österreich abspielt, von Tag zu Tag klarer denn je. Denn fast acht Wochen lang hat man als einzig bekanntes Ergebnis darüber "sondiert", dass man jetzt "verhandeln" wird. Das kann man keinem Österreicher als zielstrebig oder gar als Erfolg verkaufen. Das stellt die viel kritisierte Zeitvergeudung durch den Bundespräsidenten in (von den Kriegen über die Wirtschaftsrezession und die Staatsverschuldung bis zu den Interregna in Berlin, Paris, Washington und Brüssel) extrem schwierigen Zeiten sogar noch in den Schatten.
Aber nicht ein einziger inhaltlicher Eckstein steht fest. Das ist die ziemlich klare Bilanz der ersten gemeinsamen Pressekonferenz der Herren Nehammer und Babler sowie von Frau Meinl-Reisinger. Niemand hat da den Eindruck vermittelt bekommen, dass die drei sich schon über irgendetwas Konkretes wirklich einig geworden wären, es aber halt nur noch nicht sagen wollen, bevor alles feststeht.
Daher dürfte ausnahmsweise auch der ORF mit seiner Überschrift Recht haben: "Inhalte ab Donnerstag". Den Gebührenkassierern vom Küniglberg fällt nur nicht auf, was für eine Ungeheuerlichkeit das eigentlich ist. Als ob nicht diese Inhalte das einzige Wichtige und Relevante sein sollten, was die Österreicher von einer Regierung wissen wollen – also etwas mehr als den optischen Eindruck, dass Herr Babler sich jetzt ein Krawatte umzubinden willens ist, weil er Vizekanzler werden will, und die Information, dass sich die drei öffentlich duzen.
Die drei Parteichefs haben uns lediglich mit Phrasen zugemüllt, die in ihrer Hohlheit geradezu Übelkeit erregen: "Allianz der konstruktiven Kräfte"; "Kein Weiter wie bisher"; "Regieren ist niemals Selbstzweck"; "Veränderung, Reform, Aufbruch"; "Neuer Stil"; "Einer der ersten Schritte"; "Bündnis der Vernunft und politischen Mitte"; "Wir müssen nicht zusammenarbeiten, aber wir möchten zusammenarbeiten"; "Es gibt keine roten Linien, sondern Ziele"; …
Nur welche Ziele das sind, verrät man dem staunenden Wahlvolk weiterhin nicht. Solche Kleinigkeiten gehen ja die "Österreicherinnen" offensichtlich nichts an.
Aber selbst aus den wenigen dürren Phrasen der überhaupt ersten gemeinsamen Pressekonferenz konnte man schon das künftige Scheitern verspüren:
Das Wort "Sondieren" muss man also künftig am besten mit "gefährliches Phrasenakkumulieren" übersetzen.
Am auffälligsten war aber zweifellos der ÖVP-Chef Karl Nehammer. Er ließ zumindest bisweilen Zweifel am von ihm eingeschlagenen Weg erkennen. Er scheint langsam zu spüren, was für ein Fehler dieser Weg ist. In Erinnerung an Angela Merkel könnte man auch so formulieren: Was für ein Fehler von Nehammer es war, diesen Weg für sich und seine immer weniger werdenden Getreuen in der ÖVP zu einem alternativlosen gemacht zu haben.
Denn während die anderen beiden Parteien ja in der Tat keine Alternative haben, ist seine Partei die einzige, die eine noch dazu sehr naheliegende hätte, die sich diese aber selbst vorsätzlich vermauert hat. Dennoch ist die Sehnsucht nach dieser Alternative im schwarzen Untergrund noch immer oder schon wieder vielfach zu spüren. Nehammer kann diese Sehnsucht wohl nur so lange in den parteiinternen Untergrund gedrängt halten, solange die von ihm geplante Koalition auf der Ebene der Phrasen bleibt. Gefährlich wirds für ihn erst, wenn man die Unvereinbarkeit nach einer Konkretisierung der Phrasen erkennt.
Aber auch die anderen beiden Parteichefs haben ganz offensichtlich versucht, das Phrasendreschen jetzt einmal über den steirischen Wahltag hinaus auszudehnen und in Optimismus zu machen statt Tacheles zu reden. Natürlich kann man das Ganze auch noch bis Jänner oder Februar hinaus ausdehnen. Aber irgendwann wird auf den Tisch kommen müssen, was man letztlich aus diesen Phrasen geschmiedet oder nicht geschmiedet hat.
Aber spätestens dann wird für Nehammer auch die Entscheidung auf den Tisch kommen, ob er Parteichef bleiben kann oder ob ein innerparteilicher Sturm den jetzt schon sehr einsam und verlassen dastehenden Mann hinwegweht. Das wird dann der Fall sein, wenn einer der folgenden Punkte Teil des Koalitionsdeals sein sollte:
Die gleiche für Nehammer fatale Bedeutung hätte es, gäbe es im Koalitionsprogramm:
Ebenso tödlich für Nehammer wäre auch ein substantieller Angriff im Koalitionspakt auf den Föderalismus – auch wenn dessen Reduktion, n etlichen Bereichen etwa durch eine Bindung der Ausgaben- an eine Einnahmenverantwortung, sinnvoll wäre (freilich wäre das überdies eine Verfassungsreform, für die man ohnedies die Zustimmung der Grünen oder gar Blauen bräuchte, was sie doppelt schwierig macht).
Auch ein Verlust des Finanzministeriums wäre für ihn nur schwer zu überstehen – auch wenn dort ein Einzug des pinken Ex-Abgeordneten Loacker (mangels eigener Kandidaten der ÖVP) in Wahrheit für Österreich sehr vorteilhaft wäre.
Denn es ist völlig klar, dass bei jedem einzelnen der hier aufgezählten Gefahrenpunkte ein großer Teil der Volkspartei aufstehen und protestieren würde. Denn in einer Koalition mit der FPÖ würde kein einziger davon drohen. Dennoch hat Nehammer diese Alternative leichtfertig und ohne Zwang verspielt, nur deshalb – wie viele Österreicher glauben –, um Bundeskanzler zu bleiben. Weil mit der FPÖ darüber hinaus viel mehr möglich wäre, von der Familienpolitik, über Abschaffung der ORF-Gebühren bis zur Absicherung der Meinungsfreiheit. Weil bei der Alternative FPÖ nur sichergestellt werden müsste, dass in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik und Gesundheit (siehe Kickls Impfphobie) nichts passieren darf. Aber über diese trennenden Themen wollte Nehammer ebensowenig wie über die vielen gemeinsamen Perspektiven mit den Freiheitlichen reden, verhandeln, sondieren oder sonst etwas.
Wenn die ÖVP ein solches Gespräch aber in den nächsten Monaten nach einem Scheitern der Dreierkoalition doch noch suchen sollte, wäre ihre Verhandlungsposition aber natürlich viel schlechter, als hätte sie es gleich getan. Denn dann ist Blau-Schwarz wirklich alternativlos.