Wozu noch wählen?
25. Oktober 2024 00:43
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 6:00
Immer öfter wird man ins Zweifeln an der Demokratie gebracht. Denn immer häufiger greifen andere Institutionen als die Wähler und die von diesen nach bestem Wissen und Gewissen gewählten Abgeordneten nach der Macht, ohne dass man sich wehren kann. Geschweige denn, dass das Volk irgendwo direktdemokratisch entscheiden könnte. Besorgniserregende Beispiele dafür stoßen einem im In- wie im Ausland auf.
Um in Österreich zu beginnen:
- Am derzeit auffälligsten und am meisten diskutiert ist die Tatsache, dass der Bundespräsident die Regierungsbildung zu beeinflussen sucht. Zwar kann man das noch, wenn auch verärgert, belächeln. Denn ganz eindeutig sind das nur die Versuche eines einsamen Mannes, die eigene Bedeutung ins Zentrum zu rücken, eine eigene Bedeutung überhaupt einmal zu schaffen, denn die Verfassung ist da ja nur reine Theorie. Aber letztlich weiß auch Alexander van der Bellen: Bundeskanzler wird einzig jener, der mehr als die Hälfte der Abgeordneten hinter sich hat, egal, was der Bundespräsident will, meint oder warnt. Dieser kann die Sache lediglich ein wenig verzögern und wird nur dann relevant, wenn sich die Parteien auf keinen Regierungschef einigen können. Sonst ist es völlig irrelevant, welcher politischen Auffassung der Präsident eigentlich ist. Er kann in der aktuellen Situation bestenfalls einer Partei den Märtyrer- und Opferstatus zukommen lassen. Ansonsten kann er lediglich die Beamtenkarrieren einiger politisch nahestehenden Personen fördern. Einen positiven Beitrag zur Demokratie leistet aber das ganze Amt trotz Volkswahl nicht.
- Noch viel absurder ist der Rechnungshof. Dieser lässt immer mehr seine traditionellen Aufgaben links liegen, nämlich Gesetzwidrigkeiten und Verschwendung in der Verwaltung (und überall dort, wo die Republik sonst noch mitzureden hat) zu bekämpfen sowie Sparsamkeit und Effizienz zu fordern und fördern. Statt dessen fühlt er sich immer mehr als Überregierung, die zu allen möglichen Themen, die gerade als zeitgeistig modisch gelten, ihren Senf dazugibt. So hat der Rechnungshof sich zuletzt öffentlich darüber alteriert, dass die Väterbeteiligung bei der Kinderbetreuung sinkt. So hat er der Entsiegelung von Flächen in Wiener Neustadt und Wels, zwei aufstrebenden österreichischen Städten, einen eigenen Bericht gewidmet. Er kümmert sich schier nach Belieben um alles und jedes – am wenigsten jedoch um seine eigentliche, dabei gerade derzeit so brisante Aufgabe: Das wäre zweifellos die verzweifelte Lage der Staatsfinanzen und das Defizit von Bund und Ländern. Freilich zugegeben: Es ist auch viel einfacher so. Was kümmert es auch die Rechnungshofer, dass der einzig demokratisch legitimierte Gesetzgeber etwa die Kinderbetreuung so familienfreundlich geregelt hat, dass halt die Entscheidung bei Müttern und Vätern liegt und dass die das halt nach ihren Wünschen geregelt haben und nicht so, wie es der Rechnungshof will. Er gibt seinen Senf zum Thema Tierschutz genauso wie zum Volksopern-Orchester. Hingegen fand ich keinen Bericht zum Migrationsthema, dem für die Österreicher weitaus wichtigsten Sachthema. Das wäre tausend Mal wichtiger, wenn sich die staatlichen Prüfer schon für alles und jedes als Oberkommentatoren berufen fühlen, statt sich auf ihre Kernaufgabe zu konzentrieren.
- Als eine weitere Möchtegern-Oberregierung noch viel problematischer ist der Verfassungsgerichtshof. Dort möchte man ganz eindeutig Österreich von einem demokratischen Staat in einen Richterstaat verwandeln, in dem die Verfassungsrichter lebenslänglich und unkontrolliert das letzte Wort haben. Er befasst sich mit der Zusammensetzung der ORF-Räte ebenso, wie er Schwulenehe oder Tötung auf Verlangen geregelt hat. Je ideologischer eine Frage ist, umso eher fühlt sich der VfGH zuständig. Natürlich sitzen gerade dort die härtesten Feinde aller direktdemokratischen Reformbestrebungen.
- Genauso als Oberregierung fühlen sich die zahllosen Ombudsman-Institutionen, die in den letzten Jahren geschaffen worden sind, und die sich ständig wichtig machen, auch wenn sie rein rechtlich eher Salzämtern gleichen. Heute gibt es an allen Ecken und Enden Ombudsstellen: vom "Fonds Soziales Wien" bis zur Justiz, vom Tierschutz bis zu Patienten-Ombudsmännern, von einer Internet-Ombudsstelle bis zur Kinderanwaltschaft, von der Gleichbehandlungsanwaltschaft bis zur Ombudsstelle zum Schutz von Nichtrauchern. Heute gibt es zu Dutzenden solche Stellen – und wir wundern uns, wieso die Staatsverwaltung immer teurer, aufwendiger und ineffizienter geworden ist.
- Die bekannteste Ombudsman-Einrichtung ist die Volksanwaltschaft. Sie äußert sich generell zu allen Themen, die ihr einfallen, ob es die Unfallversicherung freiwilliger Feuerwehrmänner ist oder die Pyrotechnik in Fußballstadien, ob es die Notwendigkeit der Handy-App "ID Austria" oder der Wohnplatz für die Behinderte Sabine S. ist, ob es die uneinheitlichen Leistungen der Krankenkassen sind oder die Ennser 30-kmh-Zone, ob es die Zustände im Strafvollzug sind oder Betragensnoten für zwei oberösterreichische Schülerinnen. Sie sind Experten für alles, Kommentatoren über alles.
- Die Liste jener Institutionen, die sich als Oberregierung fühlen, ließe sich fast unendlich fortsetzen. Sie reicht vom Staatsschuldenausschuss über die Wirtschaftsforschungsinstitute bis zu fast allen Medien, die alle den demokratischen Institutionen Zensuren und Anordnungen zu geben versuchen.
- Dazu kommen mit besonders heftiger Wirkung die vielen EU-Institutionen, welche die nationalen Gesetzgeber an eine sehr kurze Leine genommen haben. Von den Banken bis zu den Versicherungen, von der Qualität der Seen bis zum Hochwasserschutz, von den Staatsfinanzen bis zu den Kindergärten wird auch von dort der Kontrolldruck und die Einschränkung der nationalen Demokratie immer heftiger.
- Damit ist aber die internationale Kontrolle noch lange nicht am Ende: OECD-Berichte, der Pisa-Bericht etwa, die Unesco-Entscheidungen zum Weltkulturerbe, die Europarats-Berichte, der Menschenrechtsgerichtshof. Niemand kann da noch den Überblick bewahren, von wo überall Österreich auf die Finger geklopft wird und damit dem Volk, das in seiner Naivität noch immer glaubt, das Recht würde von ihm ausgehen.
Aber vielleicht sind wir auch selber schuld. In Deutschland etwa gibt es einen "Bund der Steuerzahler", der schon wieder hundert neue Beispiele provozierender Geldverschwendung öffentlich aufgezeigt hat. In Österreich sind alle diesbezüglichen Anläufe bürgerlichen Engagements wieder längst im Sand verlaufen. Da ist neuerdings die islamische Kalifats-Subkultur mit ihrer Scharia-Polizei bürgergesellschaftlich aktiver als die Österreicher – wenn auch wieder aus anderem Grund enorm bedrohlich.
Besonders krasse Beispiele zeigen aber auch aus anderen Ländern, wie sehr dort ebenfalls die Demokratie undemokratisch beschnitten wird.
- Zuletzt fielen vor allem die gigantischen Wählerbestechungen auf, wo reiche Männer Wähler mit Millionen bestochen haben, damit sie in ihrem Sinne "richtig" wählen. Das versucht derzeit offenbar Elon Musk in amerikanischen Swing States. Das hat ein russlandnaher Milliardär in noch größerer Dimension jetzt bei den Wahlen in Moldawien gemacht.
- Mindestens ebenso ärgerlich sind auch die Machtanmaßungen von Gerichten. Bekanntestes Beispiel sind die USA, wo selbst über die Frage der Abtreibung die wichtigsten Entscheidungen von Richtern getroffen worden sind, nicht etwa von gewählten Volksvertretungen.
- Jüngstes Beispiel ist Italien, wo ein Gericht die schon begonnene Abschiebung einiger illegaler Migranten nach Albanien wieder gestoppt und rückgängig gemacht hat. Dabei ist diese Abschiebung auf eindeutig demokratischem Weg beschlossen worden.
Man kann nur zu dem Urteil kommen: Die Demokratie ist weltweit massiv in der Krise, im Rückzug. Zwar gibt es immer mehr Wahlen; selbst in Russland oder Iran wird "gewählt" (nachdem die wahren Machtinstitutionen vorausgewählt haben). Aber die wirklichen Entscheidungen, die wirkliche Macht hat immer weniger damit zu tun. Ob es religiös fanatisierte Mullahs sind, ob es abgehobene Richter sind, ob es die tief im Kommunismus steckengebliebenen russischen Geheimdienstler sind: Sie denken nicht daran, dem blöden Volk die Macht zu lassen, Entscheidungen zu überlassen.
Demokratie hat nur als Camouflage, als Farce zu dienen. So wie man in den "Volksdemokratien" dem Volk gleich durch einen Pleonasmus vorgegaukelt hat, dass es etwas zu reden hätte. So wie man in der Gemeinde Wien, wo von der Massenzuwanderung bis zur Kampfansage an die Autos ständig gegen den Willen der Bürger regiert wird, die Bürger aber über die Farben der U-Bahn-Linien abstimmen lässt, und glaubt, damit ließen sich diese auf Dauer abspeisen.
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