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Der ungarische Ministerpräsident ist zu einer Vortragsveranstaltung in Wien. Bei solchen Gelegenheiten – auch wenn sie an sich regierungsunabhängig sind – ist es eine absolute Selbstverständlichkeit zwischen zivilisierten Ländern, dass es zumindest ein gemeinsames Kaffeetreffen zwischen den Regierungschefs beider Staaten gibt. Immerhin sind Ungarn und Österreich zwei füreinander nicht ganz unwichtige Nachbarländer. Immerhin sind österreichische Polizisten seit längerem an der ungarischen Südgrenze im gemeinsamen Einsatz gegen illegale Migranten. Immerhin gehören beide Regierungschefs dem wichtigsten Gremium der EU an. Und immerhin ist Ungarn absolut unverzichtbar, wenn es endlich darum gehen müsste, eine möglichst starke Front vieler Länder für Änderungen des europäischen Asylrechtsrahmens zu zimmern (Dieser Text wurde nach dem ersten Erscheinen aktualisiert).
Immerhin ist – oder war – Viktor Orbán mit der ÖVP, also der Partei von Bundeskanzler Karl Nehammer, so eng verbunden, dass er vor nicht allzu langer Zeit sogar als einziger ausländischer Regierungschef zu einem privaten Geburtstagsfest für den erfolgreichsten ÖVP-Chef des letzten halben Jahrhunderts, also Wolfgang Schüssel, eigens für ein paar Stunden von Budapest nach Wien gekommen war.
Jetzt jedoch gibt es trotz allem kein Zusammentreffen von Orbán mit Nehammer. Das ist eine außen- und europapolitische Dummheit ersten Ranges. Das ist eine innenpolitische Katastrophe für die ÖVP, denn dem gegenseitigen Ignorieren der beiden Regierungschefs stehen gleich zwei Treffen Orbáns mit FPÖ-Politikern gegenüber. Damit überlassen die Schwarzen den Blauen komplett und ohne jede Notwendigkeit ein wichtiges außenpolitisches Feld. Damit liegt ein erster harter Beweis auf dem Tisch, dass die angestrebte Koalition mit Rot und Pink schon im Vorlauf einen Linksruck der ÖVP ausgelöst hat, weil die beiden Linksparteien ja Orbán gerne als Aussätzigen behandelt sehen wollen.
Bei der FPÖ kann man über so viel schwarze Intelligenz nur jubeln. Bei ihr kann man auch sonst jubeln. So zeigen die Meinungsumfragen einen weiteren steilen Anstieg der FPÖ-Werte seit der Nationalratswahl. Lag die Kickl-Partei bei der Wahl noch bei 28,9 Prozent, so liegt sie jetzt beim von der APA gemessenen Schnitt aller Umfragen schon bei 31,7, also gewaltige drei Prozentpunkte besser; bei einer (allerdings von oe24 beauftragten) Lazarsfeld-Umfrage hat sie inzwischen sogar schon die 33 Prozent erreicht.
Zu diesen Ergebnissen hat noch gar nicht die Dummheit beigetragen, dass die ÖVP Orbán ignoriert. Entscheidend war schon die Empörung vieler Österreicher, dass Bundespräsident Alexander van der Bellen nicht den ersten Auftrag, die erste Bitte, eine Regierungsbildung zu versuchen, an den freiheitlichen Obmann Herbert Kickl vergeben hat. Das empfinden sogar etliche ÖVP-Spitzenpolitiker (insbesondere aus den Bundesländern) als schweren Fehler und Ungehörigkeit. Das wird von den einfachen Bürgern noch viel stärker als inkorrekt empfunden, weil sie sehen, dass da eine seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich gepflegte Übung ohne ausreichenden Grund außer Kraft gesetzt worden ist. Sie kümmern sich nicht darum, ob Van der Bellens Vorgangsweise formalrechtlich an sich argumentierbar ist, aber sie spüren, dass da eine Oppositionspartei ohne objektiven Grund willkürlich diskriminiert wird – ausgerechnet durch den sich immer als Hüter aller Verfassungstraditionen ausgebenden Bundespräsidenten. Und im ausdrücklichen Einvernehmen mit den anderen Parteichefs.
Es wäre tausendmal klüger gewesen, der FPÖ ein paar Wochen für die Suche nach einer parlamentarischen Mehrheit, also 51 Prozent, Zeit zu geben.
Wenig förderlich für die Versuche in Schwarz-Rot-Pink ist auch die peinliche Sprachregelung zwischen Schwarz und Rot nach dem ersten offiziellen Zusammentreffen. Die gleichgeschalteten Formulierungen übertreffen alles an erkennbarer Plumpheit, was man einst Sebastian Kurz als "Message Control" vorgeworfen hat.
Der einzige Unterschied liegt also in einem Rechtschreibfehler Nehammers. Dabei meint jeder der beiden mit dieser eindeutig abgesprochenen Phrase offensichtlich etwas ganz Unterschiedliches als der andere, ja das absolute Gegenteil. Das ist schon an den nächsten Sätzen erkennbar, die auf die Sprachregelung folgen.
Wir sehen also schon nach der allerersten Runde der Koalitionsverhandlungen, dass sich die beiden in absolut nichts einig sind, sondern einen jeweils zu 180 Grad unterschiedlichen Weg ansteuern. Diese Tatsache hat man durch einen Formelkompromiss nur sehr notdürftig zuzudecken versucht.
Alexander van der Bellen hat zwar die kümmerlichen Überreste seiner einstigen Beschäftigung mit Ökonomie zusammengekratzt und einige Worte formuliert, die eher ähnlich zu Nehammer als zu den ihm sonst nahestehenden Sozialisten klingen: Es schwor die Bevölkerung auf unbequemen Wahrheiten und schmerzhafte Reformen ein. "Es gibt keinen schmerzfreien Weg, die Probleme zu lösen". Wie wahr! Und was für ein Widerspruch zum krampfhaften Versuch, die SPÖ wieder in die Regierung zu bringen.
Aber vor der wesentlichsten Erkenntnis drückt der Bundespräsident sich weiter – zumindest vorerst. Dabei ist nämlich schon an Hand dieser Diskrepanz nach der ersten offiziellen Gesprächsrunde klar und bestätigt, was unabhängige Beobachter schon lange vorher gesehen haben: ÖVP und SPÖ wollen absolut Unterschiedliches; eine Koalition zwischen diesen beiden Parteien würde noch viel unmöglicher und schlechter für Österreich sein als eine Koalition zwischen den einander nicht mögenden Herren Kickl und Nehammer. In diesem Fall geht es um Persönliches (was dem Rest der Nation eigentlich wurscht ist), dort hingegen um wirklich grundsätzliche Fragen.
Was ist das nur für ein Land, wo der Bundespräsident das fundamentale Problem der gegenwärtigen Politik nicht erkennt!
Was ist das nur für ein Land, in dem der Bundeskanzler keinen Termin für den Kollegen aus einem wichtigen Nachbarland hat!