Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Man darf sich amüsieren – oder ärgern. Über Alexander van der Bellen: Begreift er die eklatanten Widersprüche in seinen eigenen Worten? Über Karl Nehammer: Ihm werden vom Bundespräsidenten merkwürdige Gedanken in den Mund geschoben – warum widerspricht er nicht oder deckt er das? Und über beide Herren: Sind sie sich im Klaren, dass sie ganz persönlich nun die Hauptschuld an den nächsten großen Erfolgen der FPÖ auf sich geladen haben, die jetzt wirklich erste Reihe fußfrei beim unweigerlichen Scheitern einer Koalition der ÖVP mit Herrn Babler zuschauen und auf die eigenen Wahlsiege warten kann?
Für die meisten Wähler ist eindeutig der nur extrem schwer zu lösende Komplex Migration/Asyl/Islamisierung/Kriminalität die weitaus wichtigste Herausforderung der neuen Regierung. Wie soll da mit der SPÖ und den von Nehammer ebenfalls ins Boot geholten Neos irgendetwas vorangehen, die doch bisher die diesbezüglichen Positionen von ÖVP und FPÖ heftig bekämpft haben? Sind Rot und Pink zu einer kompletten Änderung ihrer Politik bereit – oder wird die ÖVP da wie bei den Grünen ständig Abstriche machen müssen? Überdies sind die wichtigsten Regler in Sachen Migration in Hand der EU und der Richterschaft, sodass auch ohne solche Koalitionspartner eine Problemlösung extrem schwer ist.
Noch dramatischer wird der Komplex Wirtschaft/Soziales werden, wo der gesamte SPÖ-Wahlkampf aus einer Aufaddierung von sozialen Forderungen bestanden hat. Dabei ist völlig klar, was aber vielen Wählern kaum bewusst ist: Auch jede andere Regierungsformel würde in den nächsten Jahren alles andere als eine Erfolgsstory werden. Dazu ist die europäische Wirtschaftsentwicklung viel zu katastrophal, wird doch die EU von den USA und China Monat für Monat noch weiter abgehängt. Dazu kommt, dass Österreich insbesondere in der Corona-Krise den schon seit der Kreisky-Androsch-Zeit ständig (mit Ausnahme der Schüssel-Grasser-Zeit) anwachsenden Schuldenberg allzu leichtfertig erhöht hat. Dazu kommt die traditionelle Handelsabhängigkeit von Deutschland, das durch eine irre Energiepolitik im Expresstempo deindustrialisiert wird und derzeit voll gegen die Wand donnert.
All diese Faktoren kommen noch dramatisch erschwerend zu der Absurdität einer jetzt von Van der Bellen gewünschten schwarz-rot-(pinken) Koalition, in der eine oder zwei sich um die wirtschaftliche Zukunft sorgende Parteien mit den Sozialdemokraten koalieren sollen, die unter einem Andreas Babler wirtschafts- und sozialpolitisch in den zwanziger Jahren steckengeblieben sind – aber wohlgemerkt in denen des vorigen Jahrhunderts. Man kann wirklich nur hellauf über den Aberwitz lachen, dass Van der Bellen gleichzeitig mit dem Auftrag zu einer solchen Regierung von den – tatsächlich – dringend notwendigen großen Reformen redet. Das ist so, wie wenn man in einem Bordell die Anordnung zur ewigen Keuschheit ausgeben würde, aber gleichzeitig den Bordellbetrieb weiterführen möchte.
Verzweifelt über Van der Bellen lachen kann man aber auch, wenn man bedenkt, dass der Mann dreieinhalb Wochen mit völlig sinnlosen "Gesprächen" vergehen hat lassen, bis er einen ersten Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. In dieser Zeit ist absolut nichts Sinnvolles geschehen. Diese Zeit hätte er viel besser an Herbert Kickl, den relativen Wahlsieger, als Frist gesetzt, nach der dieser sagen muss, ob er eine Regierung zusammenbringt.
Ohne diesen Auftrag kann Kickl jetzt aber jahrelang herumrennen und über jede (unvermeidliche) Schwierigkeit im Land sagen: "Seht ihr, das kommt davon, weil der undemokratische Bundespräsident mir nicht den Regierungsbildungsauftrag gegeben hat. Wir sind die einzige Alternative, wenn ihr wollt, dass die Dinge anders werden."
Normalerweise müsste die FPÖ für die kommenden Wahlkampagnen teures Geld an Werbeagenturen zahlen, um Propaganda für sich zu machen. Jetzt hat sie durch die Herren Van der Bellen und Nehammer diese Werbung in hoch effizienter Form gratis bekommen.
Wie kann man nur so dumm sein!
Mindestens genauso wie der Bundespräsident ist ja der ÖVP-Chef schuld an dem Auftrieb für die FPÖ. Hat die ÖVP doch schon am Wahltag viele Stimmen an die FPÖ verloren, die nach Nehammers Vor-Wahl-Absage an die Blauen keinesfalls die als Folge unvermeidliche Partnerschaft der ÖVP mit einer Babler-SPÖ unterstützen wollten. Wie falsch seine Strategie aber auch in Hinblick auf die Zukunft ist, wird Nehammer schon in den nächsten Wochen merken, wenn er mit der SPÖ inhaltlich verhandeln muss. Denn ab nun muss er Babler & Co ohne Alternative gegenübersitzen. Das verschlechtert automatisch die Position jedes Unterhändlers.
Jetzt muss Nehammer mehr oder weniger alternativlos die Bedingungen der Roten fressen. Jetzt muss er seinen Parteifreunden bei jeder Konzession an die SPÖ peinliche Fragen beantworten, die Vergleiche mit einer ÖVP-FPÖ-Koalition ziehen und mit den dabei erzielbaren Inhalten.
Noch dazu hat er jetzt außer dem nicht gerade überzeugenden Kämmerer Harald Mahrer (in dessen Reich bekanntlich die Taxikonzessionen und Förderungen wichtiger sind als die volkswirtschaftliche Entwicklung) absolut niemanden an der Seite, der sich in den wirtschafts- und sozialpolitischen Themen auskennt. Hat er doch sowohl Finanz-, wie auch Wirtschaftsminister gehen lassen (oder gar zum Gehen bewegt) und weit und breit keinen profilierten Nachfolger gefunden.
Nehammer ist aber nicht nur deshalb in einer katastrophalen Situation, weil sich die Beibehaltung des Bundeskanzleramtes strategisch als ein teurer Pyrrhus-Sieg erweisen wird. Auch die nunmehrigen Worte des Bundespräsidenten haben ihn zusätzlich in die Bredouille gebracht. Van der Bellen hat nämlich die Vorbehalte von ÖVP und SPÖ gegen die FPÖ einfach pauschal in einen einzigen Topf geworfen und so die ÖVP mitverantwortlich für Formulierungen und Vorwürfe gemacht, die man bisher nur aus der Hetzpropaganda von SPÖ, Grünen und KPÖ gekannt, aber noch nie von der ÖVP gehört hatte.
Wenn Nehammer sich nicht rasch und öffentlich von dieser infamen Vereinnahmung durch Van der Bellen wehrt, wird er sich öffentlich wie parteiintern vieles fragen lassen müssen:
Van der Bellen hat weit mehr Fragen aufgerissen, als sich rechtfertigen lassen.