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Um der FPÖ so zu nutzen, hat der Mann zehn Tage gebraucht

Das nennt man Führungsstärke und Entschlusskraft: Zehn Tage hat der Bundespräsident nach der Wahl gebraucht, bis er zu dem großartigen "Entschluss" gekommen ist: Die Parteien sollen miteinander reden und sich vertragen. Erst wenn die Parteien für Klarheit gesorgt hätten, werde er abwägen, was er weiter tue. Für diese Weisheit brauchen wir also einen hochbezahlten Bundespräsidenten. Es ist völlig klar, woran das erinnert – und wem das nützt.

Das erinnert lebhaft an den Winter 1999/2000, als es vor allem Wolfgang Schüssel gewesen ist, der damals gegen Willen eines überforderten Bundespräsidenten durchgesetzt hat, es soll angesichts eines unklaren Wahlergebnisses "Konsultationen" zwischen allen Parteien geben.

Es gibt freilich drei große Unterschiede zu damals:

  • Die jetzige Bundespräsidentenformel nützt jetzt nur einer einzigen Partei; denn sie fügt sich geradezu ideal in die Märtyrerrolle einer Partei, die niemand regieren lässt.
  • Damals wollten fast alle Parteien miteinander – wenn auch zu unterschiedlichen Konditionen – heute hingegen dominiert die gegenseitige Ausschließeritis.
  • Einen dritten Unterschied begreift wohl nur Van der Bellen selbst: Jetzt soll es "Gespräche" geben, keine "Konsultationen" oder "Sondierungsgespräche". Das sind in Wahrheit aber skurrile Semantik-Spielereien.

Ein starker Bundespräsident, der sowohl zügige Ergebnisse im Auge hat wie auch die Interessen Österreichs, hätte mit Sicherheit der relativ stärksten Partei den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben, damit diese einmal schauen muss, was sie zusammenbringt.

Gewiss: Herbert Kickl hätte als relativer Wahlsieger auch längst von sich aus mit den anderen reden können und sollen. Er hat es aber ganz offensichtlich nicht ernsthaft versucht. Er hat nicht einmal Andeutungen gemacht, wo und wie man zusammenfinden könnte, wo er Kompromissmöglichkeiten sieht. Er will offenbar als Märtyrer dastehen, mit dem niemand redet. Dabei hat er zehn Tage lang selbst mit keiner anderen Partei das Gespräch auch nur gesucht, obwohl das von der ersten Stunde an genau die Aufgabe des relativ Stärkeren wäre.

Und jetzt hat Alexander van der Bellen den FPÖ-Obmann genau in dieser Strategie auch noch unterstützt. Er die Chance ausgelassen, Kickl den Auftrag, um nicht zu sagen: die Anordnung zu geben, endlich konstruktiv zu werden.

Damit haben aber wohl auch jene Propheten recht, die schon am Wahltag gesagt haben: Auch zu Weihnachten werden wir noch gar nichts wissen. Ganz offensichtlich sieht der Bundespräsident keinen Grund zur Eile, sondern geht mit dem gleichen Tempo vor, wie er sich auch sonst bewegt. Nämlich schleppend. Und von der "Eleganz" der Verfassung, von der er so gerne schwärmt, ist schon gar keine Spur zu sehen – obwohl Österreich dringend und zügig tatkräftige und mutige Entscheidungen brauchen würde.

Van der Bellen stellt sich damit auf die gleiche (niedrige) Höhe mit den drei Parteichefs, die allesamt von Tag zu Tag mehr den Eindruck erwecken, der Situation nicht gewachsen zu sein, die auch schon am Wahltag allesamt nachweislich keine Zugpferde für ihre jeweiligen Parteien gewesen sind.

Zwei sitzen dennoch bombenfest in ihrer Position, während der Schwächste von allen dreien Parteichefs jetzt parteiintern bereits herausgefordert wird. Allerdings geschieht das ausgerechnet durch den Kasperl seiner Partei, der auch schon in mehreren anderen Parteien den Kasperl gemacht hat. Das dürfte dafür sorgen, dass auch Andreas Babler weiterhin an der Spitze seiner Partei bleiben wird.

Was für ein Unterschied zur Situation von 1999/2000: Damals hat es mit Schüssel und Jörg Haider zwei Parteichefs mit strategischem Hirn und taktischem Mut gegeben. Sie haben einen sich selbst überschätzenden Bundespräsidenten und einen ebenfalls schwachen SPÖ-Vorsitzenden glänzend ausgedribbelt – obwohl sie eine noch viel schwierigere Situation vorgefunden haben. Denn damals lastete zusätzlich auch großer internationaler Druck auf ihnen; sowohl der französische Präsident wie der deutsche Bundeskanzler wollten als Einpeitscher der übrigen EU-Staaten den recht frisch der EU beigetretenen Österreichern zeigen, wer da in Europa das Sagen hatte. Allerdings waren sowohl Schüssel wie auch Haider nicht nur geschickte Politiker, sondern auch standfeste Persönlichkeiten und eindeutige Zugpferde ihrer Partei.

Was damals wie heute hingegen gleichgeblieben ist, ist aber die Realität der Verfassung: Am Ende ist nicht der Präsident entscheidend. Entscheidend ist schon gar nicht die Frage, wer als erster durchs Ziel gegangen ist (das glaubt man nur in der FPÖ – oder gibt vor, es zu glauben, denn auch dort weiß man, dass einst sowohl in Kärnten wie auch auf Bundesebene, jeweils im Zusammenspiel von ÖVP und FPÖ, schon einmal der Chef der drittplatzierten Partei Landeshauptmann beziehungsweise Bundeskanzler geworden ist). Entscheidend ist und bleibt einzig die Frage, wer im Parlament (oder Landtag) eine absolute Mehrheit der Abgeordneten hinter sich vereinigen kann.

Der und nur der kann Bundeskanzler (oder Landeshauptmann) werden.

Interessant ist die jetzt immer öfter diskutierte Frage: Und was ist, wenn es auch längerfristig keiner Partei gelingt, eine Mehrheit der Abgeordneten für ihren Chef zu finden? Dann bleibt die mit der Fortführung der Geschäfte beauftragte Bundesregierung mit allen Rechten dauerhaft im Amt. Die Minister können ressortintern weiterhin Weisungen geben; sie können im Konsens dem Bundespräsidenten sagen, was er zu tun hat; und sie können auf EU-Ebene sogar weiterhin eigenständig als Gesetzgeber agieren (wie es vor ein paar Monaten schon Frau Gewessler einmal zur Empörung der ÖVP im Alleingang gemacht hat).

Diese Regierung amtiert unbegrenzt weiter, bis der Bundespräsident eine neue beruft, oder bis sie oder ihr Chef durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt wird.

Was aber ist, wenn es zwar eine Mehrheit für ein Misstrauensvotum gibt, sich aber keine Mehrheit auf einen neuen Kanzler einigen kann (was zwar als verantwortungslos kritisiert werden kann, was aber dennoch gar nicht unrealistisch ist)? In diesem Fall kann und wird, ja muss wohl der Bundespräsident ein Beamten- oder "Experten"-Kabinett berufen. Nur in diesem Fall wird das Staatsoberhaupt relevant.

Das hat damals Thomas Klestil auch schon geplant gehabt – mit dem insgeheimen Wunsch, dass die von ihm eingesetzte Beamten-Regierung ihm dann umgehend die Ausschreibung von Neuwahlen vorschlägt (was er laut Verfassung ohne einen solchen Regierungsbeschluss alleine nämlich nicht könnte!).

Das hat er damals aber letztlich unterlassen, nicht zuletzt aus gekränkter Eitelkeit, als ihn der Autor dieses Tagebuchs deswegen öffentlich mit einem Möchtegern-Diktator verglichen hat, der mit problematischen Tricks arbeitet. So konnten sich Schwarz und Blau zu einer Mehrheit finden. Auch wenn der immer um das Bild der Republik im Ausland sehr besorgte Diplomat Klestil diese Koalition keineswegs wollte, blieb ihm letztlich nichts anderes übrig, als sie anzugeloben.

Solange sich aber bei parlamentarischen Gesprächen keine Mehrheit findet, solange hat Van der Bellen sehr wohl die Möglichkeit eines solchen Beamtenkabinetts.

Welcher Partei nützt nun sein jetziger Nicht-Entschluss? Wohl primär der FPÖ und vorübergehend der ÖVP, der er aber langfristig schadet.

Die FPÖ kann sich jetzt perfekt in ihre übliche Märtyrerrolle flüchten. Was sie auch bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Vorarlberg und der Steiermark voll ausspielen wird.

Die ÖVP kann bei diesen Gesprächen nun selbst in aller Ruhe schauen, ob sie mit SPÖ und Neos zu einem Konsens kommt. Eines steht jedoch jetzt schon freilich fest: Sollte sie da wirklich zu einer Koalition kommen und sollte es für die SPÖ wirklich bei Andreas Babler bleiben – dann ist eines gewiss: Dann wird es für die ÖVP zu einer gewaltigen Ohrfeige durch die Wähler bei den folgenden Wahlen kommen. Denn Babler ist ganz zweifellos ein für ÖVP-Wähler viel schlimmerer Koalitionspartner, als es Werner Kogler, Leonore Gewessler und Alma Zadic gewesen sind.

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