12 spannende Fußnoten zur Nationalratswahl
01. Oktober 2024 00:31
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 8:30
Mehr oder wenig Überraschendes zur Detailanalyse des Ergebnisses und zu seinen Folgen.
- Im Wesentlichen lagen die Meinungsforscher diesmal richtig. Allerdings hatten sie in den letzten Wochen sowohl FPÖ wie ÖVP ein wenig zu tief vorausgesagt, hingegen die Kleinparteien eine Spur zu hoch. Während sie der FPÖ in den letzten zwölf Monaten schon mehrmals Ergebnisse im Bereich des jetzigen Ergebnisses prophezeit hatten, hatten sie die ÖVP seit dem Abschuss von Sebastian Kurz noch nie so hoch eingeschätzt. Bei der SPÖ lagen sie ganz präzise richtig.
- Die spannendsten Aussagen im Bereich der Motivforschung sind zweifellos jene, dass den Wählern keiner der drei größeren Parteien die Person des Spitzenkandidaten für die Wähler sonderlich wichtig war. Das ist ganz anders, als es etwa bei den Wahlen 2017 und 2019 mit Sebastian Kurz gewesen ist. Das heißt aber umgekehrt auch, dass sich kaum ein Wähler besonders enttäuscht fühlen wird, wenn einer der Herren Kickl, Nehammer oder Babler jetzt in die zweite Reihe zurücktreten müsse (was bei allen drei durchaus diskutabel wäre und was die Regierungsbildung enorm erleichtern würde, sollte es ihnen wirklich um Österreich und nicht die persönliche Karriere gehen).
- Neben der Migrationsfrage haben zweifellos die linken Parteien und Medien am meisten zum Erfolg der FPÖ beigetragen. Ihre hysterische "Rechtsextremismus!"-Kampagne und die ständigen Verschwörungstheorien, in der FPÖ würden viele Neonazis stecken, sind nicht nur fern der Realität. Sie haben auch bei vielen Wählern, gerade bei den eher politikfernen, den Eindruck massiv verstärkt, dass die FPÖ die einzige Alternative zu den bestehenden Verhältnissen sei. Dass man die FPÖ wählen müsse, wenn man etwas geändert haben wolle, wenn man der Regierung am deutlichsten den Stinkefinger zeigen will. Mit ihrem Kampf gegen eine andere Oppositionspartei hat sich insbesondere die SPÖ selbst jede Chance genommen, selbst als eigentlich größte Oppositionspartei im Bewusstsein der Wähler wahrgenommen zu werden.
- Auf den ersten Blick scheint das Wiener Wahlergebnis überraschend, wo die SPÖ im Vergleich zur letzten Nationalratswahl 2,8 Prozentpunkte dazugewonnen und fast 30 Prozent erreicht hat, wo sich also die Sozialdemokraten besser entwickelt zu haben scheinen als in allen anderen Bundesländern. Allerdings liegt damit die SPÖ in Wien immer noch deutlich schlechter, als ihr die Umfragen für Wien mit 34 Prozent gegeben haben, hingegen schnitten in Wien FPÖ, ÖVP und Neos deutlich besser ab als die Umfragen, die Bierpartei hingegen weit schlechter. Einige Punkte erklären unabhängig davon den relativen(!) Erfolg der Wiener SPÖ:
- Bei der letzten Nationalratswahl hat der Wiener Sebastian Kurz gerade in Wien punkten können;
- in der Zuwanderungsstadt Wien haben inzwischen viele Migranten Pass und Wahlrecht und wählen mehrheitlich SPÖ;
- gerade in Wien sind FPÖ und ÖVP organisatorisch schlecht aufgestellt;
- am stärksten erklärt aber folgender Aspekt den relativen Zugewinn der Wiener SPÖ und relativiert ihn zugleich massiv: Die geistig eng verwandten Grünen haben in Wien gleich 8,7 Prozentpunkte abgegeben. Diese freigewordenen Wählermassen haben sich auf die SPÖ und die diversen linken Kleinparteien aufgeteilt. Da kommt einem der "Erfolg" der Wiener Roten gleich wieder sehr bescheiden vor. Denn Rot und Grün sind ja nun wirklich zwei Seiten der absolut gleichen Medaille.
- Interessant ist auch das Grazer Wahlergebnis: Dort stellen die Kommunisten zwar die Bürgermeisterin; die Grazer haben aber jetzt nur zu 6 Prozent die KPÖ gewählt: Ihre Wähler sind mehrheitlich zur SPÖ zurückgekehrt. Das ist relativ beruhigend: Die KPÖ-Erfolge in zwei Städten waren offenbar nur Erfolge der lokalen Spitzenkandidaten.
- Eine wirklich historische Wendung ist der Umstand, dass die FPÖ keine typische Männerpartei mehr ist, sondern genauso stark von Frauen gewählt wird. Das hängt mit folgenden Aspekten zusammen:
- Erstens sind die Folgen der Migration aus vor allem islamischen Ländern nun voll bei den Frauen angekommen, die sich zunehmend um ihre persönliche und sexuelle Sicherheit fürchten müssen, während der ursprünglich gerade bei Frauen starke Reflex des Mitleids mit armen Flüchtlingen weitgehend verschwunden ist.
- Zweitens ist gerade bei Frauen (vor allem aus dem grünen Eck) die Skepsis gegenüber Impfungen & Co sowie der Glaube, mit Ernährungsumstellung oder Homöopathie Krankheiten und sogar Krebs behandeln zu können, schon immer relativ größer gewesen als bei Männern; das hat Herbert Kickl mit seiner vielen als irrational scheinenden Corona-Kampagne erfolgreich angesprochen.
- Drittens erkennen immer mehr Frauen, dass die ständig getrommelte linke Frauenpolitik mit Gendern, Quoten in Aufsichtsräten und Skurrilitäten wie dem "sozialem Geschlecht" absolut nichts mit ihren wahren Problemen zu tun hat und zum Teil sogar furchtbar nervt.
- Und viertens sehen immer mehr Frauen, wie unangenehm gerade für sie der woke Transkult ist, der plötzlich Männern den Zutritt zu Frauengarderoben und Frauensportarten gibt.
- Eine weitere historische Wendung, die sich nachweislich auch international abspielt, ist die Tatsache, dass es bei den früher als grün und links geltenden Jungen einen massiven Rechtstrend gibt.
- Das hängt einerseits damit zusammen, dass gerade die jungen Österreicher auf den Straßen und in Schulklassen immer öfter Bedrohung und Dominanzstreben durch junge Syrer/Tschetschenen/Afghanen/Türken erleben, was sie von den Migrations-Befürwortungs-Parteien abwenden lässt.
- Zugleich steckt dahinter eine natürliche Gegenbewegung gegen die Indoktrinationsversuche durch linke Lehrer.
- Drittens leben die Jungen weitgehend in der Welt von Tiktok & Co, die den Älteren kaum bekannt oder zugänglich ist, wo sie sich gegenseitig in diesem Rechtstrend bestärken und über Klimapaniker, Genderologen, Trans-Grotesken und "linke Zicken" lustig machen.
- Jenseits der im Vordergrund stehenden Koalitions-, Unvereinbarkeits- und Migrations-Themen ist bisher ein anderer Aspekt untergegangen: Jene drei Parteien, die ein eindeutig marktwirtschaftliches Wirtschaftsprogramm haben, also Blau, Schwarz und Pink, haben zusammen 65 Prozent erreicht. Wenn das nicht als klarer inhaltlicher Auftrag im normalerweise wichtigsten Feld der Politik verstanden wird, wenn jetzt wirklich die linkeste SPÖ, die es je gab, eine Schlüsselrolle in der nächsten Regierung bekommen sollte, dann wird die Demokratie langsam sinnlos. Dann werden sich die antidemokratischen Ressentiments in der Bevölkerung immer mehr verstärken.
- Die eindrucksvollen Erfolge rechtsnationaler Parteien in so vielen EU-Ländern hängen natürlich vor allem mit der für viele Länder bedrohlichen Millionenimmigration nach Europa zusammen, zu der Brüssel bisher kaum mehr als Umverteilung eingefallen ist. Diese rechtsnationalen Parteien haben es aber bisher nicht geschafft, sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen, wie eigentlich genau die europarechtlichen Rahmenbedingungen geändert werden müssen, um die Immigration zu stoppen und viele der Gekommenen rückzuführen. Dabei müsste es vor allem um grundlegende vertragliche Änderungen (oder "authentische Interpretationen" der von den Richtern oft sehr links interpretierten Vertragstexte) gehen mit den Stichworten:
- keine Familienzusammenführungen für illegale Migranten,
- Asylverfahren nur noch außerhalb der EU (etwa Albanien oder Ruanda),
- zeitliche Befristungen der Asylgewährung etwa durch zweijährige Überprüfung,
- Abschiebung oder Internierung aller abgelehnten Asylwerber,
- Ermöglichung einer substantiellen Unterscheidung zwischen islamischen Migranten und jenen aus solchen Ländern, die sich als völlig ungefährlich erwiesen haben, wie etwa der Ukraine.
Erst wenn die rechtsnationalen Parteien eine solche gemeinsame Rechtsstrategie haben, wird aus einer Protestkraft eine politische Kraft. Erst dann können sie von den konservativ-christdemokratischen Volksparteien einen substantiellen Dialog über diese Strategie verlangen, der dann für diese zur existenziellen Bewährungsprobe wird. Erste dann gibt es eine Chance, die letzten linken EU-Länder wie etwa Spanien vor die Alternativen zu stellen: "Entweder wir ändern gemeinsam die Verträge oder ihr seid künftig draußen." Ohne solche primärrechtlichen Änderungen werden Richter dafür sorgen, dass weiterhin die Tore für die illegale Immigration weit offen bleiben. Mit anderen Worten: Wenn man von einem groben Missstand profitiert, dann muss man gegen diesen auch etwas Zielführendes unternehmen. Nicht nur schimpfen.
- Völlig untergegangen in den Analysen ist auch die Tatsache, dass ein kleiner, aber durchaus wahrnehmbarer Teil der "Pass-egal"-Wähler auch immigrationskritische Rechtsparteien gewählt haben (FPÖ 8,1 Prozent, ÖVP 6,4 Prozent). Daraus kann man mit gutem Grund schließen, dass bei jenen, die schon einen österreichischen Pass haben, der Zuspruch zu jenen beiden Parteien noch viel größer sein dürfte, die sich eigentlich gegen die illegale Migration aussprechen. Gerade sie lehnen oft die anpassungsunwilligen jungen Männer strikt ab, die da illegal neu zu uns kommen.
- Es sind folgende Gründe erkennbar, warum gerade die Volkspartei so viele Wähler an die Freiheitlichen abgeben hat müssen:
- Zwischen diesen beiden Parteien mit einem relativ ähnlichen Gesellschaftsbild gibt es schon seit Jahrzehnten einen großen Austausch von Wechselwählern, der in beide Richtungen gehen kann.
- Die Nein-zu-Kickl-Strategie hat viele ÖVP-Wähler irritiert, die eigentlich viel eher ein ÖVP-Nein zu SPÖ-Chef Babler und zu so gut wie all seinen Aussagen als notwendig erwartet hätten.
- Gerade ÖVP-Wähler waren über die Folgen der Klimapolitik, der (nationalen wie europarechtlichen) Bürokratisierung und Regulierungswut entsetzt und oft auch als Unternehmer persönlich betroffen. Das reduziert die Begeisterung für eine "Europapartei". Die EU ist nur noch für jene eindeutig positiv, die exportieren. Das tun aber lange nicht alle Unternehmer.
- Die Erfolge der Regierung bei der Reduktion der Migration waren viel zu spät und klein; sie waren vor allem nicht von erkennbaren Kampagnen gegen die Pro-Migrations-Politik der EU begleitet, wie sie etwa Ungarns Viktor Orbán mit großem Echo führt.
11. Apropos Ungarn: Die Warnungen der Linken, die FPÖ würde den Weg Ungarns gehen, waren ebenfalls für viele ein Umstand, der ihnen die FPÖ erst so richtig sympathisch gemacht hat. Denn Ungarns Weg wird von vielen Bürgerlichen positiv gesehen (seine Russland-Liebe allerdings nur von einem kleineren Teil). Noch dazu, da die ungarische Regierungspartei einst lange eng mit der ÖVP befreundet gewesen ist (so war Ungarns Regierungschef Orbán beim letzten großen Geburtstagsfest für Wolfgang Schüssel der einzige ausländische Regierungschef).
12. Völlig untergegangen ist bisher die skandalös einseitige Haltung des ORF während des Wahlkampfes. Ein typischer Höhepunkt war, dass – so weit ich das verfolgen konnte – die kollektive Wahlempfehlung der Sozialistischen Jugend Vorarlbergs für die Kommunisten(!) vom ORF völlig totgeschwiegen wurde. Das ging nach dem Wahltag weiter, als ORF-Agitator Filzmaier allen Ernstes von einem "Rechtsruck" der ÖVP sprach, obwohl ganz eindeutig ein Linksruck von "Mitte-Rechts" (Kurz) Richtung "Mitte" (Nehammer) stattgefunden hat, obwohl die ÖVP-Koalition mit den Grünen logischerweise viel linker war als jene davor mit der FPÖ.
Zum Schluss ein Wort in eigener Sache: Gudrun Kugler, die betont christliche ÖVP-Abgeordnete, hat als einzige um Vorzugsstimmen im Tagebuch geworben und ist wohl (auch) deshalb Vorzugsstimmen-Kaiserin in Wien geworden. Wir gratulieren und freuen uns, dass Werbung im Tagebuch wirkt.
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