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Tiefe Konflikte in allen Parteien hinter den verschlissenen Kulissen

Offen ausgetragene inhaltliche Debatten in Parteien sind an sich etwas durchaus Positives. Es ist jedoch eindeutig negativ, wenn Meinungsverschiedenheiten nur auf dem Intrigenweg ausgetragen werden, wenn sie statt auf der Sachebene ganz auf der persönlichen stattfinden, wenn man innerhalb einer Partei nicht mehr miteinander, sondern nur noch, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, übereinander redet. Nämlich verächtlich. Und es ist eine Katastrophe, wenn das in einem Wahlkampf auch immer mehr Wähler mitbekommen. Denn dann wissen diese nicht mehr, wen und was, welche Inhalte und welche Koalitionspartner sie mit einer Stimmabgabe überhaupt legitimieren würden. Und das ist bei so gut wie allen Parteien der Fall.

Fangen wir mit der bei Umfragen derzeit – wenn auch mit seit Wochen ständig schrumpfendem  Abstand – vor der ÖVP führenden FPÖ an. Da scheint zwar nach außen Herbert Kickl die Partei und die Partei Herbert Kickl zu sein. Jedoch besteht in Wahrheit ein tiefer Graben zwischen Kickl auf der einen Seite und vielen der wichtigsten FPÖ-Persönlichkeiten auf der anderen Seite. Zwischen diesen beiden Seiten gibt es zwar eine Art Nichtangriffspakt, aber gleichzeitig herrscht auch völlige Nichtkommunikation.

Das ist vor allem deshalb so explosiv, weil auf der Seite der Kickl-Skeptiker jene freiheitlichen Persönlichkeiten stehen, die nach dem Bundesobmann weitaus am bekanntesten und erfolgreichsten sind. Sie hätten im Unterschied zu Kickl überdies das Zeug, tief in bürgerliche Wählerschichten hinein attraktiv zu sein. Das betrifft insbesondere den Kickl-Vorgänger und Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer, den oberösterreichischen Landeshauptmannstellvertreter Manfred Haimbuchner und die Salzburger Parteichefin Marlene Svazek. Über diese Graben hinweg hat es zum Teil seit Jahren keine Kommunikation gegeben. Zwar gibt es keine Anzeichen, dass in der FPÖ jemand plane oder imstande wäre, Kickl zu stürzen (was manche in der ÖVP hoffen). Aber die Partei ist mit einer Ehe vergleichbar, die nur noch auf dem Papier und in gelegentlichen gesellschaftlichen Außenauftritten besteht, während die "Eheleute" ihre Betten jedoch längst getrennt anderswo aufgestellt haben.

Bei der ÖVP scheinen zwar die noch viel tieferen Gräben der Vergangenheit zugeschüttet. In dieser hat es aber gleich drei solche Frontlinien gegeben. Die eine zog sich zwischen den Herren Reinhold Mitterlehner und Sebastian Kurz samt Gefolgsleuten bis ins Jahr 2017, in dem Kurz die ganze Partei erobert hatte. Der zweite Konflikt tobte jahrzehntelang zwischen Erhard Busek und dem Rest der Partei, fast bis Busek gestorben ist und bis die verbliebene Handvoll Busek-Freunde bei den Neos gelandet ist. Und der dritte Konflikt war sogar noch am Anfang dieses Jahres zwischen dem EU-Abgeordneten Othmar Karas und allen anderen "Parteifreunden" in Gang, bis die ÖVP-Führung den Mut gefasst hat, Karas kein weiteres Mandat zu geben.

Doch im nächsten Akt, der wohl schon am Sonntagabend beginnen wird, lauert bereits die nächste tiefe VP-interne Kluft, und zwar um die Koalitionsfrage:

  • Soll die ÖVP in ein Bündnis mit dem einige Zeit so intensiv attackierten Herbert Kickl gehen? Das würde zwar die große Mehrheit der Parteibasis vorziehen, obwohl die Erfahrungen mit Kickls Ministerzeit als problematisch kolportiert werden. Das hat aber bisher nur eine einzige ÖVP Abgeordnete (Ex-Generalsekretärin Laura Sachslehner) öffentlich zu fordern gewagt.
  • Oder geht die Partei in eine Koalition mit der SPÖ, selbst wenn dort ein Andreas Babler Parteichef bleiben sollte, selbst wenn für eine solche Koalition noch eine dritte Partei benötigt wird, was das Regieren noch dramatisch schwerer macht? Das wollen etliche wirtschaftsnahe Kreise (obwohl das FPÖ-Wirtschaftsprogramm sehr ähnlich zu dem der ÖVP ist); das will auch die Wiener Parteiführung (die so gerne wieder in der Wiener Stadtregierung säße) und die steirische. Das wollen viele andere Bundesländer jedoch gar nicht.

Diese Fragen werden zweifellos zu wilden Auseinandersetzungen führen, die in den Hinterzimmern auch schon begonnen haben. Solche Auseinandersetzungen sind aber genau das, was die ÖVP seit den Kriegen Mitterlehner-Kurz wie der Teufel das Weihwasser vermeiden will. Genau aus dieser Konfliktscheu heraus hat die ÖVP-Führung in diesen Tagen auch das nicht getan, was eigentlich viele ihrer Wähler als dringend notwendig angesehen haben: Das wäre der Hinauswurf jenes Mannes gewesen, der bei koalitionsinternen Verhandlungen einem irren Gleichbehandlungsgesetz zugestimmt hat, das die Zahl der beiden Geschlechter durch die Ideologie-Begriffe "Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck und Geschlechterrolle" weit über Männer und Frauen hinaus ins Absurde ausweitet. Dabei haben nicht nur ÖVP-Frauen diesem Gesetz die Zustimmung verweigert, sondern das hat sogar auch eine grüne Abgeordnete getan! Niemand kann sich also auf ein "Übersehen" ausreden. Hier nicht mit dem Donnerkeil dreinzufahren, ist – trotz des Aufwärtskurses der letzten Monate, den Karl Nehammer durch seine Seriositäts-Ausstrahlung erkämpft hatte – eine schwere Selbstbeschädigung.

Am offensten und aggressivsten von allen Parteien stehen einander aber die Kampflinien in der SPÖ gegenüber. Da gibt es mindestens drei Lager, die einander nicht mögen: Das eine ist die Parteispitze rund um Parteichef Babler, von dem angesichts der steilen Abwärtskurve seiner Umfragewerte freilich niemand weiß, ob es ihn in einer Woche überhaupt noch geben wird. Die anderen beiden Lager standen und stehen dem Traiskirchner Heurigenwirt verachtungsvoll gegenüber (wenn auch ähnlich zur FPÖ mit einem fadenscheinigen Nichtangriffspakt für die Wahlkampfzeit).

Beide stehen aber schon kampfbereit im Schützengraben, um sich gegenseitig in der Frage zu bekriegen, wer Babler-Nachfolger wird: Das eine wird wieder einmal vom Burgenländer Hans Peter Doskozil angeführt. Das andere vom Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke.

In diesem Krieg scheint Hanke auf den ersten Blick die bessere Aufstellung zu haben. Denn er ist wohl der einzige potenzielle SPÖ-Chef, bei dem sich in der ÖVP wahrscheinlich jener Flügel durchsetzen könnte, der lieber eine Koalition mit Rot als mit Blau will. Jedoch ist in SPÖ-Funktionärskreisen ein Mann mit Wirtschaftskompetenz und guten Beziehungen zur ÖVP nur sehr schwer durchzubringen. Das gilt auch für die meisten SPÖ-Bundesländer, die wenig Begeisterung für einen Mann aus dem Wiener Rathaus zeigen.

Das SPÖ-Leid ist mit dem skizzierten Dreikampf Babler vs. Doskozil vs. Ludwig/Hankeaber  noch lange nicht zu Ende. Da haben die beiden Kleinparteien Bier+KPÖ den Sozialdemokraten noch ein paar entscheidende Prozentpunkte weggeknabbert, die für die Roten aus einem blamablen ein erträgliches Wahlergebnis gemacht hätten. Noch schlimmer: In Vorarlberg hat der ganze Landesvorstand der Sozialistischen Jugend eine Wahlempfehlung für die Kommunisten ausgesprochen.

Angesichts all dessen ist es kein Wunder, dass die SPÖ binnen zwei Jahren bei den Umfragen ein volles Drittel ihrer Unterstützer verloren hat und von 30 auf 20 Prozent gestürzt ist.

Bei den Grünen sind zwar keine Fronten in der derzeitigen Regierungsmannschaft zu erkennen – obwohl die Partei massiv verlieren dürfte. Aber eine ganze Reihe anderer Faktoren zeigt, was für ein wirrer und streitsüchtiger Haufen die Grünen sind:

  • Da sind gleich zwei frühere Parteichefs nach wilden Intrigen aus der Partei ausgetreten und haben jeweils eigene Parteien gegründet (Peter Pilz und Madeleine Petrovic) – das hat es noch bei keiner Partei gegeben.
  • Da war die EU-Kandidatin Lena Schilling überhaupt das Jämmerlichste und Blamabelste, was uns irgendeine größere Partei jemals zugemutet hat.
  • Da sind in den letzten Stunden in Deutschland gleich beide Partei-Vorsitzende zurückgetreten, nachdem die Partei auch beim großen Nachbarn ein Debakel nach dem anderen erlitten hat.
  • Da ist Stunden später sogar der ganze Vorstand der dortigen Grünen Jugend zurückgetreten, denen es zuwenig(!) links zugeht.

Bei den Neos toben ebenfalls schwere Meinungsdifferenzen. Das lässt sich ablesen am Rückzug des einzig profilierten Wirtschaftsliberalen Gerald Loacker und am fast schon traditionellen Hin und Her seines Kollegen Sepp Schellhorn, ob er in der Partei bleibt. Das lässt sich noch mehr an der Tatsache ablesen, dass Parteigründer Matthias Strolz soeben seinen Austritt aus der Partei verkündet hat.

Was es auch immer an sonstigen, bisher unbekannten Gründen dafür geben mag: Ganz sicher spielt beim Parteiaustritt von Strolz eine wichtige Rolle, dass Parteichefin Beate Meinl-Reisinger in der von den Neos so inständig erhofften Dreierkoalition selbst Unterrichtsministerin werden will – aber genau dieses Amt strebt auch Strolz an. Ganz sicher spielt bei den Neos-Kontroversen auch der Umstand eine wichtige Rolle, dass die Partei immer mehr von links-feministischen Frauen übernommen worden ist, was Wirtschaftsliberalen keinen Platz mehr lässt. Bei den Neos sind schon von der Gründung an zwei ideologische Lager zusammengeschweißt, die überhaupt nicht zusammen passen.

Bei den übrigen Parteien ist es eigentlich müßig, die Konfliktlinien zu untersuchen. Denn bei ihnen ist es inzwischen fast ausgeschlossen, dass sie ins Parlament kommen. Zugleich muss man allerdings einräumen, dass es bei der relativ bestplatzierten Kleinpartei, bei der Bierpartei, keine Konflikte geben kann, da sie schon statutarisch eine autokratische Ein-Mann-Partei ist: Der tätowierfreudige Musiker und Arzt Dominik Wlazny hat sich mit Hilfe seines Vaters perfekt dagegen abgesichert, dass keine einzige andere Person in irgendeiner Weise einen Auftritt für die Bierpartei absolvieren kann.

Und bei der KPÖ ist es überhaupt schon sehr lange, seit 1956 und 1968, her, dass die letzten Mutigen – angesichts des Dröhnens russischer Panzer in Budapest beziehungsweise Prag – die Partei verlassen haben. Jetzt gilt nur noch der Phrasen-Gleichschritt und das Kommando jener, die den Verein finanzieren.

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