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Österreichs südöstliches Nachbarland lässt immer mehr rätseln. Auf der einen Seite hat Ungarn viele Jahre jede Sympathie verdient, weil die linksliberale Mehrheit in der EU (sowie die Merkel-CDU) das Land aus infamen Gründen extrem unfair behandelt hat. Auf der anderen Seite lässt Ungarn zuletzt immer öfter kopfschütteln. Und immer öfter ist man unsicher, ob das eine mit dem anderen zusammenhängt.
Zuerst jene Aspekte, die – jenseits der persönlichen Sympathie – für die Nachbarn mit der schwierigen und fast keinem Ausländer verständlichen Sprache sprechen. Ungarn entwickelt sich ökonomisch gut und erfreulich. Es hat eine überaus wirtschaftsfreundliche Politik, die schon viele österreichische und deutsche Unternehmen wie auch Pensionisten zur Übersiedlung in das flache Land bewegt haben:
Das alles ist eigentlich der Inbegriff einer liberalen Wirtschaftspolitik und Kern des Erfolgsgeheimnisses Ungarns. Daher hat die ganze Welt verwirrt, dass Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán sich immer einer "illiberalen Politik" rühmt.
Das hat wiederum drei Gründe:
Jenseits dieser (selbstverschuldeten) Begriffsverwirrung vertritt Orbán klassisch liberalkonservative Positionen. Gleichzeitig ist er persönlich durch ein sehr großes Selbstbewusstsein geprägt. Das ist zwar eine bei vielen Spitzenpolitikern anzutreffende Eigenschaft, aber Orbán bemüht sich nicht einmal, sie zu verbergen, sondern liebt die Konfrontation. Das ist wohl sogar Teil seines Erfolges: Er sucht die Konfrontation nicht nur mit konkurrierenden Parteien, was mehr oder weniger alle Politiker der Welt tun, sondern ganz besonders auch mit dem Ausland. Das erinnert an Bruno Kreisky. Auch der hat völlig überflüssigerweise die Konfrontation mit Amerika und Israel gesucht: Das hat ihn im Ausland zum Teil isoliert, das hat ihn im Inland aber bei allen jenen, die von Außenpolitik keine Ahnung haben, populär und zum großen Staatsmann gemacht.
Orbán hat seit Jahren zwei andere Ziele: Das sind die EU-Kommission und der exungarische und sehr erfolgreiche US-Spekulant George Soros, der mit seinem Geld in Ungarn, aber auch anderen osteuropäischen Ländern viele linksliberale Projekte unterstützt.
Das steht in krassem, aber offensichtlich erfolgreichen Kontrast zu anderen liberalkonservativen Parteien in Europa, die das Bekenntnis zu Europa wie einst das christliche Glaubensbekenntnis vor sich her tragen, was ihnen allerdings angesichts vieler Fehlentwicklungen der EU bei den Wählern zunehmend schadet.
Orbán ist mit seiner Streitliebe gegenüber der EU auch insofern glaubwürdig, als er der letzte aktive Widerstandskämpfer gegen die einst Osteuropa so herunterwirtschaftenden Kommunisten in irgendeinem Land ist, der sich schon damals durch seinen kämpferischen Mut etliche Lorbeeren und Popularität geholt hat.
Orbán ist vor allem wegen der zentralen inhaltlichen Punkte populär, bei denen er sich mit der EU-Kommission und dem (noch zentralistischer denkenden) EU-Gerichtshof offene Konflikte liefert:
Sowohl die Anti-Migrations- als auch die Anti-LGBTQ-Politik Orbáns ist (nicht nur in Ungarn) äußerst populär. Beides ärgert die Linken in Europa enorm. Sein EU-kritischer Kurs hat ihm aber auch den Hass der noch immer sehr Merkel-orientierten CDU eingebracht – obwohl sich Orbán in vielen Äußerungen germanophil gibt.
Schwachsinn sind hingegen die Vorwürfe, dass Orbán antisemitisch wäre oder antiziganisch. In Wahrheit hat er sich durch viele Aktionen als Unterstützer von Juden und Roma erwiesen. Besonders auffällig ist, dass Orbán ein aktiver, aber unter den Staaten einsamer Unterstützer von christlichen Gemeinden in der dritten Welt ist, vor allem jener, die unter islamischer Verfolgung leiden.
Aber besonders die ungarische Ablehnung der Umverteilungsmaßnahmen der EU zugunsten von "Flüchtlingen" hat ihm etlichen Hass eingebracht. So muss Ungarn jetzt laut EU-Gerichtshof jeden Tag eine Million Euro Strafe zahlen, weil es sich weigert, solche EU-Migranten aufzunehmen.
Auch das hat Ungarn aber nicht in die Knie gezwungen, obwohl es einer glatten Erpressung gleicht. Die ständigen Attacken aus Brüssel haben das Land jedoch innereuropäisch in eine Isolation geführt. Unverständlicherweise bekommt es nicht einmal mehr von der ÖVP Unterstützung, die noch unter Sebastian Kurz sehr Orbán-freundlich gewesen ist.
Ungarns Antwort besteht nun eindeutig darin, sich außerhalb der EU Freunde zu suchen. Einen solchen hat er eindeutig in Donald Trump gefunden. Das könnte sich bei einem Trump-Sieg im November lohnen. Das könnte aber auch sehr gefährlich werden, wenn Trump unterliegt.
Orbán hat darüber hinaus einen sehr freundlichen Kurs gegenüber Russland und China eingeschlagen. Ganz offensichtlich wollte er damit der EU-Mehrheit zeigen, dass er Alternativen hat. Das könnte Ungarn auch manche Vorteile einbringen. So sind aus China viele Investitionen nach Ungarn verlegt worden, weil die Chinesen dort innerhalb der EU-Außengrenzen agieren und alle Maßnahmen gegen die chinesische Dumping-Politik unterlaufen können. So erhofft sich Ungarn auch Vorteile durch russische Energielieferungen.
Beides liegt aber in offenem Widerspruch zur gesamten westlichen Politik. Vor allem seit Ausbruch des Ukraine-Krieges raubt sein Appeasement-Kurs gegenüber Putin dem ungarischen Premier fast die letzten Freunde im Westen, aber auch in den mitteleuropäischen Visegrad-Staaten (Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn), die lange ein wichtiges Zentrum gebildet haben. Jetzt hat der polnische Außenminister Ungarn sogar öffentlich aufgefordert, die Nato und die EU zu verlassen.
Völliges Unverständnis löst auch aus, dass Ungarn ausgerechnet in Zeiten wie diesen die Einreisebedingungen für russische und belarussische Staatsbürger lockert. Das öffnet Agenten und Spionen aus Russland die Türen in den gesamten EU sehr weit – aber gewiss auch Dissidenten.
Letztlich betreibt Orbán ein gefährliches Poker-Spiel – das aber auch viele Emotionen in Ungarn und anderen mittelosteuropäischen Staaten psychologisch geschickt anspricht. Er signalisiert immer wieder: Ich habe gewagt, die Sowjetunion erfolgreich herauszufordern (zumindest verbal …), da lasse ich mich und damit Ungarn von der EU schon gar nicht unterjochen. Umgekehrt macht man sich halt auch in der EU nicht populär, wenn man diese mit der Sowjetunion vergleicht.
Gewiss wäre aber auf der Gegenseite auch die EU extrem gut beraten, sich mit Ungarn wieder auszusöhnen und als Größere und Mächtigere gelassen die ersten Schritte dazu zu setzen. Aber dazu sind wieder die Feinde Ungarns in der EU viel zu einflussreich und vielfältig, um das zuzulassen:
So sind die linksliberal-eurozentristischen Kräfte munter dabei, nach Großbritannien ein weiteres Land aus der EU hinauszubeißen. Das ist für alle Seiten tragisch. Ganz besonders für Ungarns Nachbarn namens Österreich, der mit dem Land noch dazu so viele historische Verbindungen hat.