Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Österreichs Regierung hat es gewagt, einen Mann und zwar nur einen Mann für die EU-Kommission vorzuschlagen. Dabei hatte doch die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verlangt, dass ihr sowohl ein Mann als auch eine Frau zur Auswahl vorgelegt werden! Diese Forderung ist freilich so wie schon beim letzten Mal eine ziemliche Zumutung und es ist gut, dass sich Österreich ihr widersetzt. Innerösterreichisch ist die Nominierung von Magnus Brunner zwar ebenfalls eine mehr als signifikante Entscheidung. Da bedeutet sie allerdings wenig Gutes.
Das Groteske ist, dass Brunner unter all den zuletzt innerösterreichisch – aus welchen Motiven immer – genannten Namen an sich weitaus der Beste für die Funktion in der Kommission ist. Nichts hat der EU-Kommission in den letzten Jahren mehr gefehlt als eine ausreichende Quantität und Qualität von Menschen, die wirklich etwas von Wirtschaft verstehen, die versuchen, die Union wieder in Richtung auf das umzulenken, was die große (und einzige) Erfolgsstory der europäischen Integration gewesen ist und auch in Zukunft sein wird: also auf den Binnenmarkt, auf die (einstige) finanzpolitische Stabilität, auf den Wettbewerb in einer offenen Marktwirtschaft. Dass die EU auch für den Frieden in Europa verantwortlich wäre, wird zwar in der Eigenpropaganda der EU oft behauptet. Die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich hängt vor allem mit der Nato und den direkten Freundschaftsverträgen zwischen den beiden einstigen Erzrivalen und nicht mit EWG/EG/EU zusammen. Und das friedliche Verhalten Russlands ist sowieso nur eine Schimäre.
Aber angesichts der wirtschafts- und vernunftfeindlichen Fehlentwicklungen der EU in der letzten Zeit, die vom katastrophalen Green Deal über das woke Diversitätsgefasel und den von Brüssel dekretierten Wolfsterror bis zur ebenso katastrophalen Lieferketten-Richtlinie reichen, ist Brunner ein wichtiger Akzent der Vernunft. Es ist das erste Mal, dass aus Österreich jemand mit so klarer Wirtschaftskompetenz nach Brüssel geschickt wird. Das ist in Hinblick auf die EU-Zukunft erfreulich. Das ist doppelt erfreulich, wenn man Brunner vor dem Hintergrund etwa der alternativ genannten Namen Gewessler oder Karas bewertet.
Aber Von der Leyen wollte doch zwei Namen zur Auswahl haben, wird jetzt von vielen Seiten kritisch eingeworfen. Ja, sie wollte. Aber: Nein, sie hat keinen rechtlichen Anspruch darauf. Der Wunsch, sowohl einen Mann als auch eine Frau vorgeschlagen zu bekommen, ist hinter der modischen Tarnung als Frauenförderung in Wahrheit nichts anderes als ein weiteres Vorantreiben des EU-Machtanspruchs gegenüber den Mitgliedsländern. Denen würde durch eine Erfüllung des VdL-Verlangens das im EU-Vertrag stehende Recht zur Nominierung eines EU-Kommissars weitgehend entwunden, das bisher nur an der – seit einer der letzten Vertragsänderungen vorgeschriebenen – Abstimmung im EU-Parlament scheitern konnte.
Auch diese Abstimmung war im Übrigen schon eine problematische Entmachtung der Mitgliedsstaaten, wie man einst an der Ablehnung eines italienischen Kandidaten sehen hat können, dem die linke Mehrheit im Parlament vorgehalten hat, dass er zu katholisch sei, weil er (für sich) Abtreibungen abgelehnt habe.
Neben diesem problematischen Versuch einer weiteren Machtvermehrung der EU-Zentrale auf Kosten der Länder ist das krampfhafte Prinzip der Geschlechterparität, das in der Politik vielerorts zum Evangelium geworden ist, ein klassischer Widerspruch zur eigentlich viel wichtigeren Notwendigkeit, die Besten für Regierungen und Parlamente zu küren. Die bisherige Kommission, die ja schon ein solches Paritäts-Gebilde gewesen ist, ist jedenfalls absolut kein Qualitätsbeweis für dieses Prinzip gewesen.
Hat Bundeskanzler Karl Nehammer den Finanzminister vor allem deshalb für Brüssel vorgeschlagen, um ihn gleichsam aus den Weg zu räumen, weil Brunner häufig als potentieller Nachfolger Nehammers genannt worden war, wenn der derzeitige ÖVP-Chef bei der Nationalratswahl schlecht abschneidet? Das ist nicht auszuschließen – das widerspricht allerdings einem gleichsam gegenläufigen Gerücht, dass Nehammer die ebenfalls im Gespräch für Brüssel befindliche Verfassungsministerin Karoline Edtstadler als Kommissions-Vorschlag deshalb abgelehnt hätte, weil auch sie als Alternative zu Nehammer gilt und weil er ihr deshalb keinen Karriersprung gönnt.
Solche Spekulationen über Nehammers Motive dürften aber eher in die Reihe der im Sommer besonders häufig kursierenden Gerüchte ohne allzuviel Substanz gehören. Diese blühen jetzt vor allem deshalb, weil die Zeitungen sonst wenig zu schreiben haben. Und weil für solche Gerüchte ja über hilfloses Dementieren hinaus nie jemand den Beweis oder Gegenbeweis antreten wird und antreten kann.
Das dürfte auch für die "Enthüllung" des Plans einer angeblich schon abgesprochenen Dreierkoalition ÖVP-SPÖ-Neos gelten, wo gleichzeitig mit der "Enthüllung" auch gleich schon fertig ausgehandelte Ministerlisten verbreitet werden. Dass es diese Absprache wirklich gibt, ist aber aus mehreren Gründen fast auszuschließen:
Die Ministerliste gehört daher wohl eindeutig in die parteipolitische Schmutzwäsche-Kiste, in der sich vor der Wahl noch etliches mehr ansammeln wird. Dass da nur ein kühnes Gerücht in die Welt gesetzt worden ist, macht das Ganze freilich relativ harmloser im Vergleich zu früherem kriminellen Wahlkampf-Schmutz, wie es die SPÖ-Silberstein-Aktionen waren, wie es der Ibiza-Lauschanschlag war. Man könnte geradezu froh sein, wenn da in den nächsten 65 Tagen nicht noch Schlimmeres kommt.
Dennoch kann es keinen Zweifel geben, dass in der ÖVP – für diese Partei absolut typisch – schon jetzt nachgedacht wird, wer auf Nehammer nachfolgen könnte, wenn dieser nach dem erwarteten kräftigen Minus gegenüber dem Triumph bei der letzten (Kurz!-)Wahl wohl oder übel abtreten muss (auch wenn sich zuletzt die ÖVP-Werte etwas stabilisiert haben, und die der FPÖ gesunken sind).
Es ist durchaus möglich, dass auch Nehammer selbst jetzt schon darüber nachdenkt, wie er durch einen Abschuss von innerparteilichen Konkurrenten den Ruf nach seinem Rücktritt abschwächen könnte. Dabei ist es in Wahrheit für die ÖVP aber nicht so sehr seine Person oder die Attraktivität eines Nachfolgekandidaten relevant, sondern es sind die falschen von der Partei ausgesendeten Koalitionssignale für die Zeit nach dem September, welche zu einer Schlappe für die ÖVP führen dürften.
In dieser Hinsicht bedeutet aber auch die Entscheidung für Brunner und gegen Edtstadler ein klares und für die Hoffnung auf eine bürgerliche Koalition nicht sehr positives Signal. Denn in der ganzen ÖVP hat sich seit langem niemand so stark und emotional gegen FPÖ-Obmann Kickl als Koalitionspartner festgelegt wie eben gerade Edtstadler. Sie hat zweifellos auch andere in der Partei in diesem Sinne anagitiert.
Sorgen muss man sich aber auch darum machen, wer für die ÖVP das Finanzministerium übernehmen wird. Denn die weitaus wichtigste Aufgabe des dortigen Chefs muss zweifellos der Mut und das Standing sein, häufig "Nein!" zu Ausgabenwünschen aller Art zu sagen. Weit und breit hat bis auf Martin Kocher niemand die Qualifikation dazu. Aber der Mann ist nicht wirklich in der ÖVP verankert. Was die Übernahme des wichtigsten Ressorts eher unwahrscheinlich macht.
In einer weiteren Hinsicht muss man sich jetzt noch viel größere Sorgen machen: Was haben sich die Grünen eigentlich dafür eingehandelt, dass sie Brunner zugestimmt haben? Nur aus Koalitionstreue und Sorge um Österreichs Image werden sie das wohl nicht getan haben – auch wenn wir die Gegenleistung wohl erst in ein paar Tagen erfahren werden (sonst wäre der Handel ja zu auffällig …). Und da besteht die große Gefahr, dass die ÖVP hinter den Kulissen der Nominierung eines linken Österreichers für den EU-Gerichtshof zugestimmt hat.
Das wäre fatal. Denn in Wahrheit bestimmt der Gerichtshof schon längst noch weit wichtigere gesellschaftspolitische Weichenstellungen als die Kommission. So hat auch Edtstadler selbst gerade mit vollem Recht darauf hingewiesen, dass eine wirkliche Änderung der EU-Migrationspolitik nur durch eine Änderung der Judikatur des EU-Gerichtshofs zu erreichen ist. Bei der Entsendung eines linken Richters wäre daher Österreich mitverantwortlich dafür, dass die Judikatur nicht geändert wird und daher die Migrationskatastrophe weitergeht. Eine falsche Richterbestellung wäre ja nicht mehr reversibel. Ein weiteres grünes Unsinnsgesetz könnte hingegen schon in ein paar Monaten rückgängig gemacht werden.
Noch einmal zurück zur EU: Noch viel spannender als die Brüsseler Reaktion auf die Nominierung Brunners wird sein, wie Von der Leyen und das EU-Parlament insbesondere mit den von Italien, der Slowakei und Ungarn nominierten Kommissaren umgehen. Denn von dort werden mit Sicherheit Vorschläge kommen, die der hinter der Präsidentin stehenden linken Mehrheit absolut nicht passen. Werden Präsidentin und Parlament die Nominierungen dennoch demokratisch akzeptieren?
Oder werden sie sich neuerlich so undemokratisch verhalten, wie es das Parlament in den letzten Tagen so unrühmlich schon getan hat? Denn die massiven Wahlsieger auf der politischen Rechten, so etwa insbesondere die nun drittstärkste Fraktion "Patrioten für Europa", bekamen keinen einzigen der zwei Dutzend in der EU sehr wichtige Parlamentsausschüsse zu leiten. Die Linksradikalen sehr wohl. Das widerspricht jeder demokratischen Gesinnung.
Ausgerechnet die Linke versucht sich aber zugleich als "Verteidigerin der Demokratie" aufzuspielen ...