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Vor Monaten war es noch eine Staatsaffäre: Da wurde ruchbar, dass Sebastian Kurz seinen Vorgänger an der ÖVP-Spitze in einem privaten Chat als "Oasch" bezeichnet hat. Die Moralapostel aller anderen Parteien und fast aller Medien erröteten, schlugen die Hände zusammen und konnten sich ob dieser ungehörigen Diktion gar nicht mehr fassen. Aus der Erfahrung der letzten Tage und Wochen muss man freilich sagen: Die Aufregung war pharisäerhaft. Denn was die damals so entsetzten Politiker gar nicht privat, sondern derzeit gezielt in aller Öffentlichkeit sagen, schlägt den Kurzschen Kraftausdruck bei weitem.
Verbalentgleisungen sind nachgerade ein Markenzeichen des grünen Vizekanzlers Kogler geworden. Hatte er lange Jahre gepflegtes Schimpfen kultiviert, so schlug er jüngst andere Töne an, als er die Enthüllungen über seine Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl, Lena Schilling, als "Gefurze" bezeichnete.
Da will ihm offensichtlich die Klima-Ministerin nicht nachstehen. Jene Leonore Gewessler, die von bindenden Beschlüssen nicht viel hält, wenn sie ihrer Meinung im Weg stehen, ist nicht gerade vornehm, wenn sie über ihre Arbeit spricht: "Wir haben uns jetzt nicht fünf Jahre lang den Arsch aufgerissen, damit Kickl und Konsorten das Klimaticket abdrehen …"
Auch im ORF legt man kaum mehr Wert auf gute Sprach-Sitten. Da sendet man ganz stolz, dass der SPÖ-Chef Babler einer sei, "der sich nix scheißt".
Fein ist anders.
Auch bei FPÖ-Chef Herbert Kickl gibt es keine verbalen Hemmungen mehr. In Hallein erläuterte er jüngst seinen Zuhörern, dass er gar nicht "bei diesen Heuchlern, dieser Inzuchtpartie" bei den Salzburger Festspielen dabei sein wolle.
Die versuchte Schadensbegrenzung durch seinen Generalsekretär war flau: Kickl hätte nur die Politiker anderer Parteien gemeint, die die Festspiele besuchten. Ausgerechnet jener Mann, der für seine markigen Plakat-Formulierungen bekannt war ("Daham statt Islam"), soll jetzt einen beschwichtigenden Erklärer für seine Wortwahl brauchen? Und außerdem: Warum fühlt Kickl sich bemüßigt, Menschen, die sich für Kultur interessieren und dafür auch bereit sind, saftige Eintrittspreise zu zahlen, derartig zu beschimpfen? Als Politiker eines Landes, das sich als Kulturnation empfindet?
Solche verbalen Entgleisungen sagen leider sehr viel über das Niveau aus, auf das die politische Diskussion gesunken ist. Früher war der "Stammtisch" sprichwörtlich, wo mit derben Kraftausdrücken und alkoholbeförderter Respektlosigkeit über Politiker und Politik hergezogen wurde. Diese Stammtische gibt es nicht mehr, aber der dort angeblich gepflogene Stil wurde von der Politik selbst übernommen. Die Damen und Herren glauben wohl, dass sie sich mit solchen Schimpftiraden bei den Wählern anbiedern können. Nach dem Motto: "Ich bin einer von Euch, weil ich so reden kann wie ihr"? Wenn das nur kein Missverständnis ist.
Es stimmt schon: Politiker sollen nicht abgehoben sein. Aber es ist alles andere als abgehoben, einen respektvollen Umgang auch mit dem Gegner zu pflegen, Worte mit Bedacht zu wählen und in der Öffentlichkeit auch in Stresssituationen ein Benehmen an den Tag zu legen, das darauf schließen lässt, dass es das natürliche Verhalten dieses Menschen ist, der sich um ein Amt bewirbt, in dem er auch Repräsentant des Landes ist.
Nein, die Politik ist kein Mädchenpensionat. Aber ein gewisses Niveau in der Auseinandersetzung wäre auch in Wahlkampfzeiten wichtig. Schließlich soll man ja am "Tag danach" miteinander reden, gegebenenfalls auch miteinander regieren können.
Um den grünen Wahlslogan zu bemühen: Sprich, als gäb’s ein Morgen. Das wäre übrigens auch gut fürs Klima – für das innenpolitische Klima, dessen Schädigung tatsächlich menschengemacht ist. Auch von den Grünen, die doch sonst so auf Klimarettung bedacht sind.