Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Finanzminister – brauchen wir den?

"Postenschacher", "Postenmauschelei": Es ist nur noch langweilig, dass die Oppositionsparteien wirklich jede Postenbesetzung durch die Regierung immer mit den gleichen Vokabeln kommentieren. Als ob es nicht sogar eine der obersten Pflichten einer Regierung wäre, zahllose Personalnominierungen vornehmen und sich dazu in einer Koalition naturgemäß auch zusammenstreiten zu müssen. So zuletzt auch bei der Nominierung des österreichischen EU-Kommissars und des Nationalbank-Gouverneurs. Beide gemachten Vorschläge sind an sich auch qualitativ völlig problemlos und gut. Dennoch bedeuten sie nicht nur für die ÖVP, sondern auch für die Republik gewaltige Gefahren, die offenbar niemand ernstnimmt – oder begreift.

 "Postenschacher" oder "Mauschelei" sind Vokabel, die einen politischen Gegner mit Jauche überschütten sollen, ohne dass man konkret etwas Negatives nachzuweisen braucht. Der dahinterstehende Vorwurf ist nicht nur langweilig, sondern auch unsinnig – zumindest solange man nicht auf ein mit diesen beiden Ernennungen verbundenes übles Gegengeschäft stößt. Solange ein solches aber nicht bekannt ist, wollen wir einmal annehmen, dass man einfach einmal eine sachlich richtige Personalentscheidung getroffen hat.

Dass mit Finanzminister Magnus Brunner ein Regierungsmitglied nach Brüssel geht, entspricht überdies einer fast schon automatischen Tradition, deren Sinn durchaus hinterfragenswert ist. Freilich ist es immer ein gewisser Vorteil, der gleichen Fraktion wie die Kommissionspräsidentin anzugehören. Österreich hat jedenfalls bisher immer nur (ÖVP-)Minister in die EU-Kommission entsandt: Franz Fischler, Benita Ferrero-Waldner, Johannes Hahn.

Auch der Wechsel von Wirtschaftsminister Martin Kocher aus der Regierung an die Spitze der Nationalbank ist alles andere als ungewöhnlich. Zumindest in den ersten Nachkriegsjahrzehnten hat es das regelmäßig gegeben: Eugen Margarétha, Reinhard Kamitz, Wolfgang Schmitz oder Stephan Koren kamen alle direkt aus der Regierung (einmal SPÖ, dreimal ÖVP).

Bei keinem dieser Wechsel von der Regierungsbank Richtung EU oder Nationalbank hat es jemals Stänkereien in Hinblick auf Schacherei oder Mauschelei gegeben. Was naturgemäß auch gut für die jeweiligen Ämter ist. Diese Vorwürfe sind relativ neu in der politischen Schlammschlacht.

Von den Wechseln aus der Regierung heraus in Spitzenpositionen ist nur einer ungut in Erinnerung: Das war der Wechsel von Finanzminister Hannes Androsch an die Spitze der Creditanstalt, damals Österreichs größte Bank. Die damalige Kritik befasste sich nicht so sehr mit der Frage, ob Androsch persönlich für den Job geeignet war – das war er –, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass Androsch von Bruno Kreisky nach einem jahrelangen eifersuchtsgeladenen Konflikt in die CA abgeschoben worden ist. Eine solche Entwicklung und Polarisierung mit der Politik ist nicht gut für eine Bank. Und die Regierung, die dann nach seinem Abgang erst so richtig mit dem Schuldenmachen anfing.

Also sind die Avancements von Brunner und Kocher absolut in Ordnung?

Ja, in Hinblick auf Nationalbank wie auch EU-Kommission sind sie das (nur für den ORF in seinem eindimensionalen Denken nicht, der bei den Sommergesprächen vor allem kritisiert hatte, dass das keine Frauen sind).

Nein in Hinblick auf Österreichs Regierung. Denn der Abgang der einzigen beiden Minister mit Wirtschaftskompetenz macht besorgt. Denn Europa und Österreich stehen derzeit wirtschaftlich gar nicht gut da.

Das hängt gewiss auch mit vielen von der Regierung kaum beeinflussbaren Faktoren zusammen, mit  

  • gefährlichen weltwirtschaftlichen Entwicklungen;
  • mit zwei Kriegen;
  • mit schweren (Zinsen-)Fehlentscheidungen der Europäischen Zentralbank,
  • mit der massiven Überregulierung, dem "Green Deal" und wirtschaftsschädlichen Regulierungen durch die EU, wie es etwa die Lieferkettengesetze sind
  • sowie mit der Weigerung der meisten Parteien, eine sinnvolle Pensionsreform zu machen, obwohl deren Ausbleiben inzwischen schon das größte  Finanz- und Wirtschaftsproblem Österreichs ist.

Das hängt aber auch mit großen Handelsnotwendigkeiten zusammen, die auf den Schreibtischen der Regierung liegen. It’s the economy, stupid!

Und ausgerechnet da gehen die beiden wichtigsten Akteure weg. Es gibt zum Unterschied vom letzten Abgang des Finanzministers nicht einmal einen Staatssekretär, der mitregieren gelernt hat und sofort einspringen könnte.

Ziemlich mutig, um nicht zu sagen tollkühn von der ÖVP, so entblößt in einen Nationalratswahlkampf gehen zu wollen. Sind doch überdies weder Parteiobmann noch Generalsekretär noch Klubobmann in irgendeiner Weise als Wirtschaftsexperten bekannt. Dabei ist die ÖVP die einzige größere Partei, die bisher vor allem wegen ihrer Wirtschaftskompetenz gewählt worden ist. Dabei hat die ÖVP sehr viele ihrer erfolgreichsten Wahlkämpfe mit einem Erfolgsduo aus Parteichef einerseits und aus Finanz- oder Wirtschaftsminister bestritten: mit Raab-Kamitz etwa, mit Klaus-Koren, mit Schüssel-Ditz, mit Schüssel-Grasser. Viel weniger erfolgreich war sie, als der jeweilige Chef gleich auch die Wirtschaftskompetenz abdecken sollte, wie mit Molterer, Pröll, Spindelegger, Mitterlehner. 

Jetzt hat die ÖVP auch an der Spitze nirgendwo einen Mann mit Wirtschaftskompetenz. Nichts mehr ist davon zu sehen. Gewiss: Sicherheitskompetenz ist auch wichtig. Aber diese hat die ÖVP gleich mehrfach in der Regierung sitzen. Aber diese ist für eine liberalkonservative Partei derzeit eher erst in zweiter Linie relevant.

Das macht Angst und Bang, nicht nur für die ÖVP. Das macht doppelt Angst, wenn man auch bei den übrigen Parteien ein totales wirtschaftspolitisches Defizit in den Führungsrängen sieht. Dabei hatte die SPÖ einst neben Androsch auch mit Vranitzky, Ruttenstorfer oder Klima Leute mit Wirtschaftskompetenz. Heute hat sie einen Mann an der Spitze, der Venezuelas Maduro oder Griechenlands Varoufakis an gefährlicher Ahnungslosigkeit und Pippi-Langstrumpf-Wunschdenken noch übertrifft, und auch in der zweiten, dritten und vierten Linie ist kein Abgeordneter irgendwie aufgefallen, dem man unsere Staatsfinanzen in die Hände geben könnte.

Die FPÖ hat in Hubert Fuchs einen diesbezüglich herzeigbaren Mann, aber in Herbert Kickl einen Chef, der so wie Andreas Babler bei den Sozialisten wirtschaftspolitisch das Linkeste ist, was die Partei in der zweiten Republik jemals hatte.

Gewiss findet man in Österreich auch Persönlichkeiten, denen man die Führung eines Finanzministeriums sehr gut zutrauen könnte: Wifo-Chef Gabriel Felbermayr etwa, Agenda-Austria-Chef Franz Schellhorn etwa oder Neos-Außenseiter Gerald Loacker etwa. Aber außer Loacker hat keiner einen Parteistempel und will ihn wohl auch nicht haben; und Loacker hat den falschen (wobei alles, was er sagt, völlig anders klingt als der Rest seiner Partei …).

Das wird für die ÖVP ein Problem im Wahlkampf. Und das wird vor allem in der nächsten Regierung ein Problem werden. Denn mehr denn je bräuchten wir vor allem anderen einen Finanzminister mit starkem Standing insbesondere in der eigenen Partei, der einerseits mit voller Energie auf Fortschritten beim Pensionsproblem besteht, und der andererseits mit großer Beharrlichkeit auch den eigenen Freunden Nein zu sagen imstande ist. Dies auch auf die Gefahr hin, dass denen das häufige Nein zu lästig ist und sie ihn dann hinauswerfen. Wie es etwa Sebastian Kurz gleich mit zwei Finanzministern gemacht hatte, um diesen Posten dann mit seinem wirtschaftlich wenig versierten, aber dafür persönlich loyalen Freund Gernot Blümel zu ersetzen. Der ihm wohl nur selten Nein gesagt hat …

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung