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Presserat: Hat er ein Intelligenz- oder ein Objektivitätsproblem?

Der Presserat war immer schon eine recht peinliche Institution. Sowohl aus journalistischer wie auch juristischer Perspektive war und ist er unbrauchbar und ein völlig überflüssiger Vernichter von Steuergeld. Aber jetzt im Fall Lena Schilling kontra "Standard" ist er endgültig zum Skandal geworden. Der gewerkschaftsdominierte Rat hat Schilling gegen den "Standard" Recht gegeben, was an sich schon unverständlich ist. Aber noch viel unappetitlicher ist, dass dieser "Rat" die Jungabgeordnete dabei gleichzeitig – aus juristischer, journalistischer, psychiatrischer oder sprachlicher Ahnungslosigkeit – noch weit schlimmer hingestellt hat, als es meinem Überblick nach irgendein Printmedium auch nur annähernd gemacht hat. Eigentlich könnten Schilling und die Grünen den Presserat jetzt sogar vor einem echten Gericht klagen – was sie aber wohl schon aus Eigeninteresse nicht tun werden. Denn die wollen jetzt sicher vor allem Gras über die Affäre Schilling wachsen lassen.

Tatsache ist: Weder der "Standard" noch die anderen darüber berichtenden Medien haben in irgendeiner Weise von "psychischen Defiziten" der grünen Kandidatin geschrieben. Diese vernichtende Formulierung blieb dem Presserat in seiner abgrundtiefen Inkompetenz überlassen (dass es gar ein Akt absichtlicher Bosheit gewesen wäre, ist eher auszuschließen).

Der Presserat. behauptet, dass es "problematisch" sei, dass der "Standard" anonymisierte Zitate abgedruckt hat, "die ausschließlich persönliche Wertungen und Meinungen zu Schilling enthalten". Allein dieser Satz ist schon mehr als abenteuerlich und eigentlich ein massiver Zensurversuch. Denn das gesamte Medienrecht und nicht zuletzt die Menschenrechtskonvention erlauben und verteidigen ausdrücklich persönliche Wertungen und Meinungen, egal, von wem sie stammen (ein eventuell verbotener Meinungsexzess wird ja nicht einmal behauptet).

Es darf und soll in einem Staat mit Meinungsfreiheit den Lesern überlassen bleiben, ob sie diese Meinungen teilen, egal von wem sie stammen. Dass sie von nicht genannten Menschen stammen, macht sie zwar gewiss weniger gewichtig und überzeugend, deshalb jedoch noch nicht rechtswidrig. Hunderttausende Male  werden in Medien die Meinungen nicht namentlich genannter Menschen zitiert.

Aber vielleicht gibt es ja neben dem geltenden Recht auch noch ein sehr spezifisches Geheimrecht der Presserats-Genossen. Oder gar ein ganz spezifisches Recht zum Schutz grüner Politiker vor kritischen Artikeln über ihre Persönlichkeit. Denn bei Porträts von ÖVP- oder FPÖ-Politikern sind im Medienmainstream ja anonyme Zitate ganz alltäglich.

Danach wird es aber beim Presserat noch viel schlimmer. Danach ist im Presserats-Text nämlich gleich zweimal von "psychischen Problemen" und "psychischen Defiziten" der Frau Schilling die Rede, die ihr vorgeworfen worden wären. Dabei hat man die Frau eigentlich obsiegen lassen wollen, jetzt macht man sie aber zu einem psychischen Fall, taucht sie also noch tiefer in den Gatsch. Das macht fassungslos. Denn von psychischen Problemen oder gar Defiziten zu schreiben haben sämtliche echten Journalisten vermieden. Dort war immer nur von charakterlichen Problemen die Rede. Hätten sie Schilling zu einem Psycho-Fall gemacht, hätte das im übrigen Probleme mit dem echten Medienrecht der echten Gerichte schaffen können. Aber dem Presserat in seinen eigenen Texten ist das ja offensichtlich schnurzegal.

Wörtlich (der besseren Lesbarkeit wegen wurde die Passage um das bei den Presserats-Genossen praktizierte Gendern reduziert, hingegen wurden die offenbar institutionstypischen schweren Grammatikfehler belassen) heißt die entsprechende Passage:

"Insgesamt entsteht bei den Lesern der Eindruck, dass Lena Schilling einen mangelhaften Charakter und möglicherweise sogar an psychischen Problemen leiden könnte. Ein derartiger Vorwurf seitens eines Mediums ist auch gegenüber Politikern ungewöhnlich und wiegt unverhältnismäßig schwer. Überdies ist der (subtile) Vorwurf psychischer Defizite geeignet, das berufliche und soziale Fortkommen Schillings nachhaltig zu schädigen bzw. erheblich zu erschweren." 

Als ich einst das linke Getratsche, Intrigieren  und "Gefurze" (O-Ton Grün-Chef Kogler) rund um Schilling gelesen habe, war mir die Dame, die jetzt namens der Grünen im EU-Parlament sitzt und dort für uns gültige Gesetze mitentscheiden kann, gewiss nicht sympathischer geworden. Aber außer der namentlichen Verleumdung der Familie Bohrn Mena war da nichts wirklich Aufregendes oder Konkretes dabei. Und jedenfalls nichts, was in einem Rechtsstaat schlimmer wäre als Schillings bekannte Straßenblockiererei. Ansonsten drängte sich eher die Frage auf: Gibt es begründete Zweifel, dass die Zeitung die Interviews in der linken Szene, in der sie ja selbst tief drinnensteckt, erfunden hätte? Ich fand keinen Grund, das dem "Standard" zu unterstellen. Eine andere Frage war: Wie weit wollte das Blatt mit der großangelegten Recherche der SPÖ helfen, die ja im gleichen Tümpel angelt. Das ist für mich keineswegs eindeutig klar geworden. Das war aber nicht Thema des "Verfahrens".

Vor allem aber war im "Standard" und in den anderen Zeitungsberichten nicht einmal eine Andeutung davon zu lesen, dass Schilling psychische Probleme und Defizite hätte. Von solchen wörtlich zu reden, blieb ganz allein dem Presserat überlassen. Was nicht dadurch besser wird, dass man es anderen in den Mund legt.

Dieser Tiefpunkt erinnert mich an meinen einzigen Berührungspunkt mit dem Presserat, der mich einst so empört hatte, dass ich ab diesem Zeitpunkt jeden Kontakt mit dem Gewerkschaftsgremium eingestellt habe. Der Balkan-Korrespondent der von mir geleiteten Zeitung hatte über jugoslawische (serbische) Gräueltaten im Balkankrieg berichtet. Diese Gräueltaten sind dann später allesamt vom Internationalen Strafgerichtshof bestätigt worden und haben zu mehreren Strafurteilen geführt. Freilich gab es diese Urteile zum Zeitpunkt des Korrespondenteberichts noch nicht. Daher glaubte der Presserat damals, uns oder den Korrespondenten verurteilen zu müssen (ganz offensichtlich war er ganz ähnlich wie die Vranitzky-SPÖ noch ganz auf die Liebe zu "Jugoslawien" eingestellt). Allen Ernstes wurde verlangt: Wir oder der Korrespondent hätten unbedingt die – damals noch existierende – jugoslawische Botschaft um Stellungnahme bitten müssen! Diese hätte natürlich täglich gesagt, was der Korrespondent da aus Srebrenica & Co berichtet, sei erstunken und erlogen, denn die Serben wären die friedlichsten Menschen.

Zum Glück hat es solche Nebochanten-Gremien wie den Presserat zur Zeit des Adolf Hitler noch nirgends gegeben. Man stelle sich vor, dass auch die Russen jeden Artikel eines Korrespondenten über ihre Aggressionen in der Ukraine vor den Presserat bringen und obsiegen, weil keine Stellungnahme der russischen Botschaft enthalten ist, die ja nicht einmal einen "Krieg"  beim Namen nennen darf, sondern nur von einer "Spezialoperation" zur Entfernung von Nazis reden darf. Dabei wird ohnedies jede Äußerung von Wladimir Putin berichtet, so wie in den Jugoslawienkriegen einst ständig die Wortmeldungen der Herrn Milosevic, Mladic, Karadzic wiedergegeben worden sind.

Nein, ein solches Gremium ahnungsloser Funktionäre und Schreibtischtäter ist überflüssig, ist abzuschaffen. Vor allem sollte kein Steuercent dorthin fließen, oder gar Zeitungen gezwungen werden, seine "Entscheidungen" zu veröffentlichen.

Noch ärgerlicher ist freilich, dass es für den Zwangsgebühren kassierenden ORF kein solches Skurrilgremium gibt. Dem erlaubt die staatliche Rundfunkbehörde de facto alles.

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