Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Selten ist die fast flächendeckende Berichterstattung so manipulativ, so einseitig gewesen wie jene über die französischen Wahlen. Das trifft auf all jene Medien zu, die lediglich über die Zahl der errungenen Sitze berichtet haben, nicht aber über die absolute Zahl der für die einzelnen Parteien abgegebenen Stimmen oder deren relativen Anteil. Also auf fast alle Medien. Fast nirgendwo wird berichtet, dass diese beiden Werte total auseinanderklaffen. Dass bei den abgegebenen Stimmen eindeutig der Rassemblement National der Wahlsieger ist, sowohl in absoluten Zahlen als auch beim relativen Anteil wie auch im Vergleich zur letzten Wahl. Dass die französische Linke ihren Erfolg allein dem dortigen Wahlsystem und der Unterstützung durch Emmanuel Macron zu verdanken hat. Dass sie in Prozentanteilen schlechter liegt als etwa die Linke in Österreich.
Denn diese liegt bei den Umfragen knapp unter 39 Prozent, wenn man die Unterstützer der SPÖ, der Grünen, der Kommunisten und der Bierpartei zusammenzählt, also genau jenes Spektrums, das der linken Volksfront in Frankreich entspricht. Diese hat dort im zweiten Wahlgang knapp 26 Prozent erzielt, im ersten – also noch vor dem französischen Stimmenschacher – waren es interessanterweise noch 28 gewesen.
Der RN hat hingegen jetzt 32 Prozent der Stimmen errungen, im ersten Durchgang waren es noch 29 gewesen. Mit anderen Worten: Die Linke hat im zweiten Wahlgang etliches geopfert, um aber einen Triumph an Mandaten zu erzielen.
Auch im Vergleich zu den letzten Wahlen hat der RN klar dazugewonnen; und die Linksparteien haben verloren. Der RN hat lediglich in Relation zu den Vorberichten vor der Wahl "verloren", als die französischen Medien und Parteien intensiv die Möglichkeit/Gefahr/Chance einer absoluten Mehrheit für das RN an die Wand gemalt haben.
Noch drastischer wird das Bild, wenn man beim RN jene 9 Prozent der gültigen Stimmen dazu rechnet, die diversen rechten, darunter auch rechts vom RN stehenden Listen zugekommen sind. Auf der Linken finden sich nur 1,5 Prozent, die nicht schon bei der Volksfront sind.
Um das Bild zu vervollständigen: Die Präsidenten-"Mehrheit" hat 23 Prozent errungen und die ebenfalls der Mitte zuzurechnenden Republikaner (das sind vor allem frühere Gaullisten) 5 Prozent.
All das kommt in der Mainstream-Berichterstattung mit keiner Zeile vor. Das alles erfährt man erst, wenn man sich auf französischen Seiten informiert. Dort zeigt sich – ebenfalls im Gegensatz zu den Berichten hiesiger Medien –, dass die Wahlbeteiligung auf 67 Prozent zurückgegangen ist. Und von den zur Wahl Gegangenen haben 5 Prozent, also ebenfalls auffallend viele, nicht gültig gewählt. Das ist beides eine massive Misstrauenserklärung an das politische Angebot.
Man muss ja wirklich kein Sympathisant von Marine Le Pen sein, um als Leser, Seher, Hörer zu verlangen, vollständig und korrekt informiert zu werden. Zumindest dann, wenn man es für einen Grundbegriff der Demokratie ansieht, dass im Grund jede Stimme gleich viel wert ist. Gewiss: Wahlrecht ist Wahlrecht, und das kann zu etwas anderen Ergebnissen führen. Aber so groteske Unterschiede wie in Frankreich gibt es sonst nirgends. Und davon sollte man als Medienkonsument zumindest erfahren. Denn bei jedem anderen Wahlrecht müsste von einem großen Le-Pen-Sieg berichtet werden.
Ebenso sollte man sich die Ursache dieses diesmal besonders krassen Auseinanderklaffens klarmachen: Die liegt einzig und allein darin, dass Macron und seine "Mehrheitspartei" der Linken zu ihrem relativen Wahlsieg verholfen haben. Da in der Stichwahl in Frankreich (je nach Stimmanteil) in manchen Wahlkreisen auch oft dritte und bisweilen sogar vierte Kandidaten auf dem Stimmzettel gestanden sind, kann der plötzliche Rückzug der Dritten und Vierten das Ergebnis natürlich beeinflussen. Genau das haben die Macron- beziehungsweise Linken-Kandidaten zugunsten der jeweils anderen Partei überall dort gemacht, wo sie nur an dritter oder vierter Stelle gelegen sind. Insgesamt haben sich aus diesem Grunde 200 Kandidaten von Macron-Partei oder Volksfront zurückgezogen.
Das hat zwar auch Macrons Partei ein paar Mandate zusätzlich gebracht. Macron hat sogar drei Prozentpunkte dazugewonnen, während die Linke zwei verloren hat. Das ist aber der endgültige Beweis, dass viele heute sich als liberal bezeichnende Parteien ganz eindeutige Linksparteien sind, dass sie selbst vor Kommunisten, Grünen und extrem populistischen Linkssozialisten als Partner nicht zurückschrecken. Friedrich August Hayek, der große Übervater aller echten Liberalen, müsste sich im Grab umdrehen.
Macron hat ja den Rechten keineswegs ein ähnliches Angebot gemacht. Dass die liberalen Parteien heute meist links ticken, hat man in Deutschland aber auch schon an der Teilnahme der FDP an der linken Ampel und in Österreich am gesamten Verhalten der Neos ablesen können. Das beweist, dass es Macron mit seinen Reformabsichten nicht wirklich ernst gemeint gewesen sein kann, von denen er ja mit der Linken kein einziges verwirklichen kann.
Stets hat man die Mehrheitswahlsysteme damit begründet, dass sie zwar undemokratischer sind, dass sie zwar den Wählerwillen keineswegs maßstabsgetreu abbilden, dass sie aber hilfreich sind, damit es regierungsfähige Mehrheiten gibt. Nun: Selbst diesen Vorteil hat das französische System eindeutig nicht bringen können.
Auch in Hinblick auf die britischen Wahlen ein paar Tage davor ist bei der Berichterstattung das gleiche Phänomen wie bei den französischen zu beobachten gewesen. Dort hat in der Berichterstattung, aber auch bei den Parlamentssitzen Labour zwar einen absoluten Erdrutschsieg erzielt. In Prozenten sieht es aber ganz anders aus: Da hat Labour nicht einmal 34 Prozent. Die Tories haben zwar gar nur 24 Prozent erreicht und stark verloren – aber rechts von ihnen gibt es nun die Reformpartei mit 14 Prozent, die in Sachen Migrantenabschiebung und Brexit noch deutlich klarer rechts steht als die Konservativen.
Gewiss, bei Labour kann man ideologisch noch die 6 Prozent für die Grünen und die 2,5 für die schottischen Nationalisten dazurechnen. Aber auch hier ist ganz eindeutig zu sagen: Selbst durch diese Additionen gibt es in Hinblick auf die Wähler weder links noch rechts eine Mehrheit. Das heißt: Bei einem Wahlrecht wie etwa in Österreich oder Deutschland hätte in Großbritannien weder die Linke noch die Rechte eine regierungsfähige Mehrheit, sondern die Liberaldemokraten würden entscheiden, wer von den beiden regieren darf.
Das heißt nicht unbedingt, dass Großbritannien oder Frankreich defizitäre Demokratien wären. Immerhin sind die jeweiligen Spielregeln ja bekannt gewesen. Dennoch ist es infam, dass in der Berichterstattung das wichtigste Element jeder Wahl einfach unter den Tisch gefallen ist.
PS: Noch schwächer ist übrigens das Abschneiden der französischen Linken, wenn man ihren Anteil an den insgesamt Wahlberechtigten misst (egal ob diese gewählt haben oder nicht): Da hat der "Wahlsieger", der jetzt gewaltige Forderungen erhebt, ganze 16 Prozent der Franzosen hinter sich …
PPS: Entlarvende Gratulation aus Deutschland: Während die meisten bürgerlichen Politiker betreten zum Wahlergebnis schwiegen, hat ausgerechnet Peter Altmaier, der engste Mitarbeiter Angela Merkels während ihrer Regierungszeit, den Franzosen begeistert gratuliert. Wozu auch immer ...