Die vielen Gründe für die bevorstehende Tory-Schlappe
03. Juli 2024 00:57
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 4:30
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird jetzt in Großbritannien eine konservative Regierung von einer sozialistischen abgelöst werden. Das kann man wohl jetzt schon mit Sicherheit sagen, denn seit Jahrzehnten ist nirgendwo die Demoskopie so weit daneben gelegen, dass ein Wahlsieg der Tories noch möglich erscheinen könnte. Ein solches Wahlergebnis geht scheinbar gegen den gesamten europäischen Trend, der ja eindeutig nach rechts zeigt. Die zu erwartende deutliche Niederlage der Konservativen klingt jedoch nur auf den ersten Blick erstaunlich, ist aber auf den zweiten Blick völlig logisch – und sie bedeutet vor allem gar keinen Linkstrend. Diese Entwicklung im zweit- (oder wenn man Russland dazunimmt: dritt-)größten Land Europas hat 14 klare Gründe. Sie bringt auch eine interessante Lehre für Österreich.
Die wichtigsten Aspekte:
- Großbritannien ist reif für einen Wechsel nach 14 Jahren konservativer Regierungszeit. Demokratie heißt in den Ohren der Menschen ja vor allem: Wir können die Machthabenden austauschen, damit sie sich nicht allzu sehr an die Macht gewöhnen.
- In Downing Street hatten in dieser Zeit nicht weniger als fünf konservative Premiers regiert (Cameron, May, Johnson, Truss, Sunak). Das strahlt schon durch die allzu große Wechselhäufigkeit alles andere als Führungssicherheit aus.
- Noch schlimmer: Bis auf den amtierenden Rishi Sunak sind alle von parteiinternen Revolten gestürzt worden, wobei manche Revolten einen lächerlichen Anlass hatten. Das gilt etwa für die Veranstaltung von während Corona nicht erlaubten bürointernen Feiern durch den populärsten Tory-Führer, Boris Johnson. Kein Wunder, dass auch bei Sunak längst schon vor der Wahl das Sesselsägen und der Wettlauf eingesetzt haben, wer ihm nachfolgen soll.
- Die Konservativen sind innerlich tief gespalten. Zuerst zeigte sich eine tiefe Kluft rund um den Brexit. Dann spaltete vor allem die Frage, was wichtiger sei: Ist es die Senkung der Steuern, um die Wirtschaft anzukurbeln, oder ist es der Kampf gegen das Defizit, um die Märkte zu beruhigen und die Zinsen hinunterzukriegen? Schließlich spaltete auch die Frage, ob man gleich aus der Menschenrechtskonvention austreten solle, weil diese zur Förderung der Migration benutzt wird. All diese Kontroversen wurden öffentlich mit aller Erbitterung ausgetragen.
- Die Konservativen haben – freilich auch wegen des Widerstands von Richtern und Oberhaus – bis zuletzt keine funktionierende Lösung für das auch in Großbritannien im Vordergrund stehende Migrationsproblem umsetzen können. Zwar haben sie im Unterschied zur gesamten EU wenigstens ein Wirkung versprechendes Lösungsmodell aufgebaut – aber bisher ist kein einziges Flugzeug mit illegalen Migranten Richtung Ruanda gestartet. Das ist nach 14 Jahren, da dieses Problem immer größer geworden ist, halt sehr spät und nicht mehr wirklich glaubwürdig.
- Wie in vielen Ländern spielt das überall durch die Alterung der Bevölkerung finanziell und personell schwer in die Krise gekommene Gesundheitssystem eine politisch große Rolle. Dabei schauen die jeweils Amtierenden schlecht aus. In Großbritannien mit seinem total verstaatlichen System NHS tut es das ganz besonders.
- Noch relevanter ist, dass Labour mit Keir Starmer einen rechten Sozialdemokraten aufgestellt hat, nachdem die Partei sehr linke und daher erfolglose Chefs gehabt hatte. Das nimmt vielen konservativen Warnungen vor einem Labour-Erfolg die Wirksamkeit.
- Starmer hat ausdrücklich versprochen, die Körperschaftssteuer, also jene Steuer, die Unternehmen zahlen müssen, in den nächsten fünf Jahren nicht zu erhöhen. Er will auch etliche investitionsfördernde Gesetze der Konservativen nicht angreifen, obwohl sie von Labour kritisiert worden sind. Er kann mit guten Gründen als geistiger Nachfolger seines väterlichen Freundes Tony Blair und dessen bei Linken so verhassten neoliberalen Kurses angesehen werden.
- Starmer hat überdies angekündigt, dass er am Brexit festhalten werde. Er hat erkannt, dass der Brexit zwar deutlich an Unterstützung verloren hat, aber dass die Briten noch weniger ein ständiges Hin und Her, ein Hinein und Hinaus und Hinein wollen.
- Die Umfragewerte von Labour liegen zwar nicht mehr bei 50 Prozent wie vor zwei Jahren, auf die sie Starmer von den 29 Prozent gebracht hatte, bei denen er die Partei übernommen hat. Aber die 36 Prozent, die ihm Umfragen jetzt am Ende des Wahlkampfs geben, sind noch immer doppelt so viele Wähler, wie für die Konservativen stimmen wollen.
- Das Allerwichtigste aber ist das britische Wahlsystem. Dort bekommt in jedem der britischen Einerwahlkreise jener Kandidat das Mandat, der auch nur eine Stimme mehr als der bestplacierte Zweite hat. Dort gibt es keine Stichwahlen wie in Frankreich oder bei österreichischen Präsidenten- und Bürgermeisterwahlen. Damit reichen in Großbritannien mit Sicherheit in einer gespaltenen Parteienlandschaft 36 Prozent der Stimmen für eine absolute Mehrheit.
- Was bei den heimischen Mainstreammedien völlig untergeht: Bei einem Verhältniswahlrecht wie bei österreichischen Parlamentswahlen hätten die drei Parteien rechts von Labour zusammen 50 Prozent erreicht! Die Konservativen 18, die Reformpartei 17 und die Liberaldemokraten 15 Prozent.
- Daher könnte man auch mit gutem Grund räsonieren: Das bevorstehende Wahlergebnis ist gar kein Linkstrend, sondern eine Folge des britischen Wahlsystems "The winner takes it all". Es zeigt wieder einmal, wie problematische und eigentlich auch undemokratisch solche Mehrheitswahlsysteme sind, wenn es keinen zweiten Wahlgang gibt.
- Man kann sogar von einem Rechtstrend mit linken Folgen sprechen. Denn die Reformpartei mit dem Brexit-Politiker Farage steht eindeutig rechts von den Konservativen. Nicht nur in Sachen Brexit, sondern auch in Sachen Migration.
Die Entwicklung in Großbritannien, genauer die Erfolglosigkeit linker Sozialistenchefs und der Erfolg gemäßigter, rechter Chefs bringt auch eine Lehre für Österreich, genauer die SPÖ. Mit einem Linksaußen-Chef Andreas Babler hat man genausowenig Chancen wie Labour davor mit Jeremy Corbyn. Solche linke Sozialisten gewinnen immer nur auf Parteitagen, nicht aber bei den Wählern. Rechte Sozialdemokraten hingegen sind von Großbritannien bis Dänemark eine ziemlich sichere Erfolgsbank.
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