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Die bürgerliche Verzweiflung

Nach der erwartbar gewesenen krachenden Niederlage der 14 Jahre regiert habenden britischen Konservativen findet in wenigen Stunden auch in Frankreich der letzte Akt der Selbstzerstörung der bürgerlichen Mitte statt. Der von den Sozialisten gekommene, aber sich dann liberal etablierende Staatspräsident Macron hat die verbliebenen Wähler seiner Partei aufgefordert, im alles entscheidenden zweiten Durchgang der Parlamentswahl überall dort für die linkssozialistisch-kommunistische Volksfront zu stimmen, wo deren Kandidaten unter den zwei für die Stichwahl Bestplatzierten sind, nur um den Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen zu bekämpfen. Aber nur die Hälfte dieser Macron-Wähler ist (je nach Umfrage zu 41 bis 62 Prozent) bereit, das auch wirklich zu tun. Mit gutem Grund. Denn sie haben sich offensichtlich genauer angeschaut, wofür diese Linke und ihr Frontmann stehen. Das ist schockierend.

Mit seinem Stichwahlaufruf kann Macron zwar vielleicht noch knapp eine absolute Mehrheit für den RN verhindern. Damit hat er aber endgültig den Totenschein für die bürgerliche Mitte ausgestellt. Deren anderer Teil, die gaullistischen Republikaner, haben das schon ein paar Tage zuvor gemacht, als sie den eigenen Parteichef hinausgeschmissen haben, nachdem dieser für eine Kooperation mit dem RN bei Stichwahlen eingetreten war, um im Gegenzug ein paar Republikaner ins Parlament zu bringen.

Die Wahlempfehlung von Macron heißt endgültig, dass er mit der extremen Linken ein Bündnis eingeht. Das könnte bedeuten,

  • dass er damit zwar Le Pen und ihre Partei vorerst noch von der Macht, wahrscheinlich auch von der geteilten Macht einer Cohabitation fernhalten kann;
  • dass dieses Bündnis mit der Linken aber für die bürgerliche und liberale Mitte letal enden wird (so wie es das ja auch der deutschen FDP gerade passiert);
  • aber auch, dass Marine Le Pen in zwei Jahren mit Sicherheit die Präsidentin Frankreichs wird.

Damit findet nun auch in Frankreich ein bürgerliches Trauerspiel statt. So wie in Italien und Spanien, wo die einst dominierenden Christdemokraten so weit nach links gegangen sind, dass sie dadurch total ins Nirwana abgestürzt sind. Da wie dort hat an ihrer Stelle eine lange als faschistisch oder rechtsextremistisch denunzierte Partei die klare Führung im nichtsozialistischen Lager übernommen. Aber entgegen allen Prophezeiungen haben weder in Spanien noch in Italien Regierungen unter diesen bösen Parteien in irgendeiner Weise ein Unheil angerichtet. Ganz im Gegenteil. Vor allem die italienische Regierung Meloni gilt vorerst als absolutes Erfolgsmodell.

In beiden Ländern waren es jedenfalls nicht die Wähler, die nach rechts gegangen sind, sondern die Mitteparteien haben sich im Glauben, "modern" sein zu müssen, nach links bewegt, während die Parteien mit historisch faschistischen Wurzeln heute eindeutig demokratisch und gemäßigt geworden sind. Und damit auch für die ehemaligen Wähler der Christdemokraten problemlos wählbar.

Es ist rational nicht nachvollziehbar, warum Frankreichs so lange erfolgreich als Gaullisten beziehungsweise Macronisten regierende Mitte sich jetzt nach einem ganz ähnlichen Muster ebenfalls in die Luft sprengt (noch dazu, wo sie sich nicht wie die Mitteparteien etwa in Italien durch Skandale selbst ruiniert hat).

Es ist zwar nachvollziehbar, dass Macron sich vor einer Machtübernahme durch die lange dämonisierte Le-Pen-Partei fürchtet. Aber es ist absolut irre, dass er sich nicht noch viel mehr vor der Linken fürchtet.

Gewiss, der linke Mainstream-Journalismus sieht in einer Volksfront kein Problem, selbst wenn man ihn in seiner Antifa-Begeisterung daran erinnert, dass eine solche Volksfront ziemlich genau das SED-Modell einer "Sozialistischen Einheitspartei" ist. Das ist ihnen alles egal. Aber die Franzosen selbst sollten eigentlich besser wissen, wofür der starke Mann der Volksfront (NFP), der Führer der Linkspartei Jean-Luc Mélenchon, steht. Dagegen erscheint das ganze Programm und Auftreten des RN als absolut gemäßigtes Konzept der Mitte.

Zu Mélenchon gehören unter anderem folgende Positionierungen:

  1. die Forderung nach Austritt aus der Nato,
  2. die Aussage, Russland sei "unser Partner",
  3. die Forderung nach einem Anschluss der französischen Territorien in Südamerika an ein Bündnis mit dem kommunistischen und total heruntergewirtschafteten Venezuela,
  4. eine Solidaritätsdemonstration nach dem Tod Fidel Castros,
  5. eine einseitig propalästinensische Demonstration gegen den Krieg in Gaza,
  6. die Ablehnung einer Teilnahme an einer gemeinsamen Kundgebung gegen den Antisemitismus nach dem Anstieg antisemitischer Verbrechen in Frankreich,
  7. die Forderung nach einer radikalen Senkung der CO2-Emissionen um 65 Prozent,
  8. das Verlangen eines gleichzeitigen Ausstiegs aus der für Frankreichs Wirtschaft existenziellen Atomnutzung,
  9. die Forderung nach einer hundertprozentigen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien,
  10. die Forderung nach der Verstaatlichung wichtiger Großunternehmen,
  11. die Forderung nach einem Rentenantritt mit 60 Jahren,
  12. die Forderung nach einer Verlängerung des Urlaubs auf sechs Wochen,
  13. die Forderung nach einer Wochenarbeitszeit von 32 Stunden,
  14. die Forderung nach einem Verbot für Unternehmen, Arbeiter aus "börsebedingten" Gründen zu entlassen (was auch immer das genau heißen soll),
  15. die Forderung nach der Auflösung der privaten Zusatz-Krankenversicherungen,
  16. die Forderung nach einem Referendum über einen Austritt aus der EU,
  17. die Forderung nach Abschaffung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts,
  18. die Forderung nach der Schaffung von 200.000 zusätzlichen Beamtenposten,
  19. die Forderung nach einer 90-prozentigen Einkommensteuer für Einkommen ab 400.000 Euro,
  20. die Forderung nach einer Erhöhung der Vermögenssteuer,
  21. die Forderung, dass die Judikatur dem Parlament unterstellt werden soll.

Das ist eine ganz anderer Linke als die jetzt in Großbritannien siegreiche Labour-Partei, die überaus vernünftig agieren dürfte.

Es ist ein absoluter Irrsinn, was da gefordert wird – und es ist ein noch größerer Irrsinn, wenn liberale und konservative Politiker das zumindest durch ihren Stichwahlaufruf unterstützen. Damit macht Macron die Erinnerung an viele positive Elemente seiner Politik vom Kampf für eine Pensionsreform bis zur Unterstützung für die Ukraine total zunichte. Wo findet er auch nur eine einzige so schlimme Position im Programm des RN?

Gewiss, Mélenchon ist nicht alleine die Volksfront. Nur ist er unbestreitbar dort der Taktgeber und wird darauf bestehen, dass etliche seiner Forderungen realisiert werden. Daher macht sich jeder mitschuldig an Frankreich, aber auch Europa, der solche Positionen durch die Bildung einer gemeinsamen Front oder durch einen Aufruf zur Stichwahl unterstützt.

PS: Ob es dem RN schadet, dass vier Fußball-Nationalspieler ihren Auftritt bei der Europameisterschaft zu inhaltlich diffusen Attacken auf die rechten "Extremisten" genutzt haben, darf bezweifelt werden. Zweifellos haben alle Franzosen vermerkt, dass alle vier einen schwarzafrikanischen Hintergrund haben, während jene mit europäischem Hintergrund klugerweise schweigsam geblieben sind. Das bestätigt im Grund, dass die Linke eine Migrantenpartei geworden ist.

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