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Was hat Nehammer verstanden?

Karl Nehammer hat die "Botschaft verstanden", so erklärte er am Wahlabend nach der EU-Wahl. Nur hat er uns leider nicht mitgeteilt, welche Botschaft er eigentlich verstanden hat. So einfach sollte er aber nicht glauben davonzukommen, dass jetzt jeder Nicht-mehr-ÖVP-Wähler inhaltlich einfach das darunter versteht, was er als Botschaft an Nehammer abgesandt hat. Denn fast jeder hat da ja etwas Unterschiedliches beabsichtigt.

Es gibt aber klare Fakten, die Nehammer helfen würden, wirklich zu verstehen, was er bisher vielleicht nur vorgegeben hat, verstanden zu haben. Es geht darum, zu verstehen, was eigentlich so viele Nicht-mehr-ÖVP-Wähler zum Abgang von der ÖVP bewogen hat und wie er sie am ehesten zurückholen kann. Das Studium dieser Fakten würde den ÖVP-Chef zu einer klaren Richtungsänderung bewegen:

  1. Er sollte sich dazu als erstes die Wählerstromanalyse des jüngsten Wahltages anschauen. Da gibt es zwar eine verwirrende Fülle von Strömen, aber einer ist eindeutig der dickste: der von der ÖVP zur FPÖ.
  2. Er sollte erkennen, dass sich die wichtigsten Wählermotive gerade der ÖVP-Wähler nur in einer Koalition mit der FPÖ umsetzen lassen: Das sind die Ablehnung von Migration, Islamisierung und des "Green Deals" mit all seinen Auswirkungen.
  3. Er sollte sich die Strategien jener ÖVP-Chefs anschauen, welche die Partei zu den weitaus größten Wahlerfolgen der letzten Jahrzehnte geführt haben. Das waren die Herren Alois Mock, Wolfgang Schüssel und Sebastian Kurz: Sie alle haben ausdrücklich schon vor der Wahl gesagt, dass sämtliche anderen Parteien als Koalitionspartner in Frage kommen, also auch die FPÖ. Hingegen haben die Wahlverlierer Mitterlehner, Pröll, Molterer, Busek, Riegler in irgendeiner Form eine Brandmauer nach rechts aufzurichten versucht – und sich dabei selbst verbrannt.
  4. Er sollte sich auch jene sehr linken Blogger anschauen, die – richtig – erkannt haben, dass die ÖVP nur mit einem "Kurz II" Chancen hätte, die verlorenen Wähler zurückzuholen, auch wenn er nicht Kurz heißt. Und nicht etwa mit einem Mitterlehner II.
  5. Er sollte sich bewusst machen, dass bei der Europwahl 650.000 ÖVP-Wähler daheimgeblieben sind. Ein gewaltiges Potential, vor allem, weil diese Wähler noch nicht anderswo angedockt haben.
  6. Er sollte sich auch jene Studien anschauen, denen zufolge sich eine Mehrheit der Österreicher politisch selbst rechts der Mitte positioniert.
  7. Er sollte sich auch die Wahlergebnisse von Rot wie Grün anschauen. Die haben nämlich ebenfalls deutlich verloren.
  8. Er sollte auch den europaweiten Rechtstrend anschauen und das traurige Schicksal jener Parteien, die mit Linken koalieren.
  9. Er sollte sich auch die theoretischen Koalitionsmöglichkeiten anschauen. Da wäre wahrscheinlich nur eine einzige Zweiparteien-Koalition möglich, und auch die wäre nur sehr knapp, nämlich jene zwischen ÖVP und FPÖ.
  10. Er sollte wissen, wie verheerend Mehrparteienregierungen abschneiden; das könnte er sich etwa bei Deutschlands Ampel anschauen.
  11. Er sollte sich dort insbesondere das Schicksal der einzigen nichtlinken Partei in einer Koalition mit zwei linken Parteien anschauen. Das ist die FDP: Diese bekommt nach allen Umfragen nicht einmal mehr die Hälfte der Stimmen von der letzten Wahl, sie muss sogar zittern, ob sie überhaupt ins Parlament einzieht.
  12. Er sollte sich auch die Inhalte der Parteiprogramme ansehen. Da gibt es keine Partei, deren Positionen inhaltlich in Summe denen der ÖVP so ähnlich sind wie jene der FPÖ – außer den Neos im Bereich der Wirtschafts- und Außenpolitik. Diese sind aber viel zu klein für eine Regierungsbeteiligung; und sie stehen gesellschaftspolitisch so weit links, dass sie deutlich mehr Stammwähler vertreiben würden, als es die FPÖ als Partner täte.
  13. Er sollte auch erkennen, dass sich keine Partei der Welt ihren Chef abschießen lässt – und schon gar nicht von außen, und schon gar nicht nach gewonnenen Wahlen.
  14. Er sollte begreifen, dass Sprüche wie "Wir wollen gestalten, aber nicht spalten" im Ohr der Wähler so ankommen: "Wir wollen weiter Macht haben, aber keine klaren Positionen beziehen."
  15. Er sollte begreifen, dass Sprüche wie "Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie verstanden werden" im Ohr der Wähler so ankommen: "Wir wollen den Menschen nur das Gefühl geben, dass sie verstanden werden." Denn die Wähler "müssen" gar nichts.
  16. Er sollte nach Frankreich schauen, wo die Republikaner (unter diesem Namen kandidieren dort die einst lange regierenden Gaullisten) mit prognostizierten 8 Prozent so schwach geworden sind, dass ihr Parteichef sogar um Wahlabsprachen mit der Nationalen Front Le Pens bittet, die mit 28 Prozent bei den Umfragen weit voran liegt. Das wäre beim französischen Wahlsystem hilfreich, wenn die zwei Parteien nicht gegeneinander antreten, sondern in jedem Wahlkreis ein Kandidat den Alleinauftritt bekommt: Dadurch käme jedenfalls ein rechter Kandidat in den zweiten Durchgang. Das ist eine Absage an die Liberalen von Präsident Macron, die auf bloße 17 Prozent abgestürzt sind. Das wäre aber vor allem schon eine engere Zusammenarbeit der beiden Rechtsparteien, als es eine bloße Regierungskoalition wäre. Freilich ist der Mann parteiintern sofort heftig unter Beschuss gekommen und angeblich von einem teil sogar ausgeschlossen worden. Sein Vorstoß ist aber auch eine Antwort auf die Bildung einer Volksfront, die links von Macron alle roten und grünen Parteien erstmals nach Jahrzehnten wieder zusammenfasst, die sich stark an die französischen Moslems wendet und auch an massiv antisemitische Elemente.
  17. Er sollte sich umgekehrt aber auch das niederländische Beispiel anschauen, wo die Parteien der rechten Mitte jetzt mit dem jahrelang buchstäblich verteufelten Rechtsaußen Wilders eine Viererkoalition abgeschlossen haben. Dort haben sie allerdings vereinbart, um das Gesicht zu wahren, dass bei keiner einzigen Partei der Chef in die Regierung geht. Diese wird überwiegend eine Beamtenregierung sein. Sie wird daher einfach das umsetzen müssen, was die Parteichefs im Parlament ausmachen. Das wird mit Sicherheit eine ganz schwache Regierung sein, die nicht lange halten kann. Und diese Lösung wird Wilders erst recht alle Profilierungschancen geben, die er als Regierungsmitglied viel weniger hätte.
  18. Er sollte in seine eigene Partei hineinhören, wie sehr sein absolutes Nein zur FPÖ unter Herbert Kickl ringsum Kopfschütteln ausgelöst hat.
  19. Er sollte sich über die Partei hinaus bei bürgerlichen Wählern umhören: Denen ist eine Regierung mit einem Andreas Babler mit dessen Niveau und Positionierung tausend Mal mehr ein Graus als eine solche mit Herbert Kickl.
  20. Er sollte aus all diesen Gründen raschest von dieser Festlegung aus den vergangenen Wochen abrücken, keinesfalls mit der Kickl-FPÖ zu kooperieren.
  21. Er sollte auch dringend überlegen, ob das ganze Duell-Gerede sinnvoll ist, das zuletzt ausgebrochen ist. Denn damit anerkennt die ÖVP ja, dass der Sieger automatisch auch Bundeskanzler werden muss. Damit würde sie sich jeden Spielraum für die Zeit nach der Wahl nehmen, wo ja laut Verfassung nur die Regel gilt "Mehrheit ist Mehrheit". Dann kann Nehammer auch nicht mehr wie Schüssel im Jahr 2000 agieren, der als ursprünglich Dritter ins Kanzleramt eingezogen und von dort binnen zwei Jahren zum erfolgreichsten Bundeskanzler der letzten 40 Jahre geworden ist.
  22. Er sollte sich, statt sich personell zu duellieren, bewusst machen, dass Menschen normalerweise eine Partei primär wegen ihrer Inhalte wählen, sekundär wegen des Vertrauens in eine Spitzenpersönlichkeit, aber nicht wie in einem sportlichen Wettbewerb, also danach, wer die Nase vorne hat.
  23. Er sollte begreifen: Wenn er nicht für klar erkennbare und verständliche Inhalte steht, dann steht er für gar nichts.
  24. Er sollte dabei insbesondere mit sich selbst konsistent bleiben. Da wird einmal eine "Leitkultur"-Debatte begonnen, und dann wieder verräumt. Da wird einmal der Begriff "normal" besetzt und dann wieder vergessen. Da wird einmal für den Verbrenner gekämpft, aber ohne Konkretisierung. Gute Überschriften sind notwendig, aber sie brauchen immer auch das Kleingedruckte.
  25. Er sollte keinesfalls uns Wählern einzureden versuchen, dass er eine glaubwürdige Haltung zu Abschiebung und zu einer Abkehr von den zahllosen grünen Wählerquälereien hat, solange er sich gleichzeitig so festlegt, dass er nur noch mit der Babler-Partei samt einer weiteren Linkspartei koalieren kann.

Wenn er aber trotzdem auf der Linie der letzten Monate bleiben will, dann ist eines klar: Karl Nehammer hat entgegen seiner Behauptung gar nichts verstanden.

Dann ist klar: Er ist zwar ein anständiger und fleißiger Mann, aber politisch und strategisch schwer überfordert.

Dann hätte er auch ein frustrierendes Wahlergebnis im September verdient.

Wie er es doch noch schaffen kann, jetzt – wenn auch im letzten Augenblick – die Kurve zu kratzen?

Das ginge ganz eindeutig nur mit einem Wechsel von Personen auf Inhalte. Die ÖVP müsste viel klarer vermitteln, wofür sie steht, wo sie auch den Freiheitlichen klare Hürden aufstellt, wo sie ihnen rote Linien zieht, die diesen durchaus Probleme bereiten werden. Alles wäre sinnvoller als a priori Njet zum Parteiobmann der anderen zu sagen.

Die ÖVP müsste klar sagen:

  • dass eine Teilnahme an einem europäischen Raketenabwehrsystem im Interesse der österreichischen Sicherheit für sie unabdingbar ist;
  • dass für sie eine klare Ablehnung der Putin-Politik und eine entschlossene Unterstützung der Ukraine unabdingbar sind;
  • dass eine verantwortungsbewusste Finanz- und Gesundheitspolitik zentrale Eckpfeiler einer künftigen Koalition sein müssen.

Sie müsste (in die andere politische Richtung) zugleich ebenso klar sagen:

  • dass für sie keine Steuererhöhungen oder neuen Steuern in Frage kommen;
  • dass auf die Bürger keine neuen Klima-Schikanen zukommen dürfen;
  • dass Migrationsabwehr in jeder Form zentral sein muss, zentraler als jetzt;
  • dass Strafjustiz und Gebührenfunk grundlegend so zu reformieren sind, damit sie keine Vorfeldorganisationen der SPÖ mehr auf Kosten der Steuerzahler sind;
  • dass entgegen einem genauen Prozedere vergebene Bestechungsinserate und Kooperationen (auch von Gemeinden und Ländern!) strafrechtlich verfolgt werden.

Und in beide Richtungen:

  • Wir müssen dringende Maßnahmen zur Sicherung unseres Pensionssystem als größtes wirtschaftliches und soziales Problem treffen. Aus Verantwortung nicht nur für die nächste, sondern schon diese Generation. Müssen doch jetzt schon drei Erwerbstätige einen Pensionisten finanzieren, in wenigen Jahren werden das zwei müssen.   

Was aber, wenn die ÖVP nach diesen Festlegungen keinen Koalitionspartner findet? Dann kann sie erstens dem Wahltag mit gutem Gewissen entgegenblicken, weil die Wähler dann wieder wissen, für WAS (und nicht gegen WEN) die ÖVP steht. Und dann kann sie spätestens in zwei Jahren einen phänomenalen Wahlsieg einfahren, wenn eine Koalition Kickl-Babler zwangsläufig krachend gescheitert sein wird.

PS: Wenn man schon – ungefragt – Nehammer gleichsam Ratschläge zu geben begonnen hat, dann wäre noch etwas zentral: Gerade in seiner Situation sollte er dringend auch daran denken, dass er ein starkes und inhaltlich breit aufgestelltes Team bräuchte. Er sollte daher bei der Aufstellung der Kandidaten darauf bestehen, dass es neben der üblichen Ansammlung an Bauern-, Wirtschafts- und Bürgermeister-Vertretern auch wichtige inhaltliche Schlüsselbereiche gibt, die zumindest einst zum Markenzeichen der ÖVP gehört haben: Dazu müsste der katholische Bereich zählen, das Strafrecht, die Verfassung, die Medizin, die Familien, die Kultur, österreichisch-patriotisch integrierte Migranten. Für all diese Bereiche bräuchte es starke Leuchttürme, die aber nach allen Anzeichen derzeit eher aus der Fraktion hinausgedrängt als hereingeholt werden.

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