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Wann begreift es die ÖVP endlich?

Warum analysiert die Volkspartei nicht die mehr als aufschlussreichen Meinungsumfragen der jüngsten Zeit und zieht daraus die richtigen Schlüsse, wenn sie schon keinen Menschen in ihren Reihen mehr hat, der auch ohne Umfragen zu strategischen Analysen imstande wäre, der als Zoon Politicon die Stimmung der bürgerlichen Wähler verstünde? Und: Nützt die ÖVP wenigstens noch die knappe Zeit bis zu den Wahlen, sich durch die Aufstellung spannender Nationalratskandidaten ein breiteres, ein besseres Profil zu geben statt der drohenden Verengung und dem Größerwerden etlicher Vakuum-Bereiche, die derzeit zu konstatieren sind?

Zuerst zu dem für die ÖVP Erfreulichen: Sie liegt beim Trend der Umfragen erstmals seit den Zeiten des Sebastian Kurz (und einer einzigen kurzen Woche vor einem Jahr) knapp vor der SPÖ. Damit wird nun auch in Hinblick auf Nationalratswahlen das Ergebnis der – möglicherweise ja auch von anderen Einflüssen geprägt gewesenen – EU-Wahlen bestätigt, bei denen die ÖVP ebenfalls vor der SPÖ gelegen ist.

Bei der ÖVP herrscht gerne die Neigung, sich angesichts eines leichten Aufwinds sofort auf die Schulter zu klopfen und selbstzufrieden zurückzulehnen. Aber dafür ist der neue Umfragenstand (FPÖ: 26,7; ÖVP: 22,9; SPÖ: 21,7) in Wahrheit ein zu bescheidener Anlass, auch wenn er für die ÖVP leicht besser ist als alles, was ihr in den letzten zwölf Monaten prognostiziert worden ist.

Auffällig und aussagekräftig ist aber vor allem die Entwicklung in den allerletzten Tagen. Da hat die Volkspartei drei Prozentpunkte dazugewonnen, nachdem es im heurigen Jahr ansonsten eher bergab gegangen war. Zugleich hat die FPÖ gegenüber dem Jahresanfang drei Punkte verloren .

Was sagen diese Fakten ganz eindeutig? Die ÖVP profitiert sofort, sobald sie es (rund um das "Renaturierungsgesetz" der EU) wagt, endlich energisch gegen den grünen Koalitionspartner Stellung zu beziehen. Da springen ihre Werte sofort nach oben. Und das tun sie vor allem auf Kosten der FPÖ. Denn da keimt in bürgerlichen Wählern sofort die zarte Hoffnung auf, dass es im Herbst keine grünen Minister mehr in der Regierung geben wird. Was weit über die drei Prozent der jetzt zur ÖVP zurückgekehrten Wähler hinaus ein großes bürgerliches Aufatmen loslöst.

Aus der Entwicklung der ÖVP-Werte lässt sich noch ein Zweites ablesen: Jene Monate, da sich die ÖVP auf Anti-FPÖ-Hass konzentriert hatte, hat ihr im Gegensatz zum Gewessler-Krieg absolut keinen Zuwachs eingebracht. Erst in der jüngsten Zeit, da die Attacken auf die Kickl-Partei nicht mehr täglich wiederholt werden und erstmals seit langem die Grünen als Hauptfeind erscheinen, geht es der Volkspartei besser.

Was freilich noch lange nicht heißt: gut. Das könnte aber noch viel besser werden angesichts des großen Potentials, das die ÖVP hatte.

Einschub: Fast noch klarer ist die Umfragenlage für die SPÖ. Aus der Entwicklung ihrer Werte lässt sich eindeutig sagen: Mit Andreas Babler haben sie nichts dazugewonnen und werden auch sicher nichts gewinnen. Die Werte von Pamela Rendi-Wagner, die einst eine Zeitlang bei 30 Prozent gelegen ist, sind für Babler völlig unerreichbar. Und jeder seiner peinlichen Auftritte reduziert die SPÖ-Chancen noch weiter.

Gleichzeitig kristallisiert sich aber klar heraus, welche Linkspartei von der SPÖ-Schwäche profitiert: Das ist eindeutig die Bierpartei. Was faszinierend ist, weil sie seit Monaten fast nie in den Medien vorkommt. Das zeigt:

  1. Mediale Präsenz wird überbewertet, sobald die Wähler einmal ein paar grundlegende Dinge mit einer Partei verknüpfen wie etwa hier, dass sie im linken städtischen Mainstream segelt.
  2. Die Bierpartei ist als Einmannunternehmen im Gegensatz zur SPÖ logischerweise nicht innerlich zerstritten.
  3. Sie hat zugleich den großen Vorteil, dass sie von niemandem kritisiert wird, von keiner anderen Partei, keinem Medium.
  4. Sie ist intellektuell nicht jene Zumutung, welche die heutige SPÖ eindeutig ist.
  5. Sie dürfte auch nicht so populistisch sein wie die SPÖ.
  6. Sie erinnert eher an einen Studentenulk, in dem aber immer auch ein Stückchen Ernst steckt.
  7. Viele linke Bobo-Wähler haben in ihrem Frust über Rot und Grün eine Alternative ohne mörderische Vergangenheit gefunden, wechseln also nicht mehr zu den Kommunisten; das ist eindeutig positiv zu bewerten.
  8. Die Bierpartei wirkt (bisher) auch auf bürgerliche Menschen bei weitem nicht so abstoßend als Koalitionspartner, wie es Grün oder Rot sind.

Freilich: Selbst wenn sie ihre jetzigen 6,3 Prozent hält, ist die Bierpartei viel zu schwach, damit irgendjemand mit ihnen eine Zweierkoalition bilden könnte. Und selbst eine Dreierkoalition ÖVP-Neos-Bierpartei würde zusammen nur rund 40 Prozent erreichen, ist also ebenfalls denkunmöglich. Ebenso hätte eine Linkskoalition nur dann eine Chance auf eine Mehrheit, wenn vier bis fünf Partner teilnehmen. Und selbst dann ist die Mehrheitschance klein.

Ganz abgesehen davon funktionieren Mehrparteienkoalitionen immer viel schlechter als Zweierkoalitionen. Sie sind in Österreich auch völlig ungewohnt (wenn man von den ersten Nachkriegsmonaten absieht, als unter Druck der sowjetischen Besatzungsmacht auch die Kommunisten neben Schwarz und Rot Ministerämter bekleideten). Aber auch die katastrophale Performance der deutschen Ampelkoalition macht sowohl für die Wähler als auch die handelnden Politiker einen koalitionären Dreier jetzt schon zum Alptraum; von Vierern und Fünfern gar nicht zu reden.

An Zweier-Koalitionen haben nur FPÖ und ÖVP zusammen eine realistische Chance auf eine regierungsfähige Mehrheit. Auch aus diesem Grund ist es ein Irrsinn, dass sich Karl Nehammer unter dem Einfluss dummer Ratgeber vor einigen Monaten gegen eine Koalition mit Herbert Kickl einzementiert hat. Dieser ist nun einmal unangefochtener Chef der FPÖ. Und mit ihm hat die ÖVP auch zwei Jahre recht harmonisch koaliert – jedenfalls doppelt so gut wie mit den linksradikalen Damen Zadic und Gewessler, und zumindest tausendmal besser als es mit einem Herrn Babler möglich wäre, der in den Augen der meisten ÖVP-Wähler nur mit klagbaren Adjektiva zu beschreiben ist.

Das ist ein weiterer Grund, weshalb die ÖVP dringend ihre abenteuerliche Anti-Kickl-Politik entsorgen sollte. Dazu kommt, dass sie nur dadurch Chancen auf eine weitere Verbesserung ihrer eigenen Lage und auch auf ein eventuelles Wieder-Überholen der FPÖ hätte. Denn es gibt eben viele bürgerliche, wertkonservative, wirtschaftsorientierte Wähler, für die bei der Wahlentscheidung primär ist, dass die von ihnen gewählte Partei keinesfalls Babler in die Regierung lassen wird. Um eine Ablehnung Bablers zum wichtigsten Motiv vieler Wähler zu machen, genügt es, jene Punkte zu lesen, für die Babler steht. Während es bei der FPÖ nur wichtig ist sicherzustellen, dass sie sicherheitspolitisch nirgendwo ihre Russlandfreundlichkeit ausspielen kann. Sonst vertritt sie vielfach genau das, was ÖVP-Sympathisanten immer gewollt haben.

ÖVP: an guten Mandataren desinteressiert?

Um ungefragt der ÖVP gleich noch einen Tipp zu geben, wie sie sich dringend besser für die Herbstwahlen aufstellen müsste: Karl Nehammer müsste ganz dringend, so er reüssieren will, Tag und Nacht unterwegs sein, um wirklich gute Kandidaten zu finden, die entscheidende Bereiche abdecken würden. Denn sonst droht die Partei in der geistigen Verengung zwischen den vielen Bürgermeister- und Funktionärstypen aus Bundesländern und Bünden auf der einen Seite, den Sebastian-Kurz-Groupies auf der zweiten und irgendwelchen substanzlosen Pseudo-Promis auf der dritten zu ersticken. Und das merken die Wähler.

 Ein paar Vorschläge:

  • Gerald Loacker: Der Neos-Mandatar will mit 50 Jahren aus der Politik ausscheiden und in die Privatwirtschafts wechseln. Dabei war er im Parlament der weitaus beste, mutigste, sachkundigste, eifrigste Abgeordnete für alle sozial- und wirtschaftspolitischen Themen (auch wenn er in seiner Partei gegenüber den linksradikalen Frauen eine Einzelerscheinung gewesen ist). Ihn würde eine initiative ÖVP sogar mit dem Angebot eines Ministeramtes zu gewinnen versuchen.
  • Gudrun Kugler: Man hört, dass die ÖVP-Abgeordnete kein Mandat mehr bekommen soll. Das wäre irrsinnig, da es im ganzen schwarzen Lager keine andere glaubwürdigere und kämpferischere Exponentin für christliche, für wertkonservativ-gesellschaftspolitische und für familienorientierte Positionen gibt. Gerade in diesem Lager bröckelt es ohnedies schon gewaltig Richtung FPÖ (während ein paar, zahlenmäßig unbedeutende Berufskatholiken geistig zu den Grünen gewechselt sind).
  • Rüdiger Schender: Der parteipolitisch ungebundene Rechtsanwalt und Sohn eines prominenten Freiheitlichen würde nicht nur ins blaue Lager hinein anziehend wirken. Er würde auch die zuletzt (seit dem Abgang von Andreas Khol) so vermisste verfassungsrechtliche und die (seit dem Abgang von Michael Graff) so vermisste strafrechtliche Expertise zurückbringen.
  • Michael Rohregger: Der ebenfalls ungebundene Chef der Wiener Rechtsanwaltskammer wäre – mit sehr ähnlichen Kompetenzen – ein Alternativkandidat zu Schender für den Justizbereich.
  • Heiko Heinisch: Der ungebundene Historiker und Islamismus-Experte wäre der ideale Mann, um die Mega-Themen Migration und Islam kraftvoll in die Hände zu nehmen.
  • Rudolf Taschner: Der derzeitige ÖVP-Abgeordnete soll ebenfalls nicht mehr sonderlich erwünscht sein. Er wäre ideal, wenn die Parteispitze es schaffen sollte (und wollte) den Steirern beizubringen, dass der gegenwärtige Bildungsminister höflich ausgedrückt keine Ideallösung ist. Dann würde man Taschner intensiv brauchen.

Für drei Bereiche, wo ebenfalls ein schmerzhaftes Vakuum in ÖVP-Fraktion und -Regierungsmannschaft zu beobachten ist, fallen mir derzeit keine sonderlich überzeugenden Namen ein. Aber die ÖVP sollte jedenfalls dringend nach ihnen suchen. Es gibt ja zweifellos auch gute Leute, die ich nicht auf dem Radar habe. Das sind die Bereiche:

  • Kultur: Dort braucht es einen, der mutig sagt, Subventionen gibt es nur noch dort, wo nicht plumpe Agitation betrieben wird, wo nicht das Publikum und damit auch die umsatzbringenden Touristen vertrieben werden, egal, was die linken Feuilleton-Journalisten dazu sagen;
  • Außenpolitik: Angesichts eines schwachen Ministers, angesichts des Abgangs von Reinhold Lopatka, angesichts der außenpolitischen Problemzonen durch die FPÖ braucht es dringend einen international gut vernetzten und im Inland überzeugend die Welt erklärenden Kandidaten mit Profil;
  • Medien: Hier muss die ÖVP-Medienpolitik komplett geändert werden, die bisher nur in der Finanzierung linksradikaler Projekte vom rätekontrollierten ORF bis zu den völlig überflüssigen Überresten der "Wienerzeitung" bestanden hat.

Wer hat da gute Ideen? Diese Bereiche wären wichtig – auch wenn allem Anschein nach die Nehammer-ÖVP überhaupt keinen Wert auf einen attraktiven und qualitativen Angebotsmix legt (und Medien und Kultur wohl überhaupt besser in kampfesfreudige FPÖ-Hände zu legen wären).

Wie lange wird es diesmal dauern, bis die ÖVP Offenkundiges erkennt? Bei Sebastian Kurz hat es ja leider fünf Jahre gedauert, bis er öffentlich zugegeben hat, was für ein Fehler der Koalitionswechsel 2019 von Blau zu Grün gewesen ist. Auch Johannes Hahn, der als EU-Kommissar immer relativ vorsichtig sein musste, äußert jetzt offen und deutlich Kritik am Zusammengehen mit den Grünen, insbesondere, aber nicht nur wegen des Gewessler-Alleingangs.

PS: Die ÖVP könnte Interessantes auch aus dem Ausland lernen: Dort hat die italienische Regierung, welche die ganze Rechte umfasst, bei Umfragen sogar noch zugelegt- Dort haben Regierungskoalitionen sonst aber meist katastrophal abgeschnitten, sobald sie eine oder mehrere Linksparteien an Bord haben oder sich im Niemandsland einer nicht definierbaren politischen Mitte verlieren, wie etwa in Deutschland, Frankreich oder Österreich. 

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