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EU-Wahl I: Der österreichische Probegalopp

Dreieinhalb Monate vor der Nationalratswahl hat die EU-Wahl die Positionen der Parteien neu abgesteckt. Manches ist doch überraschend. Über eines müssen aber alle Parteien nachdenken: Die Wahlbeteiligung ist stark gesunken. Nur 54,1 Prozent der Wahlberechtigten haben abgestimmt – 2019 waren es noch 59,8 Prozent. Da darf man sich nicht in Sicherheit wiegen, dass sich viele nur nicht genug für die EU interessieren oder welche Erklärung noch herhalten muss. Tatsache ist, dass man mit dem thematischen und dem personellen Angebot gerade einmal die Hälfte der Wähler hinter dem Ofen hervorlocken konnte. Will man das ändern, gibt es in allen Parteien bei Personal wie Themen sehr viel Luft nach oben.

Noch nie hat es so knapp vor einer Nationalratswahl eine andere Bundeswahl gegeben. Das eröffnet eine ganz neue Art der Standortbestimmung am Beginn eines Wahlkampfs, wo man sich sonst immer nur auf Umfragen verlassen muss. Hier nun ein erster Überblick – und zwei Anmerkungen.

FPÖ: Der erste Sieg bei einer Bundeswahl

Herbert Kickl ist mit diesem ersten Platz bei einer bundesweiten Wahl gelungen, was bisher kein FPÖ-Obmann schaffte. Und doch ist Euphorie nicht angebracht. Kickl und seine Mannschaft sind auch unerwartet moderat in ihrer Siegesfreude. Aus gutem Grund.

Seit Monaten ist Herbert Kickl Umfrage-Kaiser, doch jetzt weist das Ergebnis der EU-Wahl drei ähnlich starke Mittelparteien aus. Kickl ist freilich ein geübter und überaus begabter Wahlkämpfer, die Spitzenkandidaten der beiden anderen Parteien sind in dieser Rolle noch neu, verfügen aber trotzdem nicht über die wilde Frische des Neuen (wie einst Sebastian Kurz) – Nehammer, weil er schon Bundeskanzler ist, Babler, weil er über Traiskirchen noch nicht hinausgewachsen ist. Der österreichische Wahlkampf verspricht bei dieser Ausgangslage jedenfalls spannend zu werden, da das Rennen nach dieser EU-Wahl viel offener erscheint.

Kickl läuft üblicherweise zur höchsten Form auf, wenn alle gegen ihn sind – und das wird er haben. Und trotzdem: Die Möglichkeit, dass jene Wähler, die etwa der ÖVP einen Denkzettel verpassen wollten, das jetzt mit einer Stimme für die FPÖ gemacht haben und sich dann im September wieder anders entscheiden könnten, ist vorhanden.

ÖVP: Wieder im Spiel

Trotz des erwarteten Absturzes um knapp 10 Prozentpunkte ist die ÖVP mit einem blauen Auge davongekommen: Der Abstand zum Wahlsieger FPÖ ist knapp, Karl Nehammer kann sich zum Herausforderer des Umfrage-Führenden für die NR-Wahl stilisieren. Die Erleichterung ist ihm anzusehen, denn – wie VP-Generalsekretär Stocker richtig analysierte – nach dem von der Justiz geführten Putsch (wie es der verstorbene Justizsektionschef Pilnacek nannte) gegen Sebastian Kurz, nach extensiven, diffamierenden Chat-Veröffentlichungen, nach tribunalartigen U-Ausschüssen, anonymen Anzeigen deutete alles auf ein endgültiges Desaster hin. Diese Angst ist nun weg.

Nehammer hat zudem in den letzten Wochen begonnen, auf die richtigen Themen zu setzen: Die illegale Migration, die die Wähler in ganz Europa sicher am stärksten bewegt, hat er wieder in den Mittelpunkt gerückt. Den Irrweg der EU-Kommission, Europas Wohlstand der Klimahysterie zu opfern, hat er spät, aber doch mit seinem Aufbegehren gegen das Aus für den Verbrennermotor verlassen. Viel wird davon abhängen, ob Nehammer nun die Kraft hat, sich aus der Dominanz der Grünen in seiner Regierung zu lösen – bisher wirkte er wie gelähmt und der (grüne) Schwanz konnte mit dem Hund wedeln: Die Grünen regierten, Nehammer spurte. Jetzt muss er zeigen, dass er Kanzler kann, dass er Themen hat, die die Menschen bewegen, sie auch vermitteln kann und sie nicht – wie bei der Leitkultur und der Senkung des Strafmündigkeitsalters – beim ersten Gegenwind fallen lässt.

SPÖ: Babler schafft neuen Tiefststand

Er hätte einschlagen sollen, dass nur so die Funken sprühen, aber entpuppt sich nun als weiterer Rohrkrepierer: Andreas Babler. Noch vor drei Tagen war ihm ein zweiter Platz zu wenig – doch da hatte er sich (ein echtes SPÖ-Schicksal!) verrechnet. Wieder hat die SPÖ ein Minus eingefahren. Ein neuer historischer Tiefststand bei EU-Wahlen ist erreicht. Und sie ist hinter der ÖVP nur auf dem 3. Platz gelandet. Und das, obwohl Grünwähler, die von Lena Schilling vertrieben wurden, zur SPÖ zurückgekommen sind.

Nun hat aber Babler den EU-Wahlkampf zum Vor-Wahlkampf für den Nationalrat umfunktioniert. Er wiederholte seine gebetsmühlenartige Forderung nach einer Millionärssteuer, zog das Thema der sozialen Ungleichheit hoch und ließ "Stoppen wir den Preis-Wahnsinn" plakatieren (wie soll das das EU-Parlament machen?). Aber auch diese innenpolitische Linie hat den Erfolg nicht gebracht: Trotzdem konnte etwa die KPÖ drei Prozent schaffen. Die ganz linken Themen scheinen manchen bei den Kommunisten eben besser aufgehoben als beim deklarierten Marxisten Babler. Und bei den NR-Wahlen findet er sich überhaupt in einer Zange wieder, denn da kommt auch noch die Bierpartei ins Spiel, die auf dieselben Themen setzt und – zumindest laut Umfragen – damit auch punkten kann.

Die Grünen: Das Zittern hat erst begonnen

Schwere Verluste haben die Grünen europaweit erlitten – das Klima ist nicht mehr die Hauptsorge der Bürger, der Bogen wurde mit der schrillen Hysterie überspannt. Und in allen anderen Fragen ist die Partei meilenweit von den Ängsten und Sorgen der Normalmenschen entfernt. Trotzig mimt die grüne Schar Freude, dass der Absturz trotz Lena Schilling in Grenzen blieb – doch soll die Parole, nur mehr vor Zeugen mit der jungen Frau zu kommunizieren, ausgegeben sein.

Für die September-Wahl scheint der Traum, über eine Links-Koalition in der Regierung bleiben zu können, ausgeträumt. Die bürgerliche Mehrheit haben alle Anstrengungen der Damen Zadic und Tomaselli nicht sprengen können. Und ein eigenes, zugkräftiges Thema tut sich nicht auf.

NEOS: Die ewigen Fünften

Natürlich kann man das zweite Mandat als unglaublichen Sieg feiern. Trotzdem muss die Kleinpartei sich langsam klar darüber werden, dass sie die rote Laterne nicht abgeben wird, solange sie alles gleichzeitig sein will: liberal, links, wirtschaftsfreundlich, gutmenschlich, moralinsauer, grün, jung, erwachsen – und was auch noch immer. NEOS werden immer den Eindruck erwecken, dass ihr einziges Programm ist: "Wir wollen auch einmal an die Macht". Mit wem, scheint egal: Das Zusammenspiel der pinken Krisper mit dem roten Krainer, dem blauen Hafenecker und der grünen Tomaselli war ein Vorgeschmack. Ob das im September die Wähler mehr goutieren, ist fraglich.

Ein Blick zurück: Kurz und Schilling

Manche ÖVPler fragen sich jetzt, ob nicht alles anders ausschauen könnte, hätte Sebastian Kurz nicht zu früh kapituliert. Das Beispiel Lena Schilling lehrt, dass man nur halsstarrig selbstbewusst allen Enthüllungen trotzen muss – und man (in dem Fall: Fräulein) wird nicht wirklich abgestraft. Freilich könnte die ÖVP noch etwas lernen: Die Grünen sind felsenfest zu der angezählten Schilling gestanden – mit Sigrid Maurer sogar ein Opfer ihrer Phantasiegeschichten. Die ÖVP-Granden in den Bundesländern haben dagegen Sebastian Kurz sehr schnell zum Rücktritt gedrängt.

Der skandalöse Herr van der Bellen

Wenn der Bundespräsident wählen geht, sind natürlich die TV-Kameras dabei. Und sammeln salbungsvolle Worte. oe24.tv brachte – im Gegensatz zum ORF - seinen Sehern aber die ganze Präsidenten-Wahrheit ins Haus und die ist ein weiterer skandalöser Fauxpas des Alexander van der Bellen: Er sang vor laufender Kamera Lobeshymnen auf Lena Schilling. Das war präsidentielle Wahlwerbung in letzter Minute – und hätte nicht sein dürfen. Die andere mögliche Erklärung ist freilich auch nicht gerade beruhigend: Vielleicht hatte der alte Herr ja vergessen, dass er als Bundespräsident überparteilich sein sollte…

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