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Jenes Volk, das so viel für unsere Freiheit und die vieler anderer Länder getan hat, das in vielem ein Vorbild gewesen ist, zu dem mehr Menschen auswandern wollten als zu irgendeinem anderen Volk, das sowohl Nationalsozialismus wie Kommunismus niedergerungen hat, das mehr Wohlstand geschaffen hat als sonst eine Nation – dieses Volk steht am Abgrund. Das amerikanische System scheint erstmals zu versagen. Nach der Debatte zwischen den beiden Männern, von denen einer nach allen Regeln der Vereinigten Staaten auch der nächste Präsident sein wird, trifft der pointierte Vergleich eines amerikanischen Kommentators ins Schwarze: Das Land steht vor der Wahl zwischen einem betrunkenen Autofahrer, der generell Verkehrsregeln ignoriert, und einem, der regelmäßig am Steuer einschläft. Bei wem würden die Menschen noch weniger einsteigen wollen? Die Amerikaner können einem angesichts dieser Alternative wirklich leid tun. Ihnen bleiben jedoch zwei Hoffnungen.
Die sind freilich limitiert.
Im Grund steht auch das Repräsentativ-System als Ganzes in Frage, das allzu viel Macht an Einzelpersonen delegiert, das glaubt, dass es "die" idealen Personen gibt, geben kann, denen man dann die Geschicke der Nation unbesorgt überlassen kann. Das ist in Zeiten totaler medialer und sozialmedialer Transparenz absurdes Wunschdenken. Wieder einmal muss einem da die direkte Demokratie als bessere Alternative in den Sinn kommen, wo die Bedeutung von Personen dramatisch relativiert ist. So ist es etwa in der Schweiz fast völlig irrelevant, wer dort Bundespräsident ist, wer in der Regierung sitzt. Dort entscheidet das ganze Volk. Gerade deshalb sind dort die demokratischen Entscheidungen in Summe besser als in jedem anderen Land.
Die amerikanischen Verfassungsväter hatten vor rund einem Vierteljahrtausend noch mit besten Intentionen geglaubt, dass ihr Entscheidungs- und Rekrutierungssystem ideal ist, um einen König auf Zeit zu finden. Sie waren aber nicht imstande, sich ganz von dem Konzept des Königs zu lösen, auch wenn dieser kein erblicher Monarch, kein absoluter Herrscher sein sollte. Gewiss: In den Gründungsphasen der USA waren auf nationaler Ebene direktdemokratische Konzepte wegen der Größe des Landes und wegen des Fehlens moderner Kommunikationsmittel noch gar nicht wirklich denkbar. Auf kommunaler und Bundesstaatsebene gibt es sie aber seit langem sehr wohl! So wie es sie auch im mittelalterlichen deutschen Recht gegeben hat.
Von Anfang an waren aber die Gründungsväter sehr wohl bestrebt, im Kontrast zu dem, was sie beim europäischen Absolutismus beobachten konnten, den gewählten König in Schranken zu halten. Das geschah durch eine Verfassung, durch ein kompliziertes System von "Checks and balances", die weitgehend bis heute funktionieren. Das Machtgefüge zwischen zwei – einander oft befehdenden! – Parlamentskammern, dem Präsidenten, dem Oberstgericht, den Bundesstaaten wurde so dicht geflochten, dass das Versagen einer einzelnen Institution weitgehend aufgefangen und austariert werden kann.
Das war zumindest die Absicht der US-Verfassungsväter. Das ist jetzt auch die große Hoffnung der Amerikaner und der Welt, egal ob der nächste Präsident Trump oder Biden heißt, so unterschiedlich die Probleme auch sind, die dann jeweils drohen. Freilich kann niemand vorhersagen, ob diese Checks wirklich in einer extremen Krisensituation funktionieren. Aber jedenfalls, so sollte man ehrlich zugeben, ist das amerikanische System mehr balanciert und dahe resilienter als das österreichische (und die meisten anderen europäischen).
Denn hierzulande geht alle Macht von einem einzigen Faktor aus: Das ist die Mehrheit im Nationalrat. Die entscheidet fast alles. Der Bundeskanzler ist nichts, wenn er nicht mehr von der Mehrheit unterstützt wird; der Bundespräsident ist gegen die Parlamentsmehrheit nicht mehr als ein Frühstücksdirektor, wie Thomas Klestil im Jahr 2000 lernen musste und es wohl auch alle Nachfolger gelernt haben; und auch Bundesrat, Bundesländer und Gerichte sind dagegen kein relevantes Gegengewicht. Lediglich der Verfassungsgerichtshof in seiner jetzigen Machtgeilheit ist es – solange nicht die Regierungsmehrheit im Nationalrat zwei Drittel ausmacht (wie es in den meisten Jahren von Schwarz-Rot der Fall gewesen ist), dann haben wir eindeutig eine absolute Macht der Parlamentsmehrheit.
Gewiss, durch die Europäische Union und die europäischen Gerichtshöfe scheint diese Macht relativiert worden zu sein. Jedoch ist dieses Match noch in vollem Gang, ob das auch dauerhaft von den Völkern so akzeptiert wird. Jedenfalls die Briten haben gezeigt, dass sich ein Land aus dieser EU verabschieden wird, wenn ihm die supranationalen Institutionen zu sehr die Luft abschnüren, dass also doch das letzte Wort bei den Nationen liegt.
Diese Hoffnung auf die Wirkung von "Checks and balances" ist jedenfalls der Faktor, der bei vielen Amerikanern die Hoffnung, dass der künftige Autolenker nicht allzu schlimme Unfälle anrichtet, und damit den Glauben ans eigene Land aufrechterhält.
Dass sich dieses Land ja durchaus gegen Fehlentwicklungen wehrt, dass es dazu mehr bereit ist als andere Länder, hat jetzt ein scheinbar belangloses Detail gezeigt. Das war die Art der Durchführung der Fernseh-Diskussion zwischen Joe Biden und Donald Trump: Denn erstmals wurde jenem Kandidaten, der nicht am Wort war, das Mikrophon prinzipiell abgedreht, sodass das für die Zuschauer oft unerträgliche Dazwischen- und Drüberreden nicht mehr möglich war. Dadurch hat man erstmals wieder beide Kandidaten in Ruhe hören können.
Das ist letztlich eine eindeutige Systemverbesserung. Diese Maßnahme ist auch für Österreich seit 30 Jahren immer wieder verlangt – und nie realisiert worden. Damals hatte es Jörg Haider zur Perfektion getrieben, keinen seiner TV-Gesprächspartner in Ruhe ausreden zu lassen.
Diese Maßnahme ist eindeutig zur Zähmung von Trump gedacht gewesen – aber sie hat sich in einer grotesken Wendung der Geschichte statt dessen verheerend für Biden ausgewirkt. Denn jetzt steht er nicht mehr als Opfer der Trumpschen Disziplinlosigkeiten da, sondern ist in seiner ganzen schlimmen Demenz und hilflosen Vergreisung vor allen Amerikanern entblößt worden. Biden wurde den Amerikanern als ein alter Mann gezeigt, der mit offenem Mund dasteht, der stottert, der abwesend ins Nichts blickt, dem viele Sekunden lang nicht mehr einfällt, wie er seine Sätze angefangen hat, der seine Hand nur noch im Zeitlupentempo bewegt. Das war absolut jämmerlich. Das war vor allem für jene vielen Millionen eine Entscheidungshilfe, die sonst mit Politik kaum etwas am Hut haben. Das war devastierend für Biden. Solche Präsidenten waren im Vorfernseh-Zeitalter denkbar, seit dem zweiten Weltkrieg sind sie es nicht mehr.
Wenn jetzt die Mainstreammedien zu seiner Unterstützung, freilich recht unspezifiziert, berichten, dafür habe Trump gelogen, wenn sie also gleichsam ein Gleichgewicht des Schreckens skizzieren wollen, dann ist das nur ein "Nice try", ein netter Versuch, Biden noch irgendwie beizustehen. Denn einerseits sind Lügen bei solchen Veranstaltungen kein seltenes Phänomen, und andererseits wäre es Aufgabe des Gegners, vermeintliche oder wirkliche Unwahrheiten zu widerlegen.
Jedenfalls war es noch nie in der Geschichte da, dass das Team eines Kandidaten kurz nach der Debatte Fernsehspots aussenden konnte, die aus nichts anderem bestehen als aus 90 unkommentierten Sekunden, wo der Gegenkandidat am Wort war – wo er genauer gesagt, in den Verkalkungen seines Gehirns verzweifelt nach einem Wort gesucht hat.
Doch dieser Perspektive stehen gleich zwei große Hindernisse im Weg. Das erste lautet: Wo gibt es überhaupt einen solchen Kandidaten, den man noch rasch aufbauen kann? In der Partei überwiegen nämlich inzwischen total die gesellschaftspolitisch wie wirtschaftspolitisch Linksradikalen, überwiegen intolerante und woke Klimaretter, wie sie schon viele US-Unis kaputt gemacht haben. Ein solcher Kandidat liefe Gefahr, noch schlechter abzuschneiden als Biden. Einen vernünftigen und gemäßigten Mann haben die Demokraten jedenfalls noch nicht gefunden, wie ihn etwa die britischen Sozialisten jetzt in ihrem durchaus herzeigbaren Spitzenkandidaten Starmer haben.
Das zweite Hindernis ist Biden selber. Denn gegen seinen Willen ist ein Kandidatenwechsel auszuschließen. Schließlich sind ja die Vorwahlstimmen auf ihn entfallen. Sieht er jetzt selbst ein, dass er im eigenen Interesse und in dem Amerikas besser aufgeben sollte? Dafür gibt es nur ein einziges Anzeichen. Das findet sich im Datum der TV-Diskussion. Noch nie hat schon im Juni eine erste Fernsehdiskussion für Wahlen stattgefunden, die im November stattfindet.
Das aber geschah seltsamerweise auf Verlangen Bidens. Warum nur? Die einzige Erklärung ist darin zu finden, dass er, dass sein Lager noch rechtzeitig abtesten wollte, ob Biden zu einer solchen Diskussion überhaupt noch imstande ist, ohne es aber vorher öffentlich zu sagen.
Jetzt haben alle gesehen, dass er dazu nicht mehr imstande ist. Das lässt die Fragen freilich offen: Begreift er das auch? Wird er jetzt in den nächsten Tagen die Konsequenzen ziehen?
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es jetzt von einem einzigen Menschen abhängen, ob auch dieser jetzt den Mut hat, den Daumen nach unten zu senken: Das ist seine durchaus ehrgeizige Ehefrau, die gerne im Weißen Haus bliebe, die aber auch ihren Mann vor einer demütigenden Blamage bewahren will.
PS: Wer glaubt, dass jetzt noch ein dritter Kandidat jenseits von Republikanern und Demokraten Aussichten hat, kennt Amerika wohl zu wenig. Weder gibt es einen, noch haben Bewerber ohne die Apparate der beiden Großparteien eine realistische Wahlchance.
PPS: So, wie sich Biden durch einen Fernsehauftritt um Kopf und Kragen gebracht hat, so ist das leider auch Ralf Rangnick gelungen. Der Fußballtrainer hat sich in einem Fernsehinterview zu dummen und einseitigen politischen Äußerungen hinreißen lassen. Jetzt steht nur noch die halbe Nation hinter ihm. So schnell kanns gehen. Warum nur hat er das getan?