17 Wünsche ans europäische Christkind
14. Juni 2024 00:44
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 5:00
Der Trend der europäischen Bürger und ihrer Überzeugungen ist eindeutig. Viel weniger eindeutig ist aber, wie es jetzt in der EU inhaltlich weitergeht. Denn kein "Lager" hat eine klare Mehrheit. Zu zerstritten ist man zwischen den diversen Richtungen, zu viele Problemebenen spielen mit. Selbst bei den fast überall siegreichen Rechten, bei denen es jetzt schon mehrere Fraktionen gibt, ist man tief uneinig, wer bei welcher Fraktion überhaupt dabeisein darf. Die große europäische Vielfalt an Themen und Richtungen wurde am Wahltag noch dazu überall von nationalen Perspektiven überlagert. Praktisch sämtliche österreichische Reaktionen und Kommentare behandelten die EU-Wahl deshalb wie einen bloßen Trainingsdurchlauf für September. Gleichzeitig aber werden fast alle wichtigen Materien in der EU und längst nicht mehr am Wiener Ring entscheiden. Bei aller Kritik, die an EU-Entscheidungen und Entwicklungen angebracht war und ist, ist die Union daher viel zu wichtig, als dass man jetzt einfach am Spielfeldrand zuschauen sollte. Daher sei heute eine Wunschliste dessen zusammengestellt, was für die unmittelbare Zukunft der EU und vor allem die Bürger zu erhoffen ist. Was gut wäre. Was notwendig wäre.
Daran sollte der Umstand nicht hindern, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass diese Wünsche auch in Erfüllung gehen. Denn Links und Rechts ziehen in sehr unterschiedliche Richtungen, aber keine Seite ist allein stark genug, um den künftigen Kurs zu bestimmen. Und die schmäler gewordene Mitte will sich eher links als rechts anlehnen.
Vorerst werden sie jetzt in Brüssel und Umgebung lange über Personen, über die Zusammensetzung der nächsten Kommission streiten und intrigieren. Auch deshalb werden die dringenden und wichtigen Sachfragen wieder liegen bleiben. Umso wichtiger ist es, sie in eine Art Brief ans europäische Christkindl zu erinnern.
- Das Wichtigste wäre ein rascher Konsens über die Notwendigkeit der Änderung grundrechtlicher Regeln, vor allem der Menschenrechtskonvention. Auch wenn diese kein EU-Vertrag ist, hätte ein solcher Vorstoß der EU politisch so viel Gewicht, dass er jedenfalls auf die eine oder andere Weise rechtliche Wirkung bekommt. Dabei muss es darum gehen:
- Länder dürfen Pushbacks machen, also unerwünschte und illegale Migranten von außerhalb Europas an der Grenze abweisen, auch wenn sie laut "Asyl!" rufen.
- EU-Länder dürfen illegale Migranten, die nicht freiwillig wieder ausreisen, in kooperationswillige Länder wie Ruanda bringen, wo sie unter EU-Aufsicht ein Asylverfahren bekommen.
- Jenseits des Asyls wegen politischer oder religiöser Verfolgung gibt es keinen Anspruch auf "humanitäres" Bleiberecht.
- Militärisch angegriffene europäische Staaten wie die Ukraine bekommen volle Unterstützung durch Waffen und Geld.
- Die EU-Länder bauen weiter intensiv gemeinsame Verteidigungskräfte auf, ohne aber die Nato und damit den amerikanischen Schutzschirm hinauszudrängen.
- Die EU-Kommission legt fest, dass sie sich in Justiz und Fragen der Rechtsstaatlichkeit von Mitgliedstaaten nicht mehr einmischt, wo es nicht direkt EU-Recht angeht. Es sei denn, es werden vorher ganz konkrete EU-Richtlinien beschlossen, die etwa die Besetzung von Gerichten festlegen, aber es gibt keine Einmischung unter diffusen Titeln wie "Rechtsstaatlichkeit" mehr.
- Die EU mischt sich auch nicht mehr in nationale Regeln zur Erziehung, zur Familie oder in Sexualfragen ein, wie etwa beim Trans- oder Schwulenthema.
- Die EU mischt sich nicht mehr in die Frage ein, ob ein Land Studenten anderer Länder gratis ausbilden muss, insbesondere dann nicht, wenn diese Studenten zu schlecht qualifiziert für ein Studium im eigenen Land sind (Stichwort: deutsche Medizinstudenten in Österreich).
- Die EU beginnt mit der intensiven und zielgerichteten Arbeit an einer Konvention zu den Themen Selbstbestimmungsrecht, Anspruch auf Autonomie und Schutz autochthoner Minderheiten (Wer so viel von Demokratie redet, sollte einmal selbst den wohl wichtigsten Eckpfeiler dafür einsetzen).
- Die EU arbeitet mit Vorrang an der Entwicklung einheitlicher Eisenbahn-Regeln, die genauso einheitlich gelten wie etwa im Flugverkehr. Dabei geht es sowohl um die Vereinheitlichung technischer Standards, damit an den Grenzen nicht mehr Lokomotiven oder Spurweiten gewechselt werden müssen, als auch um Fahrpläne und rechtliche Vereinheitlichungen (einheitliches Ticketing, Haftungen usw).
- Die EU fährt alle Regeln des Green Deals auf jenes Niveau herunter, das auch im Rest der Welt, insbesondere China, gilt und umgesetzt wird.
- Die gesamte Lieferkettengesetzgebung wird zurückgenommen.
- Die von den nationalen Regierungen vorgeschlagenen Richter des EU-Gerichtshofs werden ohne weitere Hürden und ohne ideologische Gesichtskontrollen akzeptiert.
- Die EU entwickelt Mitgliedschaftsformen, bei denen alle Rechte einer Teilnahme am Binnenmarkt bis auf die Freizügigkeit von Personen bestehen, um so Länderr den wirtschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen, aber ohne dadurch ein zusätzlichen Massenmigrationsproblem auszulösen. Diese neue Formen werden den Balkanländern und der Türkei angeboten.
- Eine noch engere Bindung wird jenen europäischen Ländern wie der Schweiz, Großbritannien und Norwegen angeboten, die sofort eine Bereicherung für die EU wären, die aber aus innenpolitischen Gründen derzeit nicht beitreten können.
- Die EU entwickelt seriöse Formen der Direkten Demokratie, bei denen die Bürger über Fragen in der EU-Kompetenz nach Schweizer Muster wirklich entscheiden können, und nicht immer nur als Propagandaanspruch etwas von Demokratie hören.
- Die EU-Kommission schlägt während der nächsten fünf Jahre die Abschaffung von jeweils zwei weiteren Regeln pro Monat vor, wobei für die Bürger auch Kleinigkeiten wie die Verschlüsse von Milchpackerln wichtig sind.
- Die EU zieht aus der Tatsache die zwingenden Schlüsse, dass sie nur noch (bei ständig sinkender Tendenz!) einen Anteil von 14 Prozent an der Weltwirtschaft und von 5 bis 6 Prozent an der Weltbevölkerung hat, und gibt sich daher in keinem Bereich mehr der absurden Illusion hin, dass EU-Regulierungen ein Beispiel für die Welt wären, dass Europa irgendwo "vorangehen" könnte.
- Dort aber, wo die EU weltweit wirksam werden will, tut sie das nur noch in Absprache mit anderen Demokratie wie den USA, wie Japan, wie Australien, wie der Schweiz, wie Norwegen.
Ja, da stecken etliche Konzessionen an die "Rechten" drinnen. Warum auch nicht? Denn
- erstens sind die ja auch Europäer,
- zweitens haben sie bei dieser Wahl klar zugewonnen,
- drittens war der bisherige Linkskurs in EU-Kommission und Parlament alles andere als ein Erfolgsweg,
- und viertens würde es die EU zerreißen, wenn man glaubt, weitermachen zu können wie bisher, wenn man die Anliegen der Wähler rechter Parteien ignoriert.
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