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Großbritanniens konservative Regierung wird künftige Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ignorieren, wenn diese die Abschiebungen illegaler Migranten, etwa nach Ruanda, verhindern wollen. Ein Teil der Konservativen will sogar die ganze Menschenrechtskonvention kündigen. Im Rest Europas ist man entsetzt und sieht die Herrschaft des Rechts kollabieren. Insbesondere in Österreich und seiner Justiz reagiert man empört, wo ja diese Konvention und der sie oft sehr kreativ auslegende Europäische Menschenrechtsgerichtshof vorzugsschülerhaft als oberste Rechts- und Machtquelle geradezu angebetet werden. Ungefähr so, wie im Vatikan die Bibel angesehen wird. Dieses Verhalten steht im Widerspruch zu allen Behauptungen, dass das Recht in einer Demokratie vom Volk ausginge. Dahinter steht aber ein ganz übler Zynismus der österreichischen Justiz: Dort, wo es ihr passt, setzt sie sich nämlich hemmungslos über diese Konvention hinweg. Und der heimische Gesetzgeber wagt es nicht, diesen Zynismus zu stoppen – oder findet zwischen links und rechts keinen Konsens darüber.
Es ist jedenfalls Tatsache, dass der EGMR die Republik Österreich schon mehrfach verurteilt hat, weil hier Strafprozesse, genauer: die von den Staatsanwälten geleiteten Vorverfahren viel zu lange dauern. Das, so haben auch die Straßburger Richter erkannt, ist ein Riesenskandal, ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Das ist es vor allem dann, wenn sehr oft – wie bei den allermeisten Verfahren der WKStA – jahrelangen Vorverfahren keine rechtskräftige Verurteilung folgt, oder wenn die Strafe für das von den Staatsanwälten jahrelang untersuchte Delikt weit geringer ist als die Untersuchungszeit.
Es bräuchte eigentlich gar keinen EGMR, um zu erkennen, dass dieses Verhalten der Staatsanwälte massiv grundrechtswidrig ist. Doch der einzige, der da konkret etwas dagegen zu unternehmen versucht hat, ist der Sektionschef Pilnacek gewesen. Er tat dies unter anderem mit dem legitimen, wenn auch umgangssprachlich derben Ratschlag "Daschlogts es", weil die Staatsanwälte auch nach Jahren keine Anklage zustandegebracht haben. Doch die Staatsanwälte waren über diese Kritik so empört, dass sie, statt ihre Arbeit zu beschleunigen, viel mehr Energie dafür aufwandten, Pilnacek zu jagen. Bis dieser den Tod fand.
Die Staatsanwälte führen ständig folgende zwei Begründungen für ihre Säumigkeit an: Sie hätten, erstens, immer zuwenig Personal und sie hätten, zweitens, deshalb keine Zeit, Verfahren zu beenden, weil sie alle paar Jahre einen Bericht schreiben müssten, warum sie das Verfahren nicht zu einem Ende gebracht haben ...
Das österreichische Strafrechtssystem ist zu einer üblen Farce verkommen. Nicht mehr unabhängige Richter sprechen eine Strafe aus, sondern der Großteil der Strafe liegt in der Willkür der Staatsanwälte. Durch unberechtigte Verfahren, durch viel zu lange Vorverfahren können sie ihren Opfern viel Schlimmeres antun, als es ein Richter kann. Die Objekte ihrer Willkür werden oft finanziell, beruflich, familiär und psychisch ruiniert, ohne je einen Richter gesehen zu haben. Und noch nie hat ein Staatsanwalt für diese Willkür Konsequenzen tragen müssen.
Das Justizministerium ist – schon gar nicht unter der jetzigen Ministerin – unwillens, diese Willkür abzustellen. Das ist angesichts der ständigen Judikatur aus Straßburg eigentlich schon ein klarer Amtsmissbrauch durch Unterlassung. Übrigens schon der zweite: Denn das Ministerium hatte es bis zur Verjährung unterlassen, gegen Peter Pilz ein Verfahren wegen falscher Zeugenaussage einzuleiten; diese steht in einem rechtskräftigen Disziplinarurteil gegen den späteren Kurz-Richter Radasztics, das bis zur Verjährung justizintern zwar bekannt gewesen, aber nach außen geheimgehalten worden ist.
Angesichts der Untätigkeit der Justizministerin hätte aber auch das Parlament als Gesetzgeber handeln können und müssen. Etwa durch Einführung der absoluten Verjährung von behaupteten Delikten; etwa durch Verhängung von Geldbußen und Karriereblockaden über säumige Staatsanwälte.
Noch in einem zweiten Bereich ist die österreichische Justiz massiv menschenrechtswidrig. In diesem Bereich hätte – auch ganz ohne europäische Gerichtshöfe – der österreichische Verfassungsgerichtshof eine Regelung der Strafprozessordnung als massiven Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip erkennen und aufheben müssen. Bei dieser geht es um die – oft behauptete und nicht immer, aber doch bisweilen tastsächlich vorliegende – Befangenheit von Richtern. Das Unfassbare ist: Der betreffende Richter entscheidet selbst darüber, ob er befangen ist.
Das ist ein krasser Unterschied zu Zivilverfahren, wo selbstverständlich andere darüber entscheiden, ob eine behauptete Befangenheit vorliegt (der Gerichtsvorsteher und höhere Instanzen).
Dabei geht es im Strafprozess um viel höhere Rechtsgüter, um Freiheit, um berufliche Existenzen. Während es im Zivilprozess in der Regel um Geldstreitigkeiten (oder Kinderobsorge oder Eigentumsrechte) geht. Dennoch hat das Justizministerium noch nie eine entsprechende Gesetzesänderung beantragt.
Wir lernen: Gerade jene, die das Vokabel "Rechtsstaat" in jedem zweiten Satz in den Mund nehmen, wie eben Frau Zadic, sind dessen ärgste Feinde.
Vor diesem Hintergrund nimmt sich die Kritik an den Briten, die der Menschenrechtskonvention ganz oder teilweise Adieu sagen wollen, ziemlich verlogen aus. Denn Österreich verletzt ständig ungerührt weiter die Grundrechte. Wenn ein Verfahren beim Menschenrechtsgerichtshof landet und mit einer Verurteilung der Republik endet, kümmert es die Justiz herzlich wenig. Denn die einzige Konsequenz ist die Verhängung einer geringen Geldbuße über Österreich. Und die zahlen nicht etwa die schuldigen Staatsanwälte, Richter oder Legisten, sondern – natürlich – die Steuerzahler.
Selbst wenn es keine Menschenrechtskonvention gäbe, wären diese beiden angeschnittenen Dinge (also die überlange Dauer der Vorverfahren und die zwischen Zivil- und Strafrecht unterschiedlichen Regeln für die Befangenheit eines Richters) eindeutig auch ein Verstoß gegen die Grundrechte jedes einzelnen Rechtsstaats, insbesondere gegen das Gleichheitsgebot der österreichischen Verfassung. Sie sind durch nichts zu rechtfertigen. Und es gibt auch keine theoretische Argumentation zu ihrer Verteidigung. Sie finden dennoch im Justizbetrieb einfach statt.
So sehr man in diesen Bereichen auf den Menschenrechtsgerichtshof pochen muss, weil die Judikatur absolut richtig, eindeutig und unumstritten ist, so berechtigt ist dennoch die wachsende Kritik an ihr. Das ist nur aufs erste widersprüchlich. Denn im Bereich der Migration hat sich die Judikatur eindeutig verirrt. Dennoch wäre es auch in diesem Bereich extrem problematisch, wenn Staaten – ähnlich wie die österreichische Strafjustiz – anfangen, den Gerichtshof einfach zu ignorieren. Die Briten wollen das dennoch tun, weil sie keine Konsequenzen zu fürchten haben oder nur lächerlich kleine Strafen. Im Gegensatz zu jedem österreichischen Straf- oder Zivilgericht gibt es beim Menschenrechtsgerichtshof keine Polizei, keinen Exekutor, um ein rechtskräftiges Urteil auch durchzusetzen.
Dennoch liegt es im Interesse eines Kleinstaates wie Österreich, dass die angesichts der Migrationswelle von fremden Kontinenten dringend notwendigen Korrekturen an einer nie von einem Gesetzgeber, von den Bürgern Europas oder den Signatarstaaten einer Konvention gewollte Judikatur der Straßburger Richter auf sauberem rechtlichen Weg stattfindet. Wenn der verlassen wird, wäre das genauso katastrophal für die Europäer, wie es die Migrationsjudikatur ist. Es gibt nur zwei einzig korrekte Wege, diese Fehlentwicklungen zu stoppen: durch eine Änderung der Konvention oder durch eine "authentische Interpretation". Beides braucht freilich den Konsens aller Vertragsstaaten, der schwer zu finden ist. Sonst muss der Austritt denkbar sein.
Es wäre daher dringend, dass die Staaten Europas spätestens nach der EU-Wahl intensiv einen raschen Konsens über die notwendigen Änderungen der Konvention suchen. Dabei muss es wohl vor allem um folgende Punkte gehen:
Diese Aspekte müssten unbedingt und rasch durch Änderung der EMRK und des sich auf diese berufenden EU-Vertrags rechtlich festgehalten werden.
Das alles wird politisch freilich nur dann gegen die gutmenschlichen Linksregierungen wie in Spanien oder Luxemburg Chancen auf allgemeinen Konsens haben, wenn dahinter ein Plan B steht, der klarmacht, was die anders denkenden Staaten tun werden, wenn es keinen Änderungskonsens gibt.
Dann müssen sie zweifellos ernsthaft die Möglichkeit in den Raum stellen, die Unterschrift unter die EMRK zu kündigen – so wie man ja auch aus jeder anderen Vertragsbindung aussteigen kann. Gleichzeitig sollte von einer möglichst großen Gruppe klargemacht werden, dass man eine neue, eine geänderte Menschenrechtskonvention abschließen wird.
Eine solche Konvention des 21. Jahrhunderts nimmt Rücksicht darauf, wie sehr sich die Welt seit den unmittelbaren Nachkriegsjahren verändert hat. Hat doch damals niemand auch nur an die Möglichkeit gedacht, dass Milliarden in Afrika und Asien den Gedanken tragen, nach Europa und an seine scheinbar vollen Sozialtöpfe zu ziehen. Wenn das in abgesprochener Form durch möglichst viele Staaten geschieht, dann hat das große Erfolgschancen, dass auch die EMRK direkt geändert wird.
Außerdem hat die EMRK ja schon von Anfang die Möglichkeit offengelassen, dass Staaten beim Beitritt den einen oder anderen Vertragsteil für sich ausschließen. Man denke nur daran, dass auch Österreich einen solchen Vorbehalt gemacht hatte: Die menschenrechtswidrige Behandlung der Habsburger durch die Habsburgergesetze – auf die die Sozialisten so großen Wert gelegt hatten – darf auf Grund des österreichischen Vorbehalts nicht vor den Gerichtshof gebracht werden.
Es ist absurd, es auszuschließen, dass nicht auch bei für ganze Nationen tausendmal wichtigeren Fragen in Zukunft Vorbehalte durchgesetzt werden. Geht es doch bei der dringenden Notwendigkeit einer völlig anderen Migrationspolitik wirklich um die Zukunft der Demokratie und die Zukunft der gesamten europäischen Einigung, wie auch der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol zu Recht fürchtet.
Wer glaubt, diesen Notwendigkeiten aus dem Weg gehen zu können, der meint es nicht gut mit Europa, nicht gut mit Österreich.
Dass ausgerechnet die Briten den Austritt aus der EMRK erwägen, trägt eine besonder Signifikanz. War "ihr" Winston Churchill doch nach dem Krieg der Schöpfer des Gedankens eines Europarates mit Menschenrechtsbestimmungen. Sind sie doch mit den mittelalterlichen Habeas-Corpus-Akten die Schöpfer überhaupt der ersten Menschenrechtsgesetze.
Nicht nur beim Klima haben sich die EGMR-Richter von der Lust treiben lassen, sich über das demokratisch geschaffene Recht hinaus selbst zum Schöpfer von neuem, nur durch sie kreiertem Recht zu machen.