Wie Trumps Verurteilung zu bewerten ist
31. Mai 2024 00:49
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 3:30
Es wird dramatisch. Es wird heftig. Donald Trump muss jetzt als – wenn auch noch nicht rechtskräftig – strafrechtlich Verurteilter in den US-Wahlkampf gehen. Wie man auch immer das Urteil bewertet: Es wird den Wahlkampf noch turbulenter, noch aggressiver machen. Das macht große Sorge. Das ist ganz schlecht für die USA, schlecht für die ganze freie Welt. Wie ist aber das Urteil selbst zu bewerten? (Mit nachträglichen Ergänzungen)
Zuerst was gegen Trump spricht:
- Auf der einen Seite besteht wenig Zweifel, dass das Urteil in der Sache richtig ist, dass Trump tatsächlich bei der Abrechnung des Schweigegelds für die Pornodarstellerin unsauber getrickst hat.
- Gegen Trump spricht auch sein unmögliches, ihm zusätzlich schadendes Benehmen während des Prozesses.
- Noch mehr spricht gegen ihn der Umgang mit wenig erfreulichen Personen. Dazu zählt – um nur im konkreten Fall zu bleiben – neben der Pornodarstellerin auch der Rechtsanwalt, der einst die Zahlung an die Dame abgewickelt hatte und der ihn jetzt ans Messer geliefert hat. Dieser Mann ist höflich ausgedrückt nicht gerade eine Zier für den Anwaltsstand.
- Alle Studien der vergangenen Wochen und Monate deuten darauf hin, dass sich vor allem einige unentschlossene Wähler von Trump abwenden wollen, wenn er wirklich verurteilt wird. Das erscheint auch ziemlich logisch, selbst wenn Trump jetzt höchstwahrscheinlich seinen Wahlkampf noch aggressiver führen wird.
- Wähler könnten auch von der Sorge getrieben sein, dass Trump nachher weniger an die Aufgaben eines Präsidenten denken wird als an seine juristischen Probleme.
Was ist alles für Trump ins Treffen zu werfen, was könnte in den Augen der Wähler jetzt erst recht für ihn sprechen (dass es mehr Punkte sind, bedeutet nicht, dass sie gewichtiger sind als das zuvor Gesagte)?
- Der Prozess hat in dem durch und durch von der Partei der Demokraten beherrschten New York stattgefunden. Gegen diese in Europa so populäre Stadt herrschen aber im amerikanischen Hinterland große Aversionen. Viele Nicht-New-Yorker sind von vornherein überzeugt gewesen, dass Trump dort keinen fairen Prozess bekommen wird.
- Der Ankläger gegen Trump ist sogar selbst auf einem parteipolitischen Ticket ins Amt gekommen und hat schon vor seiner Wahl den Kampf gegen Trump als ziel anerkannt.
- Der Zeitpunkt des Prozesses ist mehr als anrüchig: Er scheint genau für den Wahlkampf angesetzt worden zu sein. Gewiss, Trump hat immer wieder Einsprüche erhoben und damit auch selbst verzögert. Das ändert dennoch nichts am Eindruck, dass schon die Terminwahl dieses und aller anderen Verfahren gegen ihn bewusst auf den Höhepunkt des Wahlkampfes hin erfolgt ist.
- Noch verdächtiger ist, dass kein einziges Verfahren gegen Trump zu einem zumindest vorläufigen Abschluss gekommen war, solange noch offen war, ob die Vorwahlen einen anderen Kandidaten gegen die Demokraten ins Rennen schicken werden.
- Sämtliche Vorwürfe gegen Trump sind viele Jahre alt. Das erweckt stark den Eindruck, dass sie auf Sparflamme bereit gehalten worden waren, bis man sie jetzt im Wahlkampf zielgerichtet einsetzen kann.
- Es kann auch wenig Zweifel geben, dass Trump von der Pornodarstellerin de facto erpresst worden ist. Das erweckt etliche Sympathien für ihn, auch wenn eheliche Untreue nicht sehr hilfreich bei religiösen Wählerinnen ankommen dürfte.
- Dass aber diese Zahlungen an die Dame eine "Wählertäuschung" gewesen sein soll, kann man der Anklage überhaupt nicht mehr fülgen.
- Es kommt vielen Amerikanern als durchaus verständlich, ja geradezu logisch vor, dass Trump die Zahlungen an die Dame als Wahlkampfkosten verbuchen hat lassen. Auch wenn das nicht den Formvorschriften entspricht. Aber die Affäre hätte ihm im Wahlkampf geschadet.
- Beim Verbuchen von Ausgaben der Behörde gegenüber ein bisschen zu schwindeln, ist ein Delikt, das sich viele vorstellen können.
- Vor dem Hintergrund all dieser Fakten könnten relativ viele Wähler unterschwellig motiviert sein, es der Justiz einmal richtig hineinzusagen, sich zu revanchieren. Normalerweise hat man ja gar keine Möglichkeit dazu.
Nachträgliche Ergänzungen: Es ist jetzt in der Hand des (von Trump immer wieder persönlich attackierten) Richters, welche Strafe er am 11. Juli ausspricht. Es ist auch eine Haftstrafe durchaus möglich. Das aber hätte ungeahnte Konsequenzen: Denn der US-Geheimdienst muss ihn rund um die Uhr beschützen – also auch im Gefängnis!
Einen Tag nach Erscheinen dieses Textes bezeichnete auch der linksliberale britische "Economist" die Verurteilung Trumps in diesem Prozess als "hirnverbrannt und kontraproduktiv". Das Verfahren schwäche den Rechtsstaat. Und bevor der Ankläger diese jetzt beurteilten Vorwürfe gegen Trump eingebracht hatte, war Trumps Los bei den Vorwahlen eigentlich im Absteigen gewesen.
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