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Es ist absolut faszinierend, welche italienische Provinz die weitaus größte Geburtenfreudigkeit hat. Es ist ziemlich deprimierend, dass das in Österreich überhaupt nicht beachtet wird. Es macht fassungslos, wo man diese hierzulande unbekannte Tatsache erfahren muss. Und es ist mehr als spannend, welche Faktoren das Aussterben eines Volkes verhindern könnten und wie sich die Weltbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten verändern dürfte.
Man erfährt ausgerechnet aus der ein paar Tausend Kilometer entfernt erscheinenden "New York Times" in einem großen und tief beeindruckten Bericht von der hohen Geburtenzahl in Südtirol. Die österreichischen Medien ignorieren Südtirol seit längerem. Dabei stechen die Südtiroler Geburtenzahlen auffällig aus der gesamtitalienischen Geburtendepression heraus. Zusammen mit den ebenfalls am Mittelmeer gelegenen, ebenfalls der EU angehörigen und ebenfalls überwiegend katholischen Ländern Spanien und Malta liegt Italien ja in allen gesamteuropäischen Geburten-Vergleichen am Ende (wenn man die Sondersituation der Ukraine auslässt).
In Südtirol gibt es 1,62 Kinder pro Frau. Das ist zwar noch immer zu wenig, um die Bevölkerungsgröße im Gleichgewicht zu halten. Das ist aber deutlich mehr als die 1,48 Kinder pro Frau in Österreich (einschließlich der geburtenfreudigen Migranten aus anderen Kontinenten!). Und das ist die mit Abstand höchste Geburtenrate Italiens, das im nationalen Schnitt nur auf 1,25 kommt. Das fällt besonders auf, weil die "Provinz Bozen" gleichzeitig auch das höchste Durchschnittseinkommen von ganz Italien hat. Denn das widerspricht der häufig gehandelten These, dass die Kinderzahl negativ mit dem Wohlstand korrelierte.
Die relative Geburtenfreude der Südtiroler hat zwei – in der Kausalität eng verbundene – Faktoren als Ursache.
Der eine Faktor sind die zahlreichen Unterstützungen, die die Südtiroler Landesregierung für Kinder und Familien bereitstellt, wobei es durchwegs um dauerhafte an Stelle einmaliger Unterstützungen geht:
Die langjährige Südtiroler Landeshauptmann-Stellvertreterin Waltraud Deeg nennt ganz klar das Motiv für diese üppigen Familien-Unterstützungen: "Wenn wir nicht in Familien investieren, gibt es keine Zukunft für irgendwen von uns."
Das könnten und müssten eigentlich auch Politiker aus vielen anderen Ländern sagen und denken. Sie tun es aber meist nicht, weil es keine unmittelbaren Wählerstimmen bringt.
Dieses von Deeg angesprochene Motiv hat in Südtirol natürlich auch – auch – eine volkstumspolitische Dimension. Damit sind wir beim zweiten, beim noch wichtigeren Motiv für die Südtiroler Kinderfreude. Das ist der ethnische Überlebenswille der deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit als italienische Provinz (zu der die Südtiroler unfreiwillig nach dem ersten Weltkrieg geworden sind).
Das hat sich für sie auch ausgezahlt: Nach den Jahrzehnten einer staatlich angeordneten Italianisierung durch Massenzuwanderung aus Sizilien und Umgebung, wächst der Anteil der Deutsch- und Ladinischsprachigen in Südtirol seit längerem wieder. Daran ändert es nichts, dass die vielen sozialen Benefizien natürlich auch den dort ansässigen Italienern zugute kommen. Diese profitieren vom ökonomischen, sozialen und kulturellen Status Südtirols und scheinen seit etlicher Zeit geradezu bemüht, sich zu integrieren. Sie zeigen jedenfalls so wie die altösterreichische Minderheit Null Interesse an einem neuerlichen Zuzug aus dem Süden oder gar an einem Kulturkampf (lediglich bei Sportveranstaltungen flackert bisweilen noch ein solcher auf). In der Geburtenfrage verhalten sie sich jedoch wie der Rest Italiens.
Aber ganz eindeutig ist neben der finanziellen Unterstützung durch die (dank der Autonomieregelungen) reiche Landesregierung vor allem der Überlebenswille der Minderheit entscheidend für die relativ große Kinderzahl. Viele Südtiroler Familien fassen das Kinderkriegen ganz eindeutig positiv und freudig angenommen als ethnische Pflicht auf.
Südtirol ist nicht das einzige Beispiel dafür, dass der nationale Überlebenskampf ein wichtiges Motiv ist, mehr Kinder in die Welt zu setzen. Das beweist sich auch in Nordirland, wo jede Familie weiß, dass es eines Tages ein Referendum über den Anschluss an die Republik Irland geben wird – sobald die Katholiken bei einem Referendum die Mehrheit für einen solchen Anschluss erwarten können. Die Zusage eines solchen Selbstbestimmungsreferendums, an das sich London zu halten versprochen hat, war ja entscheidend dafür, dass der jahrelange blutige Bürgerkrieg zwischen den bisher die Mehrheit bildenden Protestanten und den Katholiken zu Ende geht.
Als Folge hat Nordirland sogar ganz ohne Migration ein Bevölkerungswachstum (statt Zuwanderung gibt es eine leichte Abwanderung). Dort sind zwar die Katholiken besonders geburtenfreudig. Aber sie sind das aus national-irischen Gründen, nicht aus religiösen. Denn würde die Religion Bedeutung haben, wären die katholischen Länder am Mittelmeer nicht so besonders geburtenfaul.
Ein anderes Beispiel ist Ungarn. Dort gibt es eine Fülle staatlicher Anreize für Familien, speziell für jene, die mehr als zwei Kinder in die Welt setzen. Dadurch bewegt sich das einst vom Aussterben bedrohte Ungarn bei fast der gleichen Geburtenziffer wie Südtirol, also einer deutlich höheren als Österreich. Dabei befindet sich Ungarn an sich nicht in einem inneren Volkstumskampf. Aber dennoch wird von Ministerpräsident Viktor Orbán aus zwei Motiven das Kinderbekommen gefördert:
Auch Israel fällt mit der für ein Industrieland extrem hohen Geburtenrate von 2,9 Kindern pro Frau positiv auf. Das Motiv eines national-religiösen Überlebenskampfes braucht dort wohl nicht näher erläutert zu werden. Das israelische Geburtenwachstum übertrifft heute sogar das Wachstum in etlichen der früher enorm rasch wachsenden arabischen Staaten der Umgebung. Bei den islamischen Ländern sind sogar überall die Kinderzahlen pro Frau im Vergleich zu früher deutlich zurückgegangen, wenngleich sie meist noch immer für ein Bevölkerungswachstum sorgen, also größer als 2,1 sind.
Anderen Völkern freilich ist es bisher nicht gelungen, trotz zum Teil intensiver Anstrengungen die Geburtenfreude zu erhöhen, das Kinderkriegen zur nationalen Pflicht zu machen und das langsame eigene Aussterben zu stoppen. An diesem Ziel scheitert etwa Südkorea, das mit nur 0,84 Geburten pro Frau globales Schlusslicht ist. Jetzt werden dort sogar sechs superschnelle U-Bahnen gebaut, die Familien das Leben in weit billigeren Regionen als dem überlaufenen und teuren Seoul ermöglichen sollen, von wo die Menschen künftig in einem Viertel der Zeit zu ihrem Arbeitsplatz kommen können.
Dennoch bleiben zwei ernüchternde Fakten: