Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Mindestens 40 Tote und noch viel mehr Verletzte hat ein brutaler Überfall von zwei bis fünf bewaffneten Schützen auf ein Konzert bei Moskau gefordert. Aber fast niemand will es gewesen sein. Das ist mehr als seltsam. Mehr Klarheit bringt freilich die Frage "Cui bono?", also die Analyse, wem das Blutbad nützt. Der wahre Nutznießer kommt aber wohl nicht aus einer der drei Richtungen, an die man unwillkürlich als erstes denkt.
Als erstes muss man natürlich an ukrainische Täter denken. Jedoch würde das absolut nicht in ihr Kampfschema passen. War die Ukraine doch zuletzt – bei allen kleinen, aber nicht zu leugnenden Rückschlägen an der Front – in den letzten Tagen und Wochen auf russischem Boden mit zwei ganz anderen Strategien recht erfolgreich: Zum einen mit der Unterstützung für russische Dissidentengruppen, die einige Dörfer im Süden Russlands zumindest zeitweise erobert hatten. Zum zweiten mit gezielten Drohnenangriffen auf strategische Ziele im russischen Hinterland, vor allem im Energie-, aber auch im Verkehrsbereich. Ersteres war zumindest demütigend für die Putin-Kräfte; Zweiteres hat gerade angefangen, Russland weh zu tun.
Ein Terrorüberfall ist hingegen militärisch völlig nutzlos für die Ukraine und lenkt total von diesen beiden Erfolgen ab. Im Westen würde die Ukraine als Täter viel Sympathien verlieren, ohne irgendetwas zu profitieren. Vor allem aber würde ein so blutiger ukrainischer Überfall auf ein Popkonzert mit vielen Jugendlichen auch jene Russen, die den Krieg gegen die Ukraine bisher immer als falsch empfunden haben, emotional massiv empören und gegen die Ukraine stimmen.
Genau aus diesem Grund kann man umgekehrt sicher sein, dass der russische Gemeindienst in den nächsten Tagen immer mehr "unwiderlegbare" Spuren gegen die Ukraine auf den Tisch legen wird. Egal, wer es wirklich gewesen ist.
Zweite scheinbar verdächtige Gruppe: Noch weniger deutet auf die recht geheimnisvollen Russen hin, die in den letzten Tagen und Wochen mit ukrainischer Unterstützung ein paar Dörfer in Russland attackiert haben. Denn auch sie würden sich mit einer so blutigen Terroraktion um jede Chance auf Sympathien bei ihren eigenen Landsleuten bringen, hätten sie das getan. Aber nur der Kampf um diese Sympathien macht diese Dorf-Überfälle überhaupt in irgendeiner Hinsicht sinnvoll.
Drittens: Etwas mehr, aber auch noch immer zu wenig Aspekte sprechen dafür, dass islamische Fundamentalisten die Täter gewesen wären. Daran ändert die Tatsache nichts, dass sich der "Islamische Staat" wenige Stunden nach dem Überfall als Urheber der Tat bezeichnet hat. Aber das tut diese Terrorgruppe seit Jahren bei allen terrorartigen Aktionen in der Welt, offenbar um sich als furchteinflößend zu profilieren, obwohl sie in etlichen Fällen ganz sicher nichts mit der jeweiligen Terrorattacke zu tun hatte.
Zwar haben islamische Täter als einzige schon genau solche Terrorüberfälle mit Gewehrsalven in einem Pariser Konzerthaus verübt. Zwar ist das Putin-Regime vor einigen Jahren extrem brutal beim Kampf gegen tschetschenische Islamisten vorgegangen. Zwar ist Russland mit seiner militärischen Unterstützung für den syrischen Machthaber Assad ein entscheidender Faktor beim weitgehenden Niederringen des "Islamischen Staates" geworden. Zwar sind Iran und die Überreste des "Islamischen Staates" nicht nur wegen der Kämpfe in Syrien, sondern auch wegen des Wettbewerbs verfeindet, wer der schärfste Vorkämpfer der islamischen Sache ist, und gleichzeitig sind Russland und der Iran von Woche zu Woche zu immer engeren Alliierten geworden, die sich im Kampf gegen die jeweiligen Sanktionen, aber auch militärisch gegenseitig helfen, etwa durch den Kauf iranischer Drohnen durch Russland.
Aber dennoch: Es wäre absolut selbstbeschädigend, würden radikale Moslems am Höhepunkt des von der ganzen islamischen Welt unterstützten Kampfes vor allem gegen Israel und die USA (aber auch Europa) einen wichtigen Verbündeten der Palästinenser so vor den Kopf stoßen. Und ein solcher ist Russland eindeutig geworden. Das würden nicht nur die Palästinenser, sondern auch die gesamte arabische und islamische Welt dem "Islamischen Staat" nie verzeihen. Es wäre unvorstellbar, dass sie so dumm sind, sich jede Unterstützung zu zerstören.
Daher deutet die logische Analyse ganz massiv in eine ganz andere Richtung: Und die ist der Kreml, die ist die starke Vermutung, dass getarnte Agenten der Putinschen Geheimdienste die Täter gewesen sind. Auch wenn man das mit Sicherheit nie zugeben wird.
Nach der Wahl, die zwar auf dem geduldigen Papier einen überragenden Putin-Sieg gebracht hat, die aber keinesfalls Wellen nationaler Begeisterung ausgelöst hat, hat Putin ganz eindeutig eine solche Aktion gebraucht, um die Russen nun endlich wirklich in Emotion und Zorn zu versetzen. Und nichts ist idealer zu diesem Zweck als ein solches Blutbad unter Unschuldigen. Darauf deutet auch der Umstand hin, dass sofort nach dem Anschlag verkündet worden ist, dass Kinder unter den Toten seien. Was die auch immer bei einem abendlichen Konzert verloren haben. Aber die Empörung über die Tat ist dann gleich doppelt groß, wenn Kinder zu den Opfern zählen.
Man fühlt sich intensiv erstens an den Reichstagsbrand des Februar 1933 erinnert, der höchstwahrscheinlich von den Nazis gelegt worden war, und der von ihnen sofort dazu benutzt worden ist, um mit Deutschlands Demokratie und Rechtsstaat komplett aufzuräumen, um über Nacht die ersten Konzentrationslager einzurichten. Man darf daher für die nächsten Tage und Wochen mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten, auch intensiv an den Februar 1943 erinnert zu werden, als genau zehn Jahre später Hitlers Propagandahetzer Goebbels die Deutschen mit dem Schrei "Wollt ihr den Totalen Krieg?" aufpeitschte, um für die nächsten zwei Jahre zugunsten des Krieges das Letzte aus ihnen herauszupressen.
Es ist geradezu zwingend, dass viele Russen jetzt denken und sagen: Gegen Mörder, die so niederträchtig friedlich versammelte Kinder niedermähen, darf es nun wirklich kein Erbarmen, kein Mitleid geben. Da werden die Terrorangriffe auf ukrainische Städte, die viele Tausende Opfer gefordert haben, plötzlich unwichtig, ja geradezu zur völlig gerechtfertigten Rache. Da tut es nichts mehr zur Sache, dass die ukrainischen Zivilisten schon in den zwei Jahren VOR dem Massenmord von Krasnogorsk ums Leben gekommen sind. Solche Kleinigkeiten bringen gute Propagandisten ganz leicht aus den Köpfen der ja ständig ohnedies nur einer einseitigen Desinformation ausgesetzten Menschen hinaus.
Und nicht zuletzt wird jetzt auch die russische Empörung der letzten Tage klar, als Moskau wild und verärgert die aus den USA kommenden Informationen dementiert hat, dass Putin so etwas plane.
Der amerikanische Geheimdienst scheint in Russland wirklich brillant zu arbeiten (durch Abhören oder was auch sonst immer …). Er war es ja auch, der schon lange vorher über eine bevorstehende russische Invasion berichtet hat. Diese Berichte sind auch damals von der russischen Führung empört dementiert worden. Und von vielen anderen nicht geglaubt worden ist.
Die Welt wird sich in den nächsten Tagen und Wochen wohl sehr warm anziehen müssen. Und das nicht nur wegen eines kurzfristigen Wintereinbruchs.