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Gähn: die „Zweistaatenlösung“ für Nahost

Es ist die Standard-Antwort, die internationale Politiker, Diplomaten und Leitartikler geben, wenn es um den Nahostkonflikt geht: Sie rufen "Zweistaatenlösung!", wissen aber im Grund wohl alle, zumindest wenn sie sich einigermaßen mit dem Konflikt und den dort regelmäßig ausbrechenden Kriegen befasst haben, dass dieses Schlagwort sehr, dass das allzu billig ist. Wie soll das funktionieren, wenn seit einem dreiviertel Jahrhundert alle Teilungspläne – der erste war von der UNO selber ausgearbeitet worden – von arabischer Seite total zurückgewiesen werden, wenn Israel regelmäßig überfallen wird, wenn die arabischen Palästinenser fast ständig Israel mit Raketen beschießen, und wenn es kein palästinensischer Politiker lange überleben würde, würde er Israels Existenzrecht in gesicherten Grenzen anerkennen – obwohl Israel fast nach jedem von den Arabern begonnenen Krieg ein noch größeres früher arabisches Gebiet unter seine Kontrolle gebracht hat?

Wie auch immer die Grenzen eines solchen Palästinenserstaates neben Israel aussehen würden: Israel ist aus etlichen guten Gründen sicher, dass bald radikale Gruppen von dort aus wieder Israel attackieren werden, und dass sich der Gaza-Überfall vom 7. Oktober immer und immer wiederholen wird. Daher kann man es nachvollziehen, dass es die Sicherheitskontrolle über Gaza behalten will.

Dabei war ja Gaza im Grund schon fast so etwas wie ein Palästinenserstaat: Es war selbst regiert, hatte eigene Polizei, Verwaltung wie Gerichte – und bekam vom Westen wie auch Israel Geld und sonstige Unterstützung vielfältigster Art. Es fehlte kaum mehr als die formelle Anerkennung als Staat.

Das scheint in etwa vergleichbar mit Zypern: Dort ist der Nordteil seit vielen Jahrzehnten von der Türkei erobert und griechische wie türkische Bewohner sind aus dem jeweils "fremden" Landesteil vertrieben worden. Der große Unterschied aber: Es gibt seit sehr vielen Jahren keine Kämpfe zwischen Türken und Griechen. Millimeter für Millimeter sind konkrete Kontakte aufgebaut worden. Die türkischen Zyprioten profitieren immer wieder von der EU-Mitgliedschaft des Südens.

So und nur so ist langsam Vertrauen entstanden. So und nur so eröffnet sich die Hoffnung auf ein weiteres Wiederzusammenwachsen der beiden Landesteile. Auch wenn das gewiss nicht von heute auf morgen passieren wird. Aber zunehmend erkennen beide Teile, dass sie letztlich beide von einer weiteren Entspannung profitieren werden.

Das geht parallel mit einer leichten Annäherung zwischen der Türkei und Griechenland selber. Das alles kann nur schrittweise, vielleicht nur über Generationen geschehen – aber schließlich haben sich auch die Festlandgriechen damit abgefunden, abfinden müssen, dass ihre Landsleute nach dem ersten Weltkrieg aus Kleinasien vertrieben worden sind, dass 1453 ihre byzantische Metropole Konstantinopel von den türkischen Osmanen erobert worden ist; und die Türken haben sich mit der Vertreibung aus Nordgriechenland abgefunden. Die Ereignisse nach dem ersten Weltkrieg waren zwar schlimme Zwangsumsiedlungen – aber letztlich wohl Voraussetzung für das folgende Jahrhundert des Friedens und der Normalisierung.

Ähnlich schlimm war lange auch das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen. Jahrhundertelang hat man immer wieder einander bekriegt – wobei es bis zu Napoleon vor allem Österreich als deutsche Vormacht gewesen ist, das von den Franzosen bekämpft worden ist. Aber nach 1945 haben es große Staatsmänner in Frankreich wie Deutschland – keineswegs zufällig beide sehr katholisch geprägt – geschafft, aus der Konfrontation sogar Freundschaft zu machen. Es gab gegenseitig keine Gebietsansprüche mehr. Die Deutschen haben endgültig akzeptiert, dass Elsass-Lothringen bei Frankreich bleibt.

Aber auch entlang des Rheins hat es im Grund eine Generation gebraucht, bis das Vertrauen wirklich gefestigt war. Noch Ende der 60er Jahre war es mancherorts in Frankreich gar nicht klug, deutsch zu reden, wie ich selbst einmal erleben musste. Gewiss war für diese Aussöhnung auch hilfreich, dass beide Länder gespürt haben, gegen die Bedrohung durch das sowjetische Imperium zusammenhalten zu müssen.

Alle Voraussetzungen, die bei der Befriedung dieser beiden erwähnten jahrhundertelangen Konflikte hilfreich waren, fehlen aber im Nahen Osten.

  • Es fehlen da wie dort die großen Staatsmänner;
  • es fehlt jeder Hauch von Konsens, wie das jeweils eigene Territorium von dem der Gegenseite abgegrenzt werden könnte (denn auch die israelischen Siedlungen am Jordan-Westufer sind ein wesentliches Hindernis für eine gute Lösung);
  • es fehlt da wie dort die politische Kompromissbereitschaft;
  • es fehlt die auswärtige Bedrohung, vor der sich beide gemeinsam fürchten müssten;
  • es gibt auf palästinensischer Seite die Anstachelung durch fern – vor allem aber nicht nur in Teheran – sitzende Scharfmacher, die Waffen liefern und die zu immer neuen Auseinandersetzungen aufhetzen;
  • und es fehlt jedes Vertrauen, geschweige denn, dass sich ein solches über eine Generation entwickeln hätte können.

Mit anderen Worten: Unter all diesen Rahmenbedingungen auf eine Zweistaatenlösung zu setzen, ist vorsichtig ausgedrückt naiv, um nicht zu sagen, eine diplomatische Lüge. Realistisch gesehen gibt es fast keine Aussicht auf eine Zukunft des Raumes ohne neue Kriege.

Eine bessere Zukunft würde vor allem erfordern:

  • einen Regimewandel in Teheran;
  • eine Rückkehr des Libanon zu einem geordneten Staatswesen, in dem nicht mehr unter fremdem Kommando stehende Milizen das Sagen haben;
  • Staatsführer in mehreren Metropolen, die intern stark genug sind, um so wie einst Ägypten Kompromisse einzugehen – was leider auf demokratischem Weg noch illusorischer ist als in einer Autokratie;
  • und eine Generation der Vertrauensbildung, in der keine Raketen mehr auf Tel Aviv fliegen.

Helfen würden dabei gewiss enorm eine positive wirtschaftliche Entwicklung auch der Araber rund um Israel und beispielsweise – jetzt einmal ganz utopisch gesprochen – eine Entwicklung, dass nicht nur am fernen Golf, sondern auch in Gaza oder auf der Westbank Erdöl oder andere Rohstoffe gefunden werden.

Das alles ist total utopisch. Gewiss bräuchte es auch eine Rücknahme der israelischen Siedlungen auf der Westbank. Aber diese kann gewiss nicht mehr von Israel als erstem Schritt verlangt werden, hat doch der Abzug Israels aus Gaza, wo ja auch israelische Siedler von der eigenen Regierung zum Abzug um des Friedens Willen gezwungen worden sind, nicht zu einer friedlichen, sondern zu einer blutigen Zukunft geführt. Haben doch die Palästinenser diese eindeutige Friedensgeste als Zeichen der Schwäche Israels missverstanden.

Die Zukunftsprognose ist also eindeutig deprimierend, weil viele dieser notwendigen Bedingungen derzeit völlig unrealistisch erscheinen. Man wird wohl noch mit etlichen Kriegen rechnen müssen, bevor – vielleicht – mehr Vernunft einkehrt.

Wie sollen sich da Staaten wie Österreich verhalten, bis es eventuell doch zu einer Verwirklichung der Friedensutopie kommt? Da kann es in Wahrheit nur eine klare Entscheidung geben: Europa und speziell Österreich müssen ganz klar auf der Seite Israels stehen. Und zwar gleich aus vier Gründen:

  1. Die Araber können sich hundert Niederlagen leisten und in Summe überleben – Israel jedoch keine einzige. Denn die wäre sein Ende.
  2. Die Araber sind eindeutig an allen bisherigen Kriegen und Terroranschlägen schuld.
  3. Die Israelis sind ganz überwiegend kulturell, ethnisch und gesellschaftlich ein Teil Europas und verdienen daher genauso die Solidarität Europas, wie die Araber ständig Solidarität aus der ganzen islamischen Welt bekommen haben.
  4. Und schließlich hat Österreich aus historischen Gründen, also wegen des furchtbaren Schicksals so vieler österreichischer Juden, immer wieder Israel Solidarität gelobt. Solche aus gutem Grund abgegebene Versprechen sollten für eine anständige Nation dauerhaft Bedeutung haben.

Aber auch innerösterreichisch würde zweifellos mehr Ehrlichkeit zu einer vernünftigen Zukunft gehören. Dazu würden etwa Verfahren gegen jene Demonstranten gehören, die auf den Straßen Wiens Israel die Vernichtung geschworen haben. Dazu würde aber etwa auch das Eingeständnis gehören, dass es nicht den geringsten Hinweis gibt, dass ein Martin Sellner oder irgendwelche "rechtsextremen" Geheimtreffen auch nur die geringste Bedrohung für Israel oder irgendeinen Juden darstellen – sehr wohl aber viele jener Menschen, deren Abschiebung von Sellner&Co diskutiert wird.

Ehrlichkeit wäre für die Zukunft der Juden in Österreich viel wichtiger als noch so viele Gedenktage und Stolpersteine.

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