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An Europas Wesen sollte die ganze Welt genesen, doch Europas Wesen würde nur selbst daran verwesen. Einst hat der alte Kontinent – genauer: einst hatten einige seiner westeuropäischen Länder versucht, fast die ganze Welt als Kolonien zu domestizieren. Heute versucht Europa – genauer: heute versucht die Europäische Union das neuerlich ganz ähnlich. Heute ist es die europäische Linke, die sich an Sonntagen so drittweltfreundlich gibt, die aber während der restlichen Woche der anderen Welt ununterbrochen Vorschriften machen will. Heute ist jedoch die Wiederholung dessen, was einst Jahrhunderte der Geschichte geprägt hat, nichts anderes mehr als eine lächerliche Farce. Denn heute ist Europa, das bis an den Beginn des 20. Jahrhunderts in Sachen wirtschaftlicher Stärke, militärischer Macht, wissenschaftlicher Bedeutung, politischer Relevanz das Zentrum der Welt gewesen ist, nur noch ein lächerlicher Zwerg.
Das hat man nur in Europa selbst noch nicht begriffen. Statt sein Verhalten der eigenen Bedeutung anzupassen, versucht der Kontinent immer noch und sogar immer noch mehr, zum Oberlehrer der Welt zu werden. Und wundert sich, wenn er von der Welt immer mehr ignoriert oder verachtet wird.
Dabei würde es genügen, wenn sich die EU-Europäer folgende zwei Zahlen bewusst machten: Im knappen Zeitraum von 40 Jahren ist der Anteil ihrer gesamten wirtschaftlichen Leistung am weltweiten BIP von 25 Prozent auf heute unter 15 Prozent gefallen. Das ist eine dramatische Verschiebung, die zwangsläufig viele Auswirkungen hat. Diese werden dadurch noch verstärkt, dass die USA ähnlich – wenn auch nicht nicht so steil gefallen sind (von 21 auf ebenfalls 15 Prozent der Weltwirtschaft). Wenn da Europa die Welt dennoch weiterhin belehren und ihr ständig sogar immer mehr Vorschriften machen will, dann ist die westliche Halbinsel Asiens wirklich nur noch der peinliche Schwanz, der mit dem Hund wedeln will.
Der jüngste Wedel-Versuch Europas ist der – vorerst – ganz knapp gescheiterte Versuch eines sogenannten Lieferkettengesetzes der EU. Jedes größere Unternehmen – denen zwangsläufig dann bald auch die kleineren folgen müssten (sonst würden die Regeln ja bald ausgehebelt und umgangen) – soll verpflichtet werden, sämtliche Lieferanten zu Wohlverhalten zu verpflichten. Damit ist eine lange Latte von sozialen und ökologischen Vorschriften gemeint. Und vor allem sollen nicht nur die Lieferanten, sondern auch all deren Subsubsub-Lieferanten engmaschig kontrolliert und zum erwünschten Verhalten gezwungen werden.
Das ist völlig irre: Man stelle sich vor, in stolzen, riesigen und schnell wachsenden Ländern wie etwa Indien, Vietnam oder Nigeria (jedes einzelne größer als jedes europäische Land!) marschieren künftig europäische Inspektoren ein und überprüfen, ob nicht irgendwo vielleicht gar 13-Jährige arbeiten, ob es lange genug Urlaub gibt, ob es Baum- und Lurchschutzgesetze gibt und diese auch eingehalten werden, ob die Fabriken allen von den Europäern gewünschten Sicherheitsmaßstäben genügen. Und tausenderlei andere Dinge.
Wer glaubt, so etwas überall machen und durchsetzen zu können, der hat absolut keine Ahnung von der Dritten Welt. Denn auch wenn ihre sozialen und ökologischen Standards gewiss noch hinter den europäischen herhinken, so ist doch der nationale Stolz der Drittweltländer umso größer. Nirgendwo ist man willens, sich von den Europäern Vorschriften machen zu lassen. Sobald die ersten Drittwelt-Unternehmen wegen solcher Lieferschutzgesetze einen Auftrag verlieren, muss Europa mit gewaltigen Reaktionen rechnen.
Die mindeste Form wird ein Boykott der Exporte aus Europa sein. Das geht in Zeiten völlig problemlos, wo man ohnedies wirklich fast alles in China oder anderen nichteuropäischen Staaten einkaufen kann.
Es ist ja völlig klar: Jeder Staat der Welt will selber das Tempo bestimmen, in dem er soziale und ökologische Standards entwickelt. Und mit tausendprozentiger Sicherheit will keiner von ihnen wieder Europäer im Land haben, die anschaffen, was zu tun ist. Wie empört waren doch die Österreicher, als sie der Vormundschaft der vier Alliierten überdrüssig waren, vom Diktat der "Reichsdeutschen" ganz zu schweigen.
Besonders grotesk ist, dass es vor allem die politische Linke in Europa ist, die in der EU für solche Lieferkettengesetze kämpft – während sie sich gleichzeitig rhetorisch immer noch über den einstigen Kolonialismus erregt. Es ist auch absolut lächerlich, wenn die europäischen Linken vorgeben, solche Lieferkettengesetze seien ja nur dazu da, um den armen Menschen in der Dritten Welt gegen ihre bösen Regierungen zu helfen, die sich weigern würden, Sozial- und Umweltgesetze gemäß den europäischen Wünschen zu erlassen. Vielmehr sind die Menschen dort selber nicht an einer Erfüllung dieser Wünsche interessiert.
Sollten die von der EU-Kommission und den europäischen Linken (im letzten Moment vor Verlust ihrer Mehrheit bei den EU-Wahlen) so dringend gewünschten Lieferkettengesetze doch noch kommen, wird das mit Sicherheit überdies eine große weltweite Betrugswelle auslösen. Bestochene Bürokraten werden in vielen Ländern Unternehmen jede gewünschte Wohlverhaltensbestätigung ausstellen, damit diese weiter auch nach Europa exportieren können. Und europäische Inspektoren werden als Spione verfolgt werden.
Noch mehr Länder aber werden sich sagen: Eigentlich können wir nicht nur beim Import, sondern auch beim Export zunehmend auf den kleinen 15-Prozent-Markt verzichten, den Europa noch darstellt.
Man schaue sich nur an, wie sehr auch jetzt schon andere europäische Vorgaben ignoriert, ja zunehmend verachtet werden. Weil Europa unwichtig geworden ist. Weil die Menschen diese Vorgaben weder verstehen noch akzeptieren wollen.
Der EU-Europäer ist in den letzten Jahren vielerorts immer mehr zum hässlichen, zum verachteten Europäer geworden. Und wenn ein europäisches Lieferkettengesetz kommen sollte – in welcher Form immer –, dann wird sich dieser Prozess noch dramatisch beschleunigen.
Hauptbetreiber von Lieferkettengesetzen – die es im linken Deutschland zum Teil schon gibt – sind einerseits die ideologischen Gutmenschen etwa aus den NGOs und Kirchen, die in ihrer Naivität allen Ernstes glauben, dass ein 15-Prozent-Kontinent die Welt verändern kann, und nicht begreifen, dass er dabei selbst einen viel größeren Schaden erleiden wird. Andererseits sind das die Gewerkschaften, die bei ihren zuletzt wieder besonders exorbitanten Lohnforderungen natürlich die Konkurrenz aus der Dritten Welt spüren, in die immer mehr Unternehmen ob des hiesigen Lohnniveaus ganz oder mit einem wesentlichen Teil ihre Produktion abziehen. Das sieht man etwa daran, dass wir derzeit, selbst in einer Epoche der demographischen Katastrophe, also der rapiden Überalterung, wieder mit wachsender Arbeitslosigkeit konfrontiert sind.
Gewiss, zum Glück sind in der EU vorerst die Anläufe zu Lieferkettengesetzen gescheitert. Dank der deutschen FDP und der österreichischen ÖVP. Aber niemand weiß, wie lange das hält. Denn beide in ihren Ländern nicht sonderlich starken Parteien haben das ja nicht wegen der oben skizzierten Gefahren getan, sondern nur aus dem zweitwichtigsten Argument, das gegen Lieferkettengesetze spricht, also wegen der irrsinnigen bürokratischen Belastung für die Unternehmen, die etwas in der Dritten Welt einkaufen. Sie würden von der EU gezwungen werden, jeden Einkauf bis zum letzten schraubenverkaufenden Unterlieferanten zu kontrollieren und dokumentieren. Es ist für österreichische Unternehmen schon schlimm genug, all ihre Lieferanten zu dokumentieren, wenn sie nach Deutschland exportieren wollen, wo es bereits ein solches Gesetz gibt.
Das sind gewiss gewichtige Einwände. Aber eindeutig noch schlimmer ist die Gefahr eines globalen antieuropäischen Hasses durch ein EU-Lieferkettengesetz. Das wäre der endgültige Sieg Chinas. Und die Europäer sind dann nur noch dazu da, um zu wissen, wie man Rotwein produziert und trinkt. Davon werden sie aber nicht leben können.
Nun werden manche zu Recht einwenden: Uns kann auf einem kleiner werdenden Planeten ja nicht alles egal sein, was in anderen Ländern geschieht. Die Antwort: Nein, das kann es nicht. Aber wir müssen dringend lernen zu unterscheiden, was die inneren Angelegenheiten anderer Länder sind, und was sie mit Wirkung über ihre Grenzen hinaus tun, was insbesondere Europa schadet.
Wenn Europa wieder zur Vernunft kommt, dann kann es nur einen Maßstab geben: Was im Inneren anderer Länder passiert, geht uns nichts an, wenn es nicht die Dimensionen eines richtigen Völkermordes erreicht. Ansonsten dürfen und sollen nur Dinge, die Europa selbst negativ betreffen, europäische Reaktionen auslösen. Und da steht neben militärischen Gefährdungen des Weltfriedens, wie der Angriff auf ein anderes Land, zweifellos der Export von Millionen Migranten nach Europa an der Spitze. Da sind europäische Reaktionen legitim, sobald ein Land seine Bürger nicht zurücknimmt. Bei schlechten Sozialstandards ist hingegen Europa nicht legitimiert, sich in innere Angelegenheiten anderer Länder einzumischen. Schon gar nicht dann, wenn diese schlechten Standards notwendige Etappen am Wege eines Landes zur Entwicklung und zum Aufstieg sind.
So wie sie es ja einst auch in Europa lange gewesen sind.