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Wer einen "schweren Betrug" begeht, indem er sich etwa "fälschlich für einen Beamten ausgibt", um einen finanziellen Vorteil zu erlangen, landet vor dem Strafrichter. In aller Regel bleibt ihm freilich das Gefängnis erspart, wenn er bis dahin unbescholten gewesen ist. Wer bei seiner Diplomarbeit etliche Passagen abgeschrieben hat, ohne dies in Fußnoten angegeben zu haben, der landet zwar nicht vor dem Strafrichter. Aber ihm droht weit Schlimmeres als eine bedingte gerichtliche Verurteilung. Ihm droht die Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz. Und das ist noch gar nicht der einzige oder der am meisten frappierende Unterschied zwischen den beiden Untaten. Sind diese Unterschiede innerhalb eines einheitlichen Rechtsstaates gerecht? Sind sie sinnvoll?
Der zuvor genannte Unterschied hängt damit zusammen, dass Plagiate nicht von Gerichten, sondern "nur" von den Universitäten bestraft werden. Diese können zwar keine Haftstrafen verhängen. Sie können dem "Plagiator" aber weit Folgenreicheres antun: Sie können ihm den akademischen Titel und damit in Wahrheit das ganze, sonst problemlos absolvierte Studium aberkennen.
Das bewirkt selbst dort, wo ein abgeschlossenes Studium eigentlich gar keine Berufs-Voraussetzung ist, dann oft den Verlust des Jobs und der wirtschaftlichen Existenz. Das hat sehr oft auch schwere psychische Folgen. Besonders schwer sind diese Folgen bei Berufen, wo der Betreffende im Licht der Öffentlichkeit steht wie etwa Politiker und Journalisten. Obwohl man in diesen Berufen keine formale Qualifikation braucht, sind es gerade diese beiden Berufsgattungen zuletzt gewesen, deren Angehörige als "Plagiatoren" ihren Job verloren haben, nachdem sie mit vollem Namen öffentlich an den Pranger gestellt worden sind.
Das ist im Vergleich zum "schweren Betrug" und anderen Delikten nicht gerecht, bei denen sogar die Strafjustiz aktiv wird. Aber vernichtender als deren Urteil ist der höhnische Jubel vom Boulevard und von den Rängen, sobald wieder ein "Großkopferter" als Plagiator durch die Öffentlichkeit gejagt wird.
Dabei galt unter Studenten lange das Abschreiben einzelner Stellen als harmloses Kavaliersdelikt. Das hing natürlich auch damit zusammen, dass es erst seit relativ Kurzem kommerzielle Plagiatsjäger und die nötige Software gibt, die Übereinstimmungen mit anderen Texten recht einfach nachweisen kann. Zumindest wenn es diese anderen Texte elektronisch schon irgendwo in der Welt des Internets gibt.
Das Fehlen solcher Möglichkeiten hatte seit vielen Studentengenerationen zu mehr oder weniger intensiven Abschreibübungen geführt, welche die einen als Schlamperei, die anderen aber als Diebstahl von geistigem Eigentum einstufen. Eine objektive Bewertung sollte freilich auch von der inhaltlichen Art des Abgeschriebenen abhängen. Im Grund ist es lächerlich, solches Abschreiben zu inkriminieren, wenn es um allgemeine Definitionen geht, bei denen man nur in Wikipedia nachzuschauen braucht. Etwas ganz anderes ist es, wenn man sich wirkliche geistige und weitgehend unbekannte Arbeit eines anderen als eigenes Werk aneignet.
Sehr unbefriedigend ist auch, dass ausgerechnet jene Universität, die einst jemanden zum Doktor, Magister oder Master gemacht hat, über die Schwere und die Folgen des Delikts zu entscheiden hat. Denn dort sitzen ja de facto auch Kollegen, wenngleich meist als Abwesende, mit auf der Anklagebank: Wie weit ist auch ihnen ein Vorwurf zu machen, dass sie einst ein – angebliches oder wirkliches – Plagiat nicht durchschaut und den betreffenden Text als Diplomarbeit oder Dissertation angenommen haben? Da kann es keine Objektivität geben, sondern nur Kollegialität oder Professorenrivalität.
Zugleich freilich sind sich (hoffentlich) alle bewusst, dass die konsequente Verfolgung einstiger Abschreib-Schwindeleien zumindest für die Zukunft positive Folgen hat. Dass also Studenten künftig viel sorgfältiger und vorsichtiger werden (wobei es ja eigentlich für halbwegs intelligente Möchtegern-Doktoren nicht allzu schwer sein müsste, etwas anderswo Gefundenes mit eigenen und nicht mit den vorgefundenen fremden Worten zu paraphrasieren, sodass keine Plagiatsjäger-Software die Quelle finden kann …).
Ein weiterer auffallender Aspekt ist an dieser Stelle schon einmal aufgezeigt worden: Als sich die Welle der Plagiatsjägerei anfangs ausschließlich gegen konservative Politiker in Österreich oder Deutschland gerichtet hat, waren die Jäger im Mainstream totale Helden, und die Abschreiber wurden fast wie Mörder verachtet. Seit jetzt jedoch vor allem Angehörige der linken Szene im Visier stehen, hat sich die Reaktion der veröffentlichten Meinung fast total umgekehrt. Seither ist plötzlich nicht mehr das Plagiat oder der dafür Verantwortliche der Böse, sondern der Zorn gilt plötzlich jenen, welche die Plagiatsuntersuchung beauftragt haben.
Eine ordentliche Rechtsordnung sollte sich aber ganz unabhängig davon, ob ein Rechter oder ein Linker der Täter ist, bemühen, auf Delikte unterschiedlicher Art gleich – und nur je nach ihrer Schwere differenziert – zu reagieren.
Und da weist nun der renommierte Medien- und Arbeitsrechtsprofessor Gottfried Korn auf einen weiteren, bisher öffentlich nicht beachteten gravierenden Unterschied zwischen den strafrechtlichen Folgen etwa eines Betrugs und den akademischen Folgen eines Plagiats hin: Das ist die Verjährung. Die gibt es nämlich nicht bei Morden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit – und Plagiaten. Sonst überall.
Korn schlägt daher in einer Stellungnahme zur geplanten Novellierung diverser Hochschulgesetze ausdrücklich vor, eine gesetzliche Regelung über die Verjährung von Plagiaten nach fünf Jahren einzuführen. Das entspricht der Verjährung des schweren Betrugs, also etwa der Verwendung von falschen oder verfälschten Urkunden (etwa von Pässen!), der Verwendung ausgespähter Codes einer Bankomat-Karte oder von unrichtigen Messgeräten (etwa eine Waage beim Fleischhauer). Bei einem einfachen Betrug würde die Verjährungsfrist überhaupt nur ein Jahr betragen.
Bei Diplomarbeiten oder Ähnlichem kann es hingegen derzeit unbegrenzt zu einer Aberkennung der Arbeit und des akademischen Titels mit all ihren existentiellen Folgen kommen. Theoretisch könnte es sogar dazu kommen, dass auf Grabsteinen noch ein "Dr." weggefräst werden muss.
Ob es zu einer Umsetzung des Korn-Vorschlages kommen wird, ist freilich unklar. Leben wir doch in einer Zeit, wo viele Boulevardmedien teuflische Lust daran haben, ständig irgendjemanden als abgrundtief böse anzuprangern und durchs öffentliche Dorf zu jagen. Daher dürfte die Politik kaum den Mut dazu haben, diese Ungerechtigkeit zu beenden. Auch wenn Korn auf eine eindeutige und absurde Gesetzeslücke aufmerksam gemacht hat.