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90 Jahre Geschichtsumschreibung

In wenigen Tagen jährt sich der 12. Februar 1934 zum 90. Mal. Das wird mit Sicherheit wieder in allen SPÖ-nahen Medien – also fast allen – ein Hochfest der einseitigen Geschichtsumschreibung werden, ein Fest der Selbstheiligung, an der die gesamte Linke mit großer Intensität festhält, um weiterhin die Mär ausstrahlen zu können, stets auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden zu sein.

Die Manipulation beginnt schon mit zwei gezielten semantischen Einfärbungen:

  • So werden die Geschehnisse jener Tage konsequent als "Bürgerkrieg" bezeichnet. Sie sind aber ganz eindeutig ein Aufstand bewaffneter Sozialdemokraten gewesen, der dann von der staatlichen Exekutive niedergekämpft worden ist. Erstes Todesopfer war ein in den Rücken getroffener Polizist. Dennoch sind heute Straßen nur nach den ums Leben gekommenen Aufständischen getauft, nie nach den gefallenen Angehörigen der Exekutive.
  • So wird von diesen Medien und den SPÖ-nahen Zeithistorikern der nach diesem Aufstand durch eine neue Verfassung ausgerufene Ständestaat konsequent als "austrofaschistisch" bezeichnet, um ihn automatisch in die gleiche Schublade wie das Nazi-Deutschland des Adolf Hitler stecken zu können. Dabei war der Ständestaat des einige Monate später von den Nazis ermordeten Engelbert Dollfuß zwar keineswegs demokratisch, aber ein absoluter Gegenpol zu den Nazis. Dementsprechend wurde er von Hitler abgrundtief gehasst. Auch die Flucht Tausender Juden, nicht zuletzt vieler prominenter Künstler, aus Hitler-Deutschland nach Österreich und das Engagement großer Autoren wie Karl Kraus für jenen Ständestaat beweisen, dass dieser keineswegs das Reich der Finsternis war, wie ihn die SPÖ-Propaganda und ihre professoralen Zeitgeschichtsumschreiber gerne darstellen.

Vor allem aber dient diese Geschichtsumschreibung dazu, von der großen historischen Schuld der Sozialdemokraten jener Epoche abzulenken.

Diese bestand erstens darin, die Bedrohung für Österreich durch die in Deutschland 1933 zur Macht gekommenen und auch bei etlichen Regionalwahlen in der Alpenrepublik reüssierenden Nationalsozialisten und ihre Unmenschlichkeit nicht ernst genug genommen zu haben.

Für sie waren die Bürgerlichen und Bäuerlichen rund um Dollfuß der viel mehr gehasste Feind. Sie waren selbst in der Todesstunde eines unabhängigen Österreich in den März-Tagen des Jahres 1938 – als schon jeder um die Nazi-Verbrechen wissen musste – nicht bereit zum Schulterschluss gegen die Nazis mit der Regierung zur Verteidigung der österreichischen Unabhängigkeit (womit freilich nicht gesagt ist, dass ein solcher Schulterschluss Erfolg gehabt hätte, wenn man an die Brutalität des Hitlerschen Vorgehens wenig später in der Tschechoslowakei und Polen denkt).

Ja, selbst nach 1945 gab es noch Sozialdemokraten, die für eine Fortsetzung des Anschlusses waren. So wie es die Christdemokraten zwischen 1918 und 1933 gewesen sind. So wie es die Freiheitlichen im Grund noch Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg gewesen sind, was ihnen von der Linken auch lange heuchlerisch vorgehalten worden ist (Erst die beiden Gegenspieler Susanne Riess-Passer und H.C. Strache haben mit dem noch unter Haider sehr virulenten großdeutschen Getue aufgeräumt).

Noch verlogener ist, zweitens, die Selbstdarstellung der linken Zeitgeschichtsschreibung, dass die Sozialdemokaten in den 30er Jahren die einzigen Demokraten gewesen wären, während man – zumindest zeitweise – den Christlichsozialen zubilligt, zwar die größeren Patrioten, aber keine Demokraten gewesen zu sein.

Die Wahrheit sieht anders aus: Zwar haben sich die Christlichsozialen in der Tat nicht als Demokraten qualifiziert, als sie die Selbstausschaltung des Parlaments 1933 durch Rücktritt aller drei Präsidenten begierig zum Regieren ohne Parlament benutzt haben (die Präsidenten traten nach der Reihe zurück, weil sie so jeweils ihrer Seite zur Mehrheit bei einer Abstimmung verhelfen wollten). Aber genausowenig haben sich die Sozialdemokraten in der Zwischenkriegszeit demokratisch qualifiziert.

Denn sie haben schon 1927 die "Diktatur des Proletariats" als Ziel in ihr Parteiprogramm geschrieben. Und damals galten solche Programme noch keineswegs als so irrelevante und rein rhetorische Bemühungen, wie sie heute oft gesehen werden. 1927 stand noch ganz Europa im Zeichen der Schrecken durch die russische Oktoberrevolution und die dort ausgerufene Diktatur des Proletariats, die in der Folge unzählige Menschenleben gefordert, alle Grundrechte zunichte gemacht und das Land in jahrzehntelange Armut gestürzt haben. Ein Bekenntnis zum Ziel einer Diktatur des Proletariats war also das genaue Gegenteil von einer demokratischen Gesinnung.

Es ist wirklich eine Schande für alle Genossen der Zeithistoriker-Zunft, dass sie dieses damals in Österreich sehr genau rezipierte Faktum ignorieren, nur um der Sozialdemokratie einen Persilschein zu verschaffen.

Aber letztlich ist die Umschreibung der Geschichte der größte Eckstein in der linken Selbstdarstellung: Es ist enorm wichtig für eine "Bewegung", sich im moralistischen Rückblick der als zentral erkannten Zeitgeschichts-Umschreibung immer als die Guten und als die Opfer darzustellen, hat die Linke doch im wirklichen Leben viel seltener Pluspunkte erzielt.

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