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Seit längerem gibt es keine nennenswerten Frontveränderungen im Ukraine-Krieg. Die ukrainischen Erfolge im Jahr 2023 waren weit geringer, als an dessen Beginn erhofft. Derzeit scheinen beide Seiten zwar von Erschöpfung geprägt. Aber dennoch ist ein Kriegsende alles andere als nahe. Wie geht der Krieg jetzt weiter? Was wären nach all dem Schrecken noch die relativ besten Wege zu einem Kriegsende? Was wären die schlechtesten? Und worauf wird es im angefangenen Jahr vor allem ankommen? Einige Antwort-Versuche.
So traurig es ist, so wahrscheinlich ist es dennoch, dass auch dieses Jahr kein Kriegsende sehen wird. Moskau wie Kiew wissen, dass sie derzeit für einen Sieg zu schwach sind, aber niemand ist so kaputt, dass er kapitulieren würde.
Auf beiden Seiten haben daher 2024 wahrscheinlich nicht neue Angriffsversuche Priorität, sondern die Bemühungen, die eigenen Streitkräfte zu stärken. Daneben versucht Moskau, durch seine relative Luftüberlegenheit mit Raketen, Flugzeugen, Marschflugkörpern und Drohnen die ukrainischen Städte zu demoralisieren. Es gibt aber trotz aller Zerstörungen keine seriösen Anzeichen, dass der Putin-Armee das gelingt. Dazu ist die Motivation der Ukrainer viel zu groß. Dazu sind die Bomben-Schäden durch die Russen etwa im Vergleich zum Kriegswinter 1944/45 in österreichischen Städten noch immer zu gering. Dazu ist die ukrainische Luftabwehr zu erfolgreich. Letztlich ist noch nie ein Krieg durch Bombenangriffe alleine gewonnen worden.
Das führt zum derzeit zentralen Kriegsthema: Kann die Ukraine ihre Abwehrsysteme im nötigen Umfang auf- und nachrüsten? Sie ist dabei eindeutig auf Hilfe angewiesen. Jedenfalls fällt auf: Vor einem Jahr hat die Ukraine um Panzer und Waffen gebeten, mit denen sie die Russen offensiv zurückdrängen will. Heute geht es ihr vor allem um die Luftabwehr, also ein bescheideneres Ziel. Aber auch die Russen auf der Gegenseite müssen in diesem Jahr vor allem darum ringen, sich militärisch besser aufzustellen.
Dabei geht es nicht zuletzt um kampfeswillige Soldaten. An diesen scheint es Russland trotz seiner Einwohnerstärke noch mehr zu mangeln als der Ukraine. Hunderttausende Männer im Militäralter haben sich ins Ausland abgesetzt. Und bei jenen, die in die Uniform gezwungen worden sind, ist keine Spur einer Kriegsbegeisterung zu sehen. Aber auch bei der Ukraine ist nicht das ganze Land kampfeswillig. So fallen doch relativ viele ukrainische Männer auf, denen es gelungen ist, sich nach Österreich und in andere westliche Länder abzusetzen, wenngleich eindeutig der Großteil der ukrainischen Kriegsflüchtlinge Frauen und Kinder sind.
Jeder einzelne im Westen gesichtete Mann am Steuer eines ukrainischen Autos ist aber jedenfalls ein Beitrag dazu, die Unterstützungsmotivation im Westen zu dämpfen. Jedenfalls sind vorerst Waffen und Geld für die Ukraine das größere Kriegsproblem als die Deserteure und die eigene Truppenstärke.
Aber auch Putin muss immer mehr Rüstungsgüter aus dritten Ländern kaufen. In diesem Zusammenhang sei noch einmal an den zweiten Weltkrieg erinnert. Es gibt seriöse Analysen, denen zufolge Stalin nur deshalb den Angriff Hitlers zurückschlagen habe können, weil er über den Osten seines Reiches von den USA massiv mit Waffen und nicht zuletzt Flugzeugen aufgerüstet worden ist. Auch in diesem Krieg scheint Putin zunehmend von den Lieferungen seiner Verbündeten abhängig geworden zu sein, selbst wenn das Iran oder Nordkorea sind.
Auf der anderen Seite versucht die Ukraine zwar intensiv, trotz der russischen Bomben die eigene Waffenindustrie zu forcieren. Aber das angegriffene Land war von Anfang an noch viel mehr von Rüstungshilfe aus dem Ausland abhängig.
Europa ist trotz der Bremsversuche des Ungarn Viktor Orbán dabei weiterhin hilfswillig. In Europa weiß die Mehrheit noch immer genau, dass die eigene Sicherheit gefährdet ist, wenn die Ukraine fällt. Insbesondere in Osteuropa ist das der politischen Linken wie Rechten klar – nur Orbán zeigt sich jetzt schon von einer Niederlage der Ukraine überzeugt und will sich daher mit Moskau arrangieren (er würde übrigens wohl dennoch sofort zu einem flammenden Unterstützer der Ukraine, würde diese der kleinen ungarischen Minderheit im Westen das Selbstbestimmungsrecht gewähren).
Jedenfalls ist die Annahme Unsinn, dass die erwarteten Zugewinne der sogenannten Rechtspopulisten bei der EU-Wahl ein Ende der Ukraine-Unterstützung bedeuten würden. Denn von Italiens Meloni bis zur polnischen PiS-Partei gibt es auch auf der europäischen Rechten Parteien, die klar antirussisch und proamerikanisch sind, die mit der Russland-Liebe der FPÖ und AfD nichts anfangen können.
Das große Fragezeichen ist vielmehr der kommende November und der dann mit etlicher Wahrscheinlichkeit bevorstehende Wahlsieg von Donald Trump: Wird Trump wirklich die Ukraine fallen lassen, wie etliche Zeichen andeuten? Einerseits reitet er auf der Welle des Isolationismus; gar nicht so wenige Amerikaner vor allem der ärmeren Schichten sind es einfach müde, dass sie rings um den Erdball immer wieder zur Rettung bedrängter Nationen gerufen werden und dann dafür oft noch als "Imperialisten" gescholten werden.
Aber andererseits wäre es eine schwere Demütigung für Trump, nähme er wirklich tatenlos den Fall der Ukraine hin. Es ist eher anzunehmen, dass er einen seiner immer wieder behaupteten Deals mit Putin versuchen würde, der ja wegen des Krieges viele wachsende Probleme hat. Jedenfalls setzt Putin seine Hoffnungen auf einen Sieg Trumps. Daher ist er bis zum US-Wahltag und bei einem Sieg Trumps bis ins Jahr 2025 hinein, also bis zu einer Klärung der Trump-Außenpolitik zu keinerlei Konzessionen bereit. Denn den zerstrittenen Europäern allein traut Putin keine ausreichende Unterstützung der Uraine mehr zu. So wenig konzessions- und friedensbereit Putin auch ist, so wenig dürfte er daher umgekehrt 2024 über den Zermürbungskrieg mit ständigen Bombardierungen hinaus vorerst auch keine großen Offensivaktionen setzen. Er dürfte aber wohl auch nicht mehr die militärische Kraft dazu haben.
Während also die beiden Kriegsparteien wie zwei sich aneinanderklammernde Boxer im Ring stehen, ohne dass einer die Chance auf den entscheidenden KO-Schlag hat, bleibt die Frage, was Europa tun sollte.
Da kann es im Grund nur eine klare Doppelstrategie gehen:
A) Auf der einen Seite muss Europa schon im Eigeninteresse Putin klarmachen, dass Europa weiterhin eindeutig und unvermindert an der Seite der Ukraine stehen wird. Das ist teuer, aber lebens- und freiheitswichtig.
B) Auf der anderen Seit sollte Europa viel stärker als bisher die drei wohl einzigen möglichen Wege zu einem letztlich guten Kriegsende vorbereiten. Aber leider scheint keiner dieser drei Wege wirklich in den europäischen und nationalen Stäben durchanalysiert oder gar vorbereitet zu werden:
Diese drei Wege sind:
Ein in etwa so ausschauendes Neutralitätspaket wäre zweifellos die leichteste Formel, wie beide Seiten gesichtswahrend aus dem Gemetzel herauskommen können. Und wie zugleich die Bürger der Ukraine in eine wirklich gute Zukunft gehen könnten, auch wenn sie vorerst noch am Neutralitätsmodell zu zweifeln scheinen.
Einfach wird es jedenfalls keineswegs sein, das Neutralitätsmodell auch nur einer Seite verständlich zu machen. Obwohl es derzeit der klügste Weg wäre.
Landkreis für Landkreis müsste da die Bevölkerung abstimmen, zu welchem Staat sie gehören will. Dabei dürften aber keine Enklaven entstehen, es müsste also von der Grenze aus Schritt für Schritt vorgegangen werden. Dabei müssten auch all jene Menschen mitstimmen können, die vor dem Krieg im betreffenden Landkreis ansässig waren, inzwischen aber geflüchtet sind.
Eine solche Abstimmung könnte nur durch eine unabhängige Organisation auf Grund eines verbindlichen Abkommens organisiert und sauber durchgeführt werden. Gibt es eine solche? Am ehesten könnte sie im Rahmen von UNO oder OSZE aufgebaut werden.
Ein nicht ganz an den Haaren herbeigezogenes Modell dafür wäre das, was sich vor mehr als hundert Jahren im gleichen Land abgespielt hat: Die Oktoberrevolution 1917 hat einen vorzeitigen Frieden an der Ostfront des ersten Weltkriegs gebracht. Der Umsturz in Russland hat die Kriegslust in Moskau und Petersburg schlagartig beendet. Im Februar 1918 schlossen Deutschland und Österreich jeweils in Brest-Litowsk mit der (damals leider nur kurzfristig unabhängigen) Ukraine Frieden und dann im März mit Sowjetrussland (während an der Süd- und Westfront der menschenfressende Krieg noch bis November weiterging und für die Mittelmächte katastrophal endete).
Auch wenn niemand ganz den Durchblick über die innerrussischen Machtverhältnisse hat, so gibt es zweifellos in der Armee, aber auch im Sicherheitsapparat – und in der Wirtschaft und Bevölkerung sowieso – Kräfte, die wenig für Putins Krieg übrig haben. Ihnen müsste laut und verbindlich Signale geschickt werden, dass
Das Schlimme ist: So richtig und notwendig die weitere Unterstützung für die Ukraine ist, so schlimm ist, dass im Westen, in der EU niemand ausreichend diese drei Wege vorbereitet, dass nirgendwo mit Ukrainern intensiv über die jeweiligen Details gesprochen wird, dass noch weniger diesbezügliche Signale Richtung Moskau geschickt werden. Im Westen geben sich viel zu viele (wie etwa rund um den Internationalen Strafgerichtshof) realitätsfernem juristischem Denken hin, statt ein baldiges, aber gutes, also keinen Triumph für den Kriegstreiber bringendes Ende des Krieges zur obersten Priorität zu machen.
Und das ist die wahre Kriegsschuld des Westens. Während an allem anderen nur einer schuld ist: Wladimir Putin.