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Rule of law – oder: Only left rule is good rule

Angenommen, in Deutschland kommt die AfD bei Wahlen an die Macht und säubert über Nacht zahllose Akteure in Nachrichtenagenturen, Fernsehen, Radio und Justiz, wobei es zu wilden Handgreiflichkeiten und Sendeabschaltungen kommt. Es ist absolut unvorstellbar, was dann alles im Land, aber auch im Rest Europas an empörten Reaktionen und Sanktionen bis an den Rand von Krieg und Bürgerkrieg los wäre. Zu Recht los wäre. Eigentlich schien es ebenso bis vor kurzem unvorstellbar, dass genau das passiert, aber dass das restliche Europa ruhig bleibt oder gar offen Beifall dazu klatscht. Und doch passieren genau diese Dinge – mit dem einzigen Unterschied: Sie passieren nicht im größten, sondern im fünftgrößten Land Europas, und die Täter sind nicht Rechte, sondern Linke.

Sie passieren derzeit in Polen. Die europäische Kritiklosigkeit gegenüber den dortigen Vorgängen lässt sich nicht bloß dadurch erklären, dass in Europa alle schon in Weihnachtsstimmung sind und daher keine Lust haben, einen neuen Krisenherd mitten in Europa auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Diese Vorgänge werden aber auch dadurch nicht schöner, dass sich die Linken in Polen "linksliberal" nennen, und dass diese Linksliberalen in jedem Satz fünfmal betonen, wie europäisch sie doch seien.

Denn wenn das wirklich Europa ist, was sich da in Polen jetzt abspielt, wenn die EU-Kommission akzeptiert, ja durch eine Kommissarin sogar ausdrücklich unterstützt, dass mit eindeutig undemokratischen Mitteln angeblich Demokratie hergestellt wird, dann hat dieses Europa moralisch ausgespielt.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich hat es in Polen politische Besetzungen bis hin in die Justiz gegeben, ebenso wie zahlreiche Korruptionsfälle. Aber nichts davon ist schlimmer als in vielen anderen europäischen Ländern. Man vergleiche nur mit den ärgsten Spitzen des österreichischen Eisbergs (man könnte aber ähnlich auch mit etlichen anderen Ländern vergleichen):

  • Da haben sich die österreichischen Grünen im Koalitionspakt gleich beide Spitzenpositionen vorweg gesichert, die Österreich in europäischen Gerichtshöfen zu besetzen hat. Jenseits allen "Unabhängigkeit der Justiz"-Geredes und jenseits allen Geschwätzes von "Den Besten Auswählen", das man gerade von den Grünen und damit den Medien ständig hört.
  • Da ignoriert eine auf einem Auge total blinde Staatsanwaltschaft seit Jahr und Tag den weitaus größten Korruptionsskandal der österreichischen Geschichte, also die hunderte Millionen Euro ausmachenden Bestechungsinserate für willfährige Medien aus dem Imperium der Gemeinde Wien.
  • Da gelingt es der gleichen "Justiz", nicht nur jenen Spitzenbeamten in den Tod zu treiben, der diese Staatsanwälte als letzter zu mehr Rechtsstaatlichkeit anhalten hat wollen, sondern auch einen bürgerlichen Bundeskanzler unter geradezu hanebüchenen Vorwürfen zu stürzen.
  • Da ist der einzige Pluralismus, den es in den politischen ORF-Redaktionen zu finden gibt, in jenem zwischen SPÖ-Anhängern und Grünen (soweit es zwischen den beiden Lagern überhaupt inhaltliche Unterschiede gibt) sowie den Kommunisten, die den Sender Ö1 bereits fest im Griff haben, während bürgerliche ORF-Journalisten nur noch in einigen Bundesländern und der Sportredaktion zu finden sind.

All das ist genauso schlimm, wenn nicht schlimmer als das, was in Polen unter der nationalkonservativen PiS-Regierung halt mit umgekehrten Vorzeichen passiert ist. Tatsache ist jedenfalls, dass diese Regierung nach einer Niederlage bei korrekten Wahlen komplett verfassungskonform die Zügel an die siegreiche Linke übergeben hat. Das ist aber der wichtigste Beweis, dass die polnische Rechte tadellos demokratisch gewesen  ist.

Zwar gab es bei der Machtübergabe frustriertes Zähneknirschen der abtretenden polnischen Konservativen und schnelle Besetzung einiger Versorgungsposten. Aber demokratiepolitisch war das harmlos im Vergleich zu der Art und Weise, wie in Österreich im Jahr 2000 in sozialistischen Ministerien die Machtübergabe erfolgt ist. Damals wurden in etlichen Ministerbüros nicht nur sämtliche Akten vernichtet, sondern sogar Computer-Anschlüsse aus den Wänden gerissen.

Der "große" Europäer Tusk an der Spitze der neuen polnischen Regierung überlegt jetzt sogar offen, den Verfassungsgerichtshof für ungesetzlich zu erklären, weil er politisch besetzt worden sei. Dieser Vorwurf stimmt zwar, aber er trifft bei weitem nicht nur in Polen zu. Macht das Schule, dass wegen einstiger politischer Besetzungen das Verfassungsgericht ausgehebelt werden darf, dann haben die Polen einen perfekten Präzedenzfall gesetzt, wie die FPÖ in Österreich oder die AfD in Deutschland vorgehen wird können, wenn sie bei Wahlen die Mehrheit errungen hat – oder aber auch eine neue linke Ampel, falls die irgendwo noch die Mehrheit erringen sollte.

In Polen wird jedenfalls das wichtigste Grundprinzip westlicher Rechtsstaaten ausgehebelt, das in "Checks and Balances" zwischen mehreren Spitzenorganen besteht, wie es in Amerika getauft worden ist. Praktisch nie liegt dort die Macht in beiden Parlamentskammern, im Weißen Haus und im sehr mächtigen "Supreme Court" beim gleichen politischen Lager. Dazu kommen noch sehr, sehr eigenständige Bundesstaaten, wo überdies wieder die Macht zwischen Parlament, Justizorganen und Gouverneur geteilt ist. Daher hat auch der linke Präsident Biden seine Grenzen insbesondere im Höchstgericht gefunden, das mehrheitlich konservativ besetzt worden ist. In den USA hat jedenfalls noch nie jemand die Rechtsstaatlichkeit des Landes bezweifelt, weil die Höchstrichter durch Präsident und Senat, also rein parteipolitisch besetzt werden.

Hingegen hat das neue polnische Parlament schon in den ersten Tagen beschlossen, dass wegen solcher Besetzungen etliche bisher geltende Gesetze verfassungswidrig seien. Wenn es zugleich gelingt, den für diese Beurteilung eigentlich zuständigen Verfassungsgerichtshof auszuhebeln und den Präsidenten zu umgehen, dann ist das Land durch die Regierung Tusk genau zu dem gemacht worden, was die Linke bisher immer in Hinblick auf die Vorgängerregierung behauptet hat, was aber bisher nie gestimmt hat: zu einer Autokratie.

Das erinnert stark an das berühmte Zitat des (übrigens eher linken) italienischen Schriftstellers Silone: "Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus‘. Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus‘."

Es sollte außer Zweifel stehen: EU-Europa und seine Institutionen sollten niemals Diktaturen unter ihren Mitgliedsländern haben. Aber solange es keine klar nachvollziehbaren Definitionen, keine allgemeinen EU-rechtlichen Regeln gibt, wann ein Land Rechtsstaat, Diktatur, Autokratie oder Demokratie ist und wann nicht, stinkt die dennoch erfolgende Anwendung selbstgestrickter Demokratie-Bewertungen durch EU-Kommission und Gerichtshof auf zehn Kilometer nach ideologischer Mauschelei.

Dieser Gestank entsteht aber, wenn Brüssel&Co einerseits in den letzten Jahren einseitig gegen die rechten Regierungen in Polen und Ungarn vorgegangen sind; und wenn sie anderseits absolut desinteressiert sind, gegen bedenklichen Machtmissbrauch durch linke Regierungen vorzugehen.

Das sieht man nicht nur am Fall Polen. Das sieht man auch an den Fällen Spanien und Slowakei. In der Slowakei hat mit Robert Fico ein Politiker die Macht übernommen, der massiver Korruptionsverbrechen verdächtig ist.  Massendemonstrationen empören sich deshalb darüber, dass durch seine Bestellung die "Rule of Law" gebrochen sei. Aber Fico ist europäisch offensichtlich unberührbar, weil er kein Rechter, sondern ein sozialdemokratischer Linkspopulist ist. Niemand in Brüssel nimmt deshalb von dem Land überhaupt Kenntnis.

Auch in Spanien klagen Oppositionsparteien und Massendemonstrationen massive Verfassungsverletzungen durch die linke Regierung an. Doch das kümmert die EU-Gewaltigen auch dort absolut nicht. Sie haben sich nur gegen die rechten Regierungen in Polen und Ungarn von der dortigen Opposition einspannen lassen. Linke Regierungen hingegen gehören in der derzeitigen EU a priori zu den Guten, sind offensichtlich sakrosankt.

Wobei der Fall Spaniens zweifellos eine Besonderheit ist: Geht es da doch um die Begnadigung jener Politiker durch die linke Mehrheit, die einst die Sezessionsbemühungen für Katalonien vorangetrieben haben. Diese Bemühungen und damit wohl auch die nunmehrige politische Begnadigung der vom Höchstgericht deswegen ja verurteilten Sezessionisten scheinen ein klarer Verstoß gegen die spanische Verfassung zu sein. Wenn die spanische Regierung jene Urteile des Höchstgerichts (wie auch immer man sie inhaltlich bewertet) konterkariert, wäre das nach den bisher gegen Polen und Ungarn angelegten Maßstäben der EU ein klarer Grund zum Einschreiten, zur Streichung von Geldern, weil deren Einsatz nicht mehr rechtsstaatlich kontrolliert werden kann, wenn Gerichtsurteile politisch ausgehebelt werden.

Zugleich ist völlig unklar, nach welchen Maßstäben der EU-Gerichtshof die angebliche oder wirkliche Verletzung einer nationalen Verfassung überhaupt prüfen will, beziehungsweise in diesen Fällen schon geprüft hat. Geht er dabei ohne inhaltliche Prüfung dieser Verfassung vor? Woher nimmt er die Rechtsgrundlagen für eine solche Prüfung? Saugt er sich die aus dem Finger? Oder liegt der einzige Maßstab der derzeitigen EU-Machthaber nicht in Wahrheit einzig darin, ob Regierungen links oder rechts sind, denen die Verletzung der Verfassung vorgeworfen wird?

Diesen Verdacht wird man jedenfalls in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen ganz und gar nicht los. Die derzeitige EU-Mehrheit täte sehr gut daran, diesen Verdacht möglichst umgehend noch vor den Wahlen zu zerstreuen und sich auch die Dinge im heutigen Polen, Spanien und der Slowakei sehr kritisch und in gleicher Weise wie bei Ungarn oder dem früheren Polen anzuschauen, wenn sie halbwegs Glaubwürdigkeit behalten will.

PS: Im Fall Spaniens hoffe ich im Übrigen sehr, dass die EU dabei endlich allgemeingültige Maßstäbe dafür entwickelt, was Rechtsstaat und Demokratie eigentlich genau sind und dass diese Maßstäbe im Gegensatz zur spanischen Verfassung und den spanischen Konservativen, den katalanischen Sezessionsbemühungen auch eine europäische Grundlage geben. Alles andere als ein deutlicher Schritt Richtung Selbstbestimmungsrecht würde EU-Europa nämlich deutlich weg von all dem bringen, was ethisch erfreulich wäre, was der Menschenwürde entspricht, was die Welt, was zumindest Europa friedlicher und gerechter machen würde. Ich fürchte nur, dieser Schritt wird nicht kommen. Obwohl er in diesem Fall tendenziell sogar eine linke Regierung unterstützen würde. Was in Ordnung wäre, wenn Europa nur endlich von parteipolitischer Willkürherrschaft wegkäme.

PPS: Noch ein Wort zur Korruption. Deren Schädlichkeit liegt ja vor allem darin, dass sie einem Land wirtschaftlich schwer schadet. Nun ist Tatsache, dass Polen sich seit langem wirtschaftlich weit besser entwickelt hat  als Österreich. Wo ist wohl der Korruptions-Schaden größer? 

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