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Was ist eigentlich der Kern dessen, was die Christen in diesen Tagen feiern? Warum ist jener Christus so wichtig, der da vor rund 2023 Jahren – wahrscheinlich ist es noch eine Handvoll Jahre länger her gewesen – in einer jüdischen Familie in Galiläa, also in Palästina, also in Israel auf die Welt gekommen ist?
Oberflächliche Antworten würden darauf hinweisen, dass die von manchen verächtlich "Weihnachtsgeschichte" genannte Geburt Christi beweist, dass jene Region historisch jüdisches Land gewesen ist, dessen Einwohner dann ganz überwiegend christlich geworden sind, bevor sie lange unter islamische Herrschaft geraten sind, bevor sie heute Teil eines wieder jüdischen Staates sind. Aber das sei nur aus aktuellem Anlass am Rande gesagt, weil halt immer wieder so getan wird, als ob jener Teil der Erde immer schon arabisch, immer schon jüdisch, immer schon christlich, immer schon islamisch gewesen wäre.
Viel wichtiger, viel tiefer ist der Kern dessen, was dieser Christus zurückgelassen hat, was auch für jene Menschen eigentlich eine zentrale Botschaft ist, zumindest sein sollte, die mit den christlichen Kirchen gar nichts oder nicht viel am Hut haben. Wenn man sie um die transzendentalen Werte und Aussagen reduziert und ganz die diesseitigen Aufträge herausarbeitet, dann lässt sich die Botschaft auf folgende drei Werte konzentrieren:
In keiner anderen Weltreligion findet man so klar diese zentralen Eckpunkte dessen, wie es zu einer guten Gemeinschaft der Menschen kommen kann. Was zweifellos unabhängig von der bisweilen sehr ernüchternden Praxis vieler Christen und der Realität der Kirchengeschichte zu bewerten ist.
Über alle drei Vorgaben lassen sich gewiss weise Bücher schreiben, daher hier jeweils nur ein Gedanke zu diesen drei Zentralpunkten:
Wie revolutionär die Idee einer allen gleiche Menschenwürde vor 2000 Jahren war, wird erst bewusst, wenn man sich erinnert, dass damals in allen Regionen der Welt das Halten von Sklaven verbreitet war, also die Behandlung anderer Menschen als Sachen, über die man willkürlich verfügen kann. Wohl hat es mehr als 1800 Jahre gedauert, bis allen sich Christen nennenden Menschen klar war, dass Sklavenhalterei ein Verbrechen und nicht mit dem Christentum vereinbar ist.
Aber es kann ebensowenig bezweifelt werden, dass der historische Prozess zur Abschaffung der Sklaverei erst und genau mit den Lehren des Jesus Christus begonnen hatte. Und dass es heute nur außerhalb der christlichen Welt, vor allem in der islamischen und in der kommunistischen Welt, noch so etwas wie Sklaverei gibt, also eine Weltsicht, die Menschen a priori einen ganz unterschiedlichen Wert und eine unterschiedliche Würde gibt.
Noch klarer wird die Bedeutung der allgemeinen Menschenwürde, wenn man sie in christlicher Sicht untrennbar verbunden mit dem Anspruch jedes Menschen auf Freiheit erkennt. Es ist alles andere als ein Zufall, dass die meisten Freiheitsbewegungen der Weltgeschichte auch christlich aufgeladen waren. Man denke an die Bauernaufstände der Neuzeit oder an Andreas Hofer. Oder an jene von Polen ausgehende Freiheitsbewegung, die den Untergang der ganzen sowjetrussischen Diktatur eingeleitet hat.
Christen überrascht es freilich auch nicht, dass sich auch heute noch Menschen, in Moskau und anderswo, nach jener Diktatur zurücksehnen. Denn Christus hat gewusst, dass auch das Böse auf Dauer in der Welt bleiben wird.
Die Sehnsucht nach Frieden findet sich gewiss in so gut wie allen Religionen, Kulturen und Nationen. Aber auch hier hat Christus etwas Historisches klargemacht: Wirklichen Frieden kann es nur mit Versöhnung geben. Das ist bei manchen (christlich beeinflussten) Friedensschlüssen der Geschichte gelungen, siehe etwa den Westfälischen Frieden nach dem Dreißigjährigen Krieg, siehe etwa den Wiener Kongress nach den Napoleonischen Kriegen, siehe etwa die Versöhnung vor allem zwischen Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Immer sind lange Friedensperioden gefolgt.
Ohne wirkliche Versöhnung sind hingegen viele andere Friedensschlüsse missglückt. Siehe etwa die Pariser Vororteverträge nach dem ersten Weltkrieg. Siehe etwa die Friedensverträge nach den diversen Jugoslawienkriegen (etwa jene von Dayton). Siehe etwa das Minsker Waffenstillstandsabkommen nach der ersten russischen Invasion in der Ukraine.
Was ist aber das eigentliche Wesen eines wirklichen Friedens, damit er haltbar wird, damit er echte Versöhnung bedeutet? Am wichtigsten ist zweifellos, dass – wie der Krieg auch immer militärisch "ausgegangen" ist – beide Seiten einander nachher dauerhaft auf Augenhöhe gegenüberstehen können; dass sich nicht der eine als der Besiegte fühlen muss; dass nicht eine Seite durch Reparationen oder ähnliches gedemütigt wird; dass es so etwas wie den Großmut des Siegers geben muss (sofern es militärisch einen gegeben hat); dass – etwa in Hinblick auf die Grenzen – der Inhalt jedes nachhaltigen Friedens einerseits Elemente eines Kompromisses, andererseits aber auch Elemente der Gerechtigkeit in sich tragen muss, die wiederum meist eine gewisse Verwandtschaft mit dem Selbstbestimmungsrecht haben.
Das Schwierigste, meist Umstrittene, aber wohl auch Wichtigste an den diesseitigen Aufträgen des Jesus Christus ist sicher die Nächstenliebe. Es ist kein Zufall, dass der Auftrag zu Nächstenliebe mit den Worten "Wie dich selbst" verbunden ist, also damit, dass man sich selbst keineswegs selbst aufzuopfern hat, sondern dass man auch – auch – auf sich selbst schauen darf. Und soll.
Wir finden in der Bibel vom Alten bis zum Neuen Testament eine Betonung des Gebots der Nächsten-, nicht eines der Fernstenliebe. Das ist im aktuellen Zusammenhang auch zentral für die Migrations-Debatte. Manche naiven Christen meinen, der Auftrag bestünde darin, alle Menschen ins eigene Land zu holen, um sie dort zu ihren Nächsten zu machen und zu lieben. Da dabei aber die eigene Gesellschaft in Trümmer geht, wäre das ein glatter Widerspruch zum Auftrag "wie dich selbst". Man darf und soll sehr wohl sich und seine eigene Gesellschaft lieben und verteidigen.
Als konkretestes Beispiel des Neuen Testaments für praktizierte Nächstenliebe wird oft das Gleichnis vom Samariter zitiert, der einen Mann, der unter die Räuber gefallen und misshandelt worden war, gerettet hat. Was aber hat er konkret gemacht? Er hat den armen Überfallenen in eine Herberge gebracht – was in unserer Welt wohl ein Spital wäre – und er hat dort für dessen Behandlung bezahlt.
Das heißt aber etwas ganz anderes als das, was einige deutsche Christen derzeit im Mittelmeer tun:
In einem anderen Gleichnis holt der Weinbauer Arbeiter in seinen Weinbau. Es gibt nachher zwar Debatten über die gleiche Höhe der Bezahlung unterschiedlich lang Arbeitender. Aber auch hier wurde niemand geholt (und bezahlt), der nichts arbeiten wollte, oder der nicht gebraucht wurde.
Christus hat weise und kluge Ratschläge, Aufträge, Gebote erteilt. Jene Seenotretter hingegen sind irre Fanatiker, die – um ein anderes christliches Wort zu verwenden – nicht wissen, was sie tun, die nicht nur ihr eigenes Haus zerstören, wenn sie viele Menschen auf eine gefährliche Reise locken in der Hoffnung, es sich verbessern zu können.
Schon diese drei kurzen Stichworte zeigen, wie wichtig, wie sensationell das ist, was da vor rund 2030 Jahren in die Welt gekommen ist. Und vielleicht ahnen jene vielen, die mit den Christen feiern, weil sie gerne feiern, aber ohne eigentlich zu wissen, warum sie da gerade feiern, doch unbewusst ein ganzes Stück der Bedeutung dieses Christus. Auch wenn sie sich nur als Kulturchristen fühlen.