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Wozu sind die Kammern da?

Der – bedauerlicherweise auf keinen Widerstand in der Regierung gestoßene – Angriff von Gesundheitsminister Rauch gegen die Ärztekammer ist eine der dümmsten Aktionen rund um unser ohnedies schon schwieriges Gesundheitssystem. Zwar kann man gewiss die Rechte der Ärztekammer zur Diskussion stellen, aber wenn man nicht nur einäugiger Klassenkämpfer sein will, müsste man dann alle Kammern genauso auf den Prüfstand stellen. Rauchs Attacke macht aber auch aus mehreren anderen Gründen fassungslos.

Denn letztlich liefe die weitgehende Ausschaltung der Ärztekammer auf eine Vergesellschaftung des gesamten Gesundheitssystems hinaus, auch wenn das nie offen ausgesprochen wird. Ein rein staatliches Gesundheitssystem funktioniert aber schon in Großbritannien seit langem nicht. Und es würde auch in Österreich letztlich bedeuten, dass es keine Fluchtmöglichkeiten mehr aus dem immer schlechter funktionierenden Pflicht-Sozialversicherungssystem mehr gibt.

Dabei ist das eine Flucht, die schon viele Österreicher angetreten haben, weil ihnen ihre Gesundheit wichtiger ist als das vergebliche Beharren auf dem von der Politik vermittelten Anspruch, dass die Bürger für saftige Pflichtzahlungen an die Sozialversicherung auch eine Gegenleistung, etwa einen gewünschten Arzttermin, erhalten würden. Diese Flucht geschieht auch deshalb, weil sich Patienten immer öfter schlicht genieren, für die – im Vergleich zu jedem Installateur – lächerlich geringen Beträge, die ein Arzt von der Sozialversicherung bekommt, zu erwarten, dass sich dieser voll Engagement dem Körper des Patienten widmet, der diesem so wichtig ist.

Überdies sind Rauchs Vorschläge auch eine Attacke auf die Privatheit der persönlichen Gesundheitsdaten, bei denen es keine private Ecke mehr geben soll. Das erscheint in Anbetracht der Tatsache besonders skurril, dass die Grünen ja immer die lautesten Vorkämpfer für einen extrem weitgehenden Datenschutz gewesen sind. Wegen dieser Datenschutzexzesse müssen wir ununterbrochen irgendwelche Cookies-Warnungen wegklicken und bekommen bei Behörden auch nach Abschaffung des Amtsgeheimnisses keine Auskunft. Aber bei unseren Gesundheits- und Krankheitsdaten wollen die Grünen, dass nichts privat, nichts zwischen Arzt und Patient geheim bleibt. Psychische, sexuelle, genetisch oder Kreislauf-bedingte Probleme. Nichts. Alles soll auf Dritten zugänglichen Datenträgern stehen.

Gleichzeitig löst Rauchs Angriff auf die Ärzte in keiner Weise das eigentliche Hauptproblem unseres Gesundheitssystems. Das lautet: Wir haben viel zu wenige dieser Ärzte.

Der Ärztemangel hat mehrere Ursachen, die von Rauch in keiner Weise angegangen werden:

  1. Durch den massenweisen Zuzug von illegalen Migranten (der von den Grünen noch heftiger unterstützt worden ist und wird als von den Roten und Pinken), aber auch durch die Geburtenfreudigkeit legal gekommener, aber nicht gerade bildungsaffiner Migranten sind Österreich Millionen mehr Patienten zugewachsen – aber leider sind weder Raketenwissenschaftler noch Ärzte durch diese Migration zu uns gestoßen.
  2. Die Medizin kann – zum Glück – immer mehr. Das löst logischerweise auch immer mehr Behandlungen früher unbehandelbarer Leiden aus. Das lässt uns (zusammen mit ein paar anderen Faktoren) erfreulicherweise meist auch länger leben. In diesen zusätzlichen Lebensjahren bekommen wir aber logischerweise wieder mehr Erkrankungen, die wir sonst gar nicht mehr erlebt hätten, die wieder neue Behandlungen erfordern.
  3. Wegen der Einmischung des EU-Gerichtshofs und der EU-Kommission dürfen wir nur noch 75 Prozent der Studienplätze an heimischen Unis für Österreicher reservieren (wobei selbst dieser Prozentsatz nicht in Beton gegossen ist und eventuell eines Tages auch auf Null sinken könnte, wenn Österreich nicht pariert). Die anderen kehren fast alle nach Konsum des – unentgeltlichen und auf einem hohen Niveau stehenden – Studiums wieder in ihre Heimat zurück.
  4. Aber auch bei jenen Österreichern, welche nach irrwitzigen Ausleseprüfungen die 75 Prozent Plätze an den Medizin-Unis bekommen haben, werden viele nach dem Studium von einem starken Sog aus dem Ausland erfasst. Der Sog wirkt vor allem durch bessere Bezahlung und spannendere Forschungsmöglichkeiten. Ihm entgegenzuwirken, ginge nur, wenn man den Ärzten in Österreich in jeder Hinsicht kompetitiv gute Arbeitsbedingungen böte. Ein Krieg gegen die Vertretung der Ärzte zählt da gewiss nicht dazu.
  5. Das relativ beste Mittel gegen die Abwanderung von Absolventen österreichischer Medizin-Unis ins Ausland geht wegen jenes sozialistischen Dogmas nicht, demzufolge das Studium in Österreich im Gegensatz zu vielen ausländischen Staaten gratis sein müsse. Hätte eine Regierung den Mut, die Proteste von SPÖ und Hochschülerschaft zu ignorieren, und kostendeckende Studiengebühren einzuführen, könnte sie den in- wie ausländischen Medizin-Studenten einen Kredit anbieten, der durch einige Jahre ärztlicher Tätigkeit in Österreich rück-"gezahlt" werden könnte. 
  6. Gewiss kann man angesichts des großen Andrangs auch die Studienplätze an österreichischen Medizin-Unis vermehren. Das ist freilich in nennenswertem Umfang sehr aufwendig und kompliziert, soll das medizinische Ausbildungsniveau nicht sinken. Daher ist angesichts der Staatsverschuldung eine Studienplatzvermehrung nur denkbar, wenn man das Studium kostenpflichtig macht (außer man hat ein Wirtschaftsverständnis wie der Herr Babler und glaubt, die Finanzierung für immer neue Wünsche kommt von der Frau Holle).

Aber noch aus einer ganz anderen Perspektive ist der Vorstoß von Johannes Rauch inakzeptabel. Denn das ins 19. Jahrhundert reichende System von Kammern etwa für Ärzte oder Rechtsanwälte ist ein Eckstein des liberalen Rechtsstaates, in dem sich die Bürger verschiedener Berufe unabhängig vom Staat organisiert haben, nicht zuletzt, um diesem in Freiheit Paroli bieten zu können. Die Kammern dieser Berufe sind zu ganz wichtigen Ecksteinen, ja Fundamenten eines funktionierenden Rechtsstaats beziehungsweise des Gesundheitssystems geworden. Sie leisten in vielerlei Hinsicht wichtige Beiträge zur Selbstverwaltung und zu einer durchdachten Standesordnung, womit sie den Staat auch wesentlich entlasten (so etwa bei manchen Kammern sogar durch ein selbsttragendes Pensionssystem aus eigenen Beiträgen der Mitglieder ohne Zuschuss aus Steuermitteln).

Aber gewiss: Trotz all dieser Argumente muss sich jedes System von Zeit zu Zeit kritischen Fragen stellen, ob es noch zukunftstauglich ist. Wenn man das tut, dann muss man das aber anständigerweise bei allen Kammern mit Pflichtmitgliedschaft und Zwangsbeiträgen tun. Und dann wird man sehr bald auf jene Kammer stoßen, die als einzige ihren Mitgliedern absolut Null Nutzen bringt, die keinerlei notwendige Funktion hat, wo die Mitglieder ein Leben lang ungefragt einzahlen müssen, ohne jemals etwas davon zu haben: Das ist die Arbeiterkammer. Denn alles, was an ihr für die Arbeitnehmer relevant ist, machen auch die Gewerkschaften.

Es gibt neben den dort üppig angestellten Funktionären nur eine Gruppe, die von der Existenz und der Tätigkeit der Arbeiterkammer profitiert: Das ist die SPÖ. Maßgeschneiderte Studien der Arbeiterkammer begleiten gezielt (und eindeutig abgesprochen) jede SPÖ-Agitation und -Kampagne. Es gibt auch keine andere Interessenvertretung, die so oft im ORF, also dem Parteisender der SPÖ, auftreten würde wie die Arbeiterkammer, und die dort jedes Mal bis in Nuancen hinein der SPÖ Flankenschutz geben würde.

Besonders ärgerlich: Die Arbeiterkammer kassiert ihre Millionen ganz automatisch dadurch, dass sie bei jedem ausgezahlten Lohn mitschneidet – aber ohne dass irgendein Arbeitnehmer es merken würde. Denn der Zwangsbeitrag für die AK wird stillschweigend bei den jedem Arbeitnehmer am Monatsersten abgenommenen Sozialversicherungsbeiträgen abgezweigt. Die Arbeitgeber dürfen auf die Lohnzettel nicht einmal einen Hinweis auf die kassierende Arbeiterkammer schreiben.

Jener Mann, der kompetenzmäßig über die längst dringend fällige Beschneidung der Arbeiterkammer-Macht und -Pflichtbeiträge nachdenken müsste, ist der Sozialminister. Und der heißt ganz zufällig ebenfalls Johannes Rauch. Manche meinen sogar, es wäre derselbe Mann.

Doch bei dieser zentralen Frage tut er gar nichts.

PS: Der Zeitpunkt der Rauch-Attacke ist kein Zufall: Denn seit vielen Monaten liefern sich die Spitzenfunktionäre der Ärztekammer auf offener Bühne wilde interne Watschentänze. Dadurch ist die Ärztekammer natürlich geschwächt, so zumindest Rauchs taktisches Kalkül. Längst haben die Zuschauer vergessen, warum es bei jenem Watschentanz zwischen eitlen Ärztefunktionären überhaupt geht. Diese Ärztekriege sind nur noch peinlich – und für Rauch ein guter Zeitpunkt zum Angriff. Daher kann man den Ärzten nur einen Ratschlag geben: Nehmt Euch an der Rechtsanwaltskammer ein Beispiel. Dort sind alle Kammermitglieder unentgeltlich in Kammerfunktionen tätig. Wahrscheinlich streiten sie deswegen intern auch weniger. Obwohl der Streit vor Gericht eigentlich Hauptinhalt des anwaltlichen Berufsbildes ist ...

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