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Die Selbstbeschädigung der parlamentarischen Demokratie

Es entsteht der ärgste Schaden für Österreichs parlamentarische Demokratie der letzten Jahrzehnte – aber dennoch sind alle Parteien dafür, jetzt auch die Volkspartei, die sich zuletzt noch quergelegt hatte: Gleich zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse sollen direkt im Fernsehen übertragen werden, obwohl sich das Parlament um alle dringend notwendigen Reformen dieser Ausschüsse weiterhin drückt. Durch diese Übertragungen wird neben dem Parlamentarismus auch die Justiz einen schweren Schaden davontragen – ohne dass sie in diesem Fall irgendetwas dafür kann. Und um den Schaden noch größer zu machen, beginnt man mit all dem gleich im Wahlkampfjahr!

Denn diese Untersuchungsausschüsse sind eine vom Parlament selbst gestrickte üble Hybridkreuzung zwischen einer Parlamentssitzung und einem Gerichtsverfahren. Sie sind gleichsam das Schlechteste aus beiden Welten. Wovon sich künftig alle Österreicher direkt überzeugen können.

In einer Parlamentssitzung geht es oft laut und chaotisch zu. In einem Gerichtsverfahren geht es hingegen in aller Regel sehr korrekt und ordentlich zu, auch wenn man zu manchen Urteilen (vor allem des Wiener Straflandesgerichts) nachher den Kopf schütteln muss – was nicht nur Außenstehende und eventuell Verurteilte tun, sondern immer häufiger auch die übergeordnete Instanz. Urteilsschelte ist aber als Teil der Meinungsfreiheit (vorerst noch?) grundrechtlich abgesichert und erlaubt.

Im Prozess selber werden im Gegensatz zum Parlament eventuelle Zwischenrufe, Gelächter, Störungen und sonstige Disziplinlosigkeiten vom Vorsitzenden streng geahndet. Spätestens beim zweiten Mal fliegt man dafür aus dem Saal. Das ist gut so. Nur so wird die Würde des Gerichts verteidigt und der Respekt vor ihm aufrechterhalten. Nur so kann vor allem eine sachliche Atmosphäre im Gerichtssaal gesichert werden, die für die Suche nach der Wahrheit unbedingt notwendig ist (auch wenn es natürlich nie eine Garantie gibt, dass die Wahrheit auch wirklich gefunden wird). Diese sachliche Atmosphäre ist absolut logische Voraussetzung dafür, dass Falschaussagen vor Gericht relativ selten sind und gegebenenfalls streng bestraft werden.

Im Parlament findet hingegen das genaue Gegenteil statt. Da wird gestört, gelacht, zwischengerufen, hineingebrüllt, da werden Taferln gehalten, da werden Aktenkoffer mit Vorverurteilungen in großen Blockbuchstaben beklebt, damit man diese möglichst direkt ins Fernsehen bringt. Gelegentliche Ordnungsrufe – die fast nur für politisch inkorrekte Formulierungen erteilt werden – werden von den Parlamentariern kaum zur Kenntnis genommen und lösen nur ganz selten eine Verhaltensänderung aus. Das macht die Parlamentssitzungen, die angesichts der katastrophalen rhetorischen Defizite der österreichischen Abgeordneten sonst unerträglich wären, zwar lockerer und lustiger, aber sicher nicht seriöser.

Dennoch haben sich die Abgeordneten für ihre parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zugleich auch die ganze Macht eines Gerichts angeeignet. Jedem Zeugen, der in diesem wilden Chaos und Durcheinander eine vermeintlich falsche oder unklare Aussage macht, drohen Haftstrafen, so als ob er in einem richtigen und ruhigen Gerichtsverfahren falsch ausgesagt hätte.

Dabei ist in einem solchen im Gegensatz zum Parlament das Ziel eines Richters nie, einen politischen Feind bei einer falschen Aussage erwischen und damit umgehend zu einem Angeklagten machen zu können. Richtern geht es immer um die Suche nach der Wahrheit. Wenn ein Zeuge unklar herumredet, wird ein souveräner und objektiver Richter (und die bilden die große Mehrheit der Richterschaft) mehrmals in ruhigem Ton nachfragen, auf Präzisierung und Klärung der Aussage drängen und Untergriffe eines Rechtsanwalts zurechtrücken.

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse werden hingegen genauso zirkusartig abgewickelt wie das Parlaments-Plenum. Die Abgeordneten können es ja gar nicht anders. Sie brauchen es auch gar nicht anders zu können. Ist doch Aufgabe eines Parlaments nicht die Wahrheits-, sondern die Mehrheitssuche. In den U-Ausschüssen wiederum geht es überhaupt nur um tribunalartige Hatz, die mehr kommunistischen Schauprozessen und Nazi-Volksgerichtshöfen gleicht als einem fairen Verfahren.

Der größte Mangel ist, dass es dort, im Unterschied zum Gericht, keinen unabhängigen und rechtskundigen Vorsitzenden gibt, der eine korrekte Sitzungspolizei sicherstellen könnte. Denn den Vorsitz führt immer ein Vertreter einer Parlamentspartei, der daher nie objektiv sein kann, oder zumindest von den anderen nie als objektiv angesehen wird und sofort selber ins Fadenkreuz der anderen Parteien gerät, wenn er für Ordnung sorgen möchte. Daher versucht er es meist gar nicht.

Und die Verfahrensrichter, die da daneben sitzen, sind eben nicht selbst die Vorsitzenden. Vielmehr glauben manche Abgeordnete, auch die Verfahrensrichter ungezügelt beschimpfen zu können. Wie es eine Neos-Abgeordnete mit üblen Gossen-Formulierungen beim letzten Ausschuss sogar gegen die langjährige Vizepräsidentin des OGH gemacht hat, die sich als Verfahrensrichterin zur Verfügung gestellt hatte. Diese Abgeordnete ist ungestraft geblieben. Und die beschimpfte Richterin hat sich dann empört von jeder weiteren Mitwirkung im Ausschuss zurückgezogen. Verständlicherweise.

Das Schlimme ist vor allem, dass die Akteure in diesem Zirkus die – durch keinen Vorsitzenden geschützten – Zeugen mit den gleichen Paragraphen fertig machen können, die ein souveränes Gericht zur Verfügung hat. Sie haben sich ja selber die Gesetze nach eigenem Bedarf und eigener Willkür gebastelt. Und sie haben sogar schon als Thema und Überschriften sämtlicher Untersuchungsausschüsse der letzten Zeit ganz üble Unterstellungen und Polemiken produziert. Damit man gleich von Anfang an weiß, da ist nichts sachlich und seriös. Und der derzeit völlig inferiore Verfassungsgerichtshof hat das für in Ordnung befunden.

Jetzt wird das Ganze auch noch direkt in die Wohnzimmer übertragen – ohne dass gleichzeitig die fundamentalen, selbstbeschädigenden Fehler der Konstruktion beseitigt würden. Das ist eine echte Katastrophe für die Reputation von Demokratie und Rechtsstaat.

Insbesondere müsste mindestens Folgendes für künftige Ausschüsse gelten, sollen sie ernst genommen werden:

  1. Den alleinigen Vorsitz führt ein erfahrener Höchstrichter samt einem oder zwei richterlichen Stellvertretern, die alle vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofs nominiert werden.
  2. Die Vorsitzenden haben alle Befugnisse wie in einem Strafprozess.
  3. Zu diesen Befugnissen zählt insbesondere das Recht – und auch die Pflicht –, Abgeordnete oder Zuhörer, die sich zweimal ungebührlich und störend verhalten, des Saales zu verweisen.
  4. Die Vorsitzenden haben insbesondere das Recht – und die Pflicht –, alle für den Versuch einer Wahrheitsfindung notwendigen Fragen zu stellen und bei Verwirrfragen von Abgeordneten den Zeugen nochmals in Ruhe die Möglichkeit zu geben, ihre Aussagen zu präzisieren.
  5. Insbesondere können die Vorsitzenden jedes Ausschussthema ablehnen, das schon in der Überschrift eine polemische Schlagseite und Vorverurteilungen enthält, welche die gesamte Veranstaltung von Anfang an diskreditieren (es darf also beispielsweise als Thema nicht nur um rote und blaue Bestechungsinserate gehen, sondern müsste alle Inseratenvergaben in dieser Republik aus Steuergeldern untersuchen).

Wenn all diese Maßnahmen umgesetzt sind, dann kann man Ausschüsse auch im Fernsehen übertragen. Geschieht das hingegen nicht und es wird dennoch übertragen, dann erleiden eben Parlamentarismus und wohl auch Justiz einen weiteren schweren Vertrauensschaden in den Augen des Volkes, von dem das Recht ja (einst) ausgegangen ist. Dann wird sich jeder Zeuge nur noch von Rechtsanwälten vor seiner Aussage daraufhin trainieren lassen, möglichst auf alle Fragen zu sagen: "Daran kann ich mich nicht mehr erinnern". So kann ihm kein Widerspruch angehängt werden.

Noch besser wäre es zweifellos, würde es in Österreich künftig Untersuchungsverfahren nach dem Modell der britischen "Royal Commissions" geben. Das sind völlig unabhängige Kommissionen mit starkem Einschlag von Richtern und Experten, die hinter verschlossenen Türen tagen. Bei ihnen gäbe es mit Sicherheit bessere Aussichten, Probleme und Missstände der Verwaltung zu analysieren (und nur um diese dürfte es eigentlich gehen, schlechte Gesetzgebung oder falsche Gerichtsurteile dürfen ja auch jetzt schon keine Themen eines Ausschusses sein!). Und vor allem wäre es dann Aufgabe einer solchen Untersuchungs-Kommission, konkrete Vorschläge zu machen, was man und wie man etwas im Interesse der Republik besser und sparsamer ordnen könnte.

Aber darum geht es bei dieser Mega-Fehlkonstruktion namens Parlamentarischer Untersuchungsausschuss schon lange nicht mehr. Es geht nur noch um gegenseitiges Anpinkeln. Insbesondere vor Wahlen.

Und dann wundern sie sich, wenn sich die Menschen vom Parlamentarismus abwenden und diesem bei jeder Demokratiestudie verheerende Noten erteilen.

PS: Wollte man zum Beispiel wirklich die üblen Bestechungsinserate abdrehen, dann könnte man das ganz leicht durch Änderungen und Präzisierungen via Strafrecht machen statt durch neues Ausschuss-Chaos. Derzeit kann die Gemeinde Wien nämlich im Zusammenspiel mit der WKStA immer sagen: Unsere Inserate sind Landesangelegenheit, da darf sich der Bund nicht einmischen. Obwohl die Wiener Inserate alle Bestechungsschaltungen aus Bundesministerien oder anderen Bundesländern weit übertreffen. Aber für so eine Strafrechtsänderung scheint es ja keine Mehrheit zu geben. Mehrheit gibt es nur für Zirkus.

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