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Die kranke Demokratie

2024 wird das größte Wahljahr der Geschichte. Rund vier Milliarden Menschen werden in diesem Jahr die Möglichkeit haben, zu den Wahlurnen zu gehen. Das ist fast die halbe Erdbevölkerung. Dennoch führen viele Fakten zu einem klaren Befund: Die Demokratie steckt weltweit in einer tiefen, einer historischen Krise. Das gilt insbesondere auch für Österreich, wo 2024 gewählt wird.

Auch das EU-Parlament wird neu gewählt, ebenso finden unter anderem in den einwohnerreichen Ländern Indien, den USA und Russland Wahlen statt. Über all diese Wahlen ließen sich lange deprimiert machende Berichte erstellen, die alle große Fragezeichen zum Zustand des jeweiligen politischen Systems setzen:

  • Am allerwenigsten haben die russischen Wahlen mit Demokratie zu tun (was Russland zweifellos in der Jelzin-Zeit und an Putins Anfang gewesen ist). Sind doch alle relevanten Gegenkandidaten zu Putin im Gefängnis oder ins Ausland geflüchtet. Überdies rechnen viele Beobachter des Landes damit, dass die offiziell gemeldeten Ergebnisse zumindest mancherorts nicht dem entsprechen werden, was die Stimmzettel aussagen.
  • In Indien dürften die Wahlen an sich zwar korrekt verlaufen (auch wenn es dort im Wahlkampf meist zu wilden Schlägereien kommt), aber das Land verliert angesichts des skandalösen Vorgehens gegen Minderheiten und andere Religionen wie etwa auch gegen das Christentum eindeutig an rechtsstaatlicher Qualität.
  • Die USA werden wohl wieder nur die Auswahl zwischen zwei extrem problematischen Kandidaten haben. Gegen den einen gewinnen die strafrechtlichen Vorwürfe immer mehr an Gewicht (auch wenn es eine üble Sauerei ist, wie sehr mit den Prozessen gegen Donald Trump gezielt auf den Wahlkampf gewartet worden ist). Auf der anderen Seite steht der Amtsinhaber, der bis auf die Außenpolitik inhaltlich schlecht für das Land ist und der schon schwere altersbedingte Ausfallserscheinungen zeigt. Diese Alternative ist zwar nicht undemokratisch, aber tragisch für die USA und die Welt.
  • Beim EU-Parlament hat der Skandal, bei dem marokkanisch-katarische Millionenbeträge bei einer ganzen Reihe führender EU-Sozialisten gelandet sind, die ohnedies schon besonders magere Vertrauensbasis dieses linkslastigen Parlaments weiter zerstört.
  • Aber auch in der Welt insgesamt steht es traurig um die Demokratie. Der "Democracy Perception Index" hat in 53 Ländern, die als Demokratie gelten, geforscht und herausgefunden, dass im Schnitt nur noch 57 Prozent der Einwohner mit dem Zustand der Demokratie in ihrem eigenen Land zufrieden sind.

Für alle anderen scheint die berühmte Definition von Abraham Lincoln aus 1863 nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun zu haben: "Demokratie ist Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk."

Wechseln wir nach Österreich, das sich ja an jedem Nationalfeiertag groß und weitgehend unkritisch feiert. Hier scheint es auf den ersten Blick nicht so schlimm auszuschauen wie in etlichen anderen Demokratien, von Diktaturen ganz zu schweigen. Jedoch führt ein tieferer und datengestützter Blick ebenfalls zu erschreckenden Ergebnissen.

Auch in Österreich hat für viele die erlebte politische Realität nichts mehr mit dem eigentlich fundamentalen Programm der Artikels 1 der Bundesverfassung zu tun:"Österreich ist eine Demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Sie spüren längst nicht mehr, dass das Recht von ihnen ausgegangen ist.

Die Daten zur österreichischen Systemkrise

Die Daten dieser Krise der repräsentativen Demokratie stammen aus dem "Demokratieradar", aus dem "Demokratiemonitor", vom Sora-Institut, aus der APA und aus der "Media-Analyse":

  1. Nicht einmal mehr drei Viertel der Österreicher unter 30 Jahren stimmen der Aussage zu, die Demokratie sei trotz aller Fehler noch immer besser als jede andere Regierungsform. Das heißt: Erstmals in der Nachkriegsgeschichte glaubt mehr als ein Viertel, etwas Besseres als Demokratie zu kennen.
  2. Nur noch 58 Prozent sind der Meinung, dass die Demokratie "sehr gut" oder zumindest "eher gut" funktioniert. Die gleiche Frage war vier Jahre davor noch von 77 Prozent positiv beantwortet worden.
  3. Bei einer anderen Studie waren gar nur noch 34 Prozent der Meinung, dass das "politische System" in Österreich gut funktioniere. Fünf Jahre davor waren noch 64 Prozent auf die gleiche Frage dieser Auffassung (Die Differenz dieser Werte zu den Antworten auf die vorige Frage sollte nicht überraschen, obwohl beide Fragen haargenau dass Gleiche abfragen. Ist doch Österreichs "politisches System" eindeutig eine Demokratie. Hier zeigt sich aber ein bekanntes psychologisches Phänomen. Es kommt in hohem Ausmaß auf die Formulierung der Fragestellung und die darin enthaltenen Reizwörter an: Die Wörter "Politik" und "System" sind emotional bei vielen Menschen negativer besetzt als das Wort "Demokratie").
  4. Noch schockierender sind die Antworten auf die Frage nach einem "starken Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss". Lediglich 46 Prozent stimmten diesem Modell "gar nicht" zu. Ein Jahr davor waren es noch 56 Prozent gewesen.
  5. Regierung und Parlament haben zuletzt binnen eines Jahres(!) sechs bis neun Prozentpunkte an Vertrauen verloren. Die Regierung steht mit nur 33 Prozent Vertrauen am schlechtesten da, aber auch das Parlament, wo alle größeren Parteien im Gegensatz zur Regierung vertreten sind, die ja fast immer nur knapp von der Hälfte der abstimmenden Österreicher unterstützt ist, hat auch nur 38 Prozentpunkte an Vertrauen, also kaum mehr.
  6. 59 Prozent sind überzeugt, dass "Politik und Medien unter einer Decke stecken". Dieses Misstrauen ist ein Riesenproblem nicht nur für die Medien (besonders für die rasch Leser bzw. Seher verlierenden Zeitungen und den ORF), sondern auch für die Demokratie insgesamt, in der die Medien von vielen für die vierte Gewalt des demokratischen Systems neben Gesetzgebung, Justiz und Exekutive gehalten werden. Diese Rolle setzt aber natürlich  Unabhängigkeit von den anderen Gewalten voraus. Dieses Misstrauen ist eigentlich kontrafaktisch: Wird doch in fast allen klassischen Medien die ÖVP, also die Kanzlerpartei, gewaltig attackiert; nur die FPÖ wird noch stärker beschimpft. Dass dennoch ein so großes Misstrauen besteht, hat wohl zwei Ursachen: Einerseits die ("Inseraten"-)Geldflüsse von Bundes- und Landesregierungen Richtung Medien; andererseits die wie gleichgeschaltet wirkende Berichterstattung während der Corona-Zeit, der ich selbst zwar inhaltlich großteils zugestimmt habe, die aber jedenfalls sträflich die Meinungen der kritischen Ärzte und Wissenschaftler ignoriert und verachtet hat.
  7. Auch die Parteien selbst sind in der Krise. Das ist aber fast logisch, wenn das ganze politische System in einer solchen steckt: 38 Prozent der Befragten finden derzeit keine Partei, die ihre Anliegen vertritt, 2018 war das nur bei 13 Prozent der Fall.
  8. Die Wahlbeteiligung in Österreich lag jahrzehntelang über 90 Prozent, ist zuletzt aber auf 75,6 Prozent gefallen.
  9. Da die Medien als vierte Gewalt einer Demokratie gelten, selbst wenn sie als solche nicht in der Verfassung vorkommen, sei auch auf einige Mediendaten verwiesen: Der Anteil jener Menschen, die noch irgendwelche Zeitungen lesen, geht seit Jahren fast ununterbrochen zurück. Vom früheren Dauerniveau, das bei rund zwei Dritteln gelegen war, ist er auf die Hälfte gesunken. Noch schlimmer sieht es bei einigen früher viel gelesenen Medien aus, wenn man die jüngsten Werte der Marktanteile bei der Leserschaft mit denen der Jahrtausendwende vergleicht: Das "Profil" ist auf rund ein Drittel gefallen; "News" gar nur auf fast ein Achtel; und die "Kronenzeitung" ist beinahe halbiert; selbst die Quoten des ORF sind stark gefallen – obwohl die Menschen Zwangsgebühren für sie zahlen müssen.

Die Situation ist katastrophal. Dennoch reden Politik und Medien nicht viel über die eigene Megakrise, da diese ja die Akteure fundamental in Frage stellt. Man findet höchstens ein paar Aussagen, dass jeweils irgendwer anderer schuld an der Krise sei.

Die Ursachen der Demokratiekrise

Was aber sind die Ursachen dieses dramatischen Vertrauensverlustes? Da finden wir gleich ein Bündel an Gründen und Schuldigen. Bunt gemischt die wichtigsten davon:

  • Dem allergrößten Teil der Österreicher geht die Gendersprache in jeder Variante auf die Nerven. Sie spüren, dass Medien und Politik nicht mehr ihre Sprache sprechen, dass da eine Minderheit wie ein Diktator in ihre persönlichsten Bereiche hineinregieren will, zu denen ganz eindeutig die Muttersprache zählt.
  • Die Mehrheit der Österreicher hat auch kein Verständnis mehr dafür, dass sie Zwangsgebühren für den bei 30 Prozent Marktanteil herumkrebsenden ORF und seine schwere Linkslastigkeit zahlen müssen. Die Empörung darüber wird nach dem 1. Jänner noch steil steigen, wenn auch alle Unternehmen zahlen müssen, nicht nur der Eigentümer. Und ebenso, wenn viele Menschen draufkommen, dass auch sie zahlen müssen, obwohl sie gar keinen Fernseher haben.
  • Eine weitere Ursache der Demokratiemüdigkeit ist die Eskalation des politischen Hasses. Dieser ist rechts vor allem verbal von Haider bis Kickl nachweisbar, und hat links gar zu einer Reihe sehr konkreter Untaten geführt: Siehe etwa den Lauschangriff von Ibiza, siehe etwa die hier immer wieder aufgelisteten Untaten der WKStA, siehe etwa das gezielte Hinausspielen vertraulicher Akteninhalte, siehe etwa den groben Missbrauch bei der Beschlagnahme privater Chat-Dialoge, siehe etwa die Aktionen des Herrn Klien (der noch dazu aus ORF-Zwangsgebühren bezahlt wird).
  • Die Jungen unter circa 45 Jahren lesen in der Mehrheit weder Zeitung noch schauen sie linear fern. Dies nicht nur wegen der technologischen Alternativen, sondern auch wegen des Vertrauensverlustes der klassischen Medien.
  • Auf anderen Ebenen sind die Menschen entsetzt über die Schwäche des Staates gegen Gesetzesbrecher: sei es seine Hilf- und Tatenlosigkeit gegen Verbrecher, die jünger als 14 sind; sei es seine Hilf- und Tatenlosigkeit gegenüber Demonstranten, die einem anderen Staat oder gar Juden Vernichtung zubrüllen; sei es seine Hilf- und Tatenlosigkeit gegen jene Extremisten, die sich auf Straßen festgeklebt und dadurch Hunderttausenden Österreichern viele Stunden ihres Lebens geraubt haben – denn während es in Deutschland wenigstens schon eine Haftverurteilung gibt, haben die österreichischen Staatsanwälte nicht einmal noch ein einziges Verfahren eingeleitet.
  • Ebenso spüren die Menschen, dass die sogenannten NGOs ohne jede Begründung und nur aus ideologischer Sympathie der Redakteure starke Präsenz und Beachtung in Medien und Politik bekommen, obwohl sie ja nur durch nichts legitimierte Privatvereine sind.
  • Die größte Empörung über das Versagen der Demokratie hat aber zweifellos die illegale Masseneinwanderung ausgelöst, die von einer gewaltigen Mehrheit der Österreicher abgelehnt wird, gegen die aber dennoch weder die europäische noch die österreichische Demokratie bisher funktionierende Abwehr- und Abschiebestrategien entwickelt haben. Obwohl 83 Prozent des Volkes, von dem einst das Recht ausgegangen sein soll, für Abschiebungen sind, haben ein paar Höchstrichter mit Hilfe extrem kreativer Gesetzesinterpretation vielen Millionen ihre linken oder naiv-gutmenschlichen Vorstellungen aufzwingen können und fast alle Abschiebungen verhindert. Diese juristische Dimension wird aber interessanterweise medial oder politisch überhaupt nicht thematisiert und fällt daher zusätzlich der Politik auf den Kopf, weil man sich nicht traut, Richter zu kritisieren, oder weil man mit ihrer Judikatur sympathisiert. Die Details zu dieser verhängnisvollen Machtergreifung der Richterklasse sind gestern an dieser Stelle analysiert worden.

Alle die genannten Fehlentwicklungen kann man zweifellos als Demokratiekrise bezeichnen. In den nächsten Tagen aber soll an dieser Stelle nachgedacht werden, wie man das politische System verbessern kann, aber ohne irgendwie einem "starken Mann" das Wort zu reden. Denn ein solcher wäre noch viel schlimmer als alle Irrwege, welche die Demokratie genommen hat.

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