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Wann wird der Papst so über Österreich sprechen?

Es war eine der auffallendsten Ansprachen des argentinischen Papstes seit vielen Jahren. Er hat zu katholischen Jugendlichen Russlands gesprochen (deren Zahl ähnlich verschwindend klein ist wie die der Katholiken in der von ihm jetzt zum allgemeinen Rätselraten besuchten Mongolei). Dabei ist weniger auffallend, dass seine Ansprache umgehend Proteste der Ukraine ausgelöst hat. Das könnte man ja auf deren kriegsbedingte Überempfindlichkeit zurückführen und abhaken. Viel mehr erstaunt seine Wortwahl, wenn man sie in einen internationalen Vergleich setzt (mit nachträglicher Ergänzung).

Studiert man nämlich diese Wortwahl, muss man entsetzt feststellen, dass der Papst ausgerechnet gegenüber Russland so begeistert formuliert hat, wie er noch nie über irgendein anderes Land geredet hat. Dabei ist jedoch Russlands Geschichte auch schon lange vor dem Ukraine-Krieg eine Geschichte der ständigen Aggressionen und eines unterjochenden Imperialismus gewesen. Russland ist ein Land, in dem praktisch nie Menschenrechte, Rechtsstaat oder Demokratie geherrscht haben, ein Land, das fast nur absolutistische Diktatoren erlebt hat, ein Land, das außer Rohstoffen und Waffen der Welt nichts mehr anzubieten hat, das zu Lebzeiten des Papstes vier Jahrzehnte lang hunderte Millionen Osteuropäer unterjocht und verelendet hat.

Russland ist also ein Land, zu dem es eigentlich jedem objektiven Betrachter schwerfallen müsste, sich begeistert zu äußern. Lediglich in den Bereichen Musik, Literatur und Ballett sind herausragende Leistungen etlicher Russen in den Annalen der positiven Leistungen dieser Welt verzeichnet. Aber Franziskus hat eindeutig von den politischen Führern Russlands gesprochen.

Da fragt man sich schon: Warum formuliert Franziskus solche Worte nie in Hinblick auf ein anderes europäisches Land, obwohl bei vielen die nationale und politische Geschichte zumindest nach allen heutigen, auch in der Kirche geltenden Maßstäben viel positiver zu bewerten ist.

Wörtlich sagte der Papst nämlich zu den Russen: "Vergesst niemals euer Erbe. Ihr seid Kinder des großen Russland, des großen Russland der Heiligen, der Könige, des großen Russland von Peter I. und Katharina II., dieses große Reich mit großer Kultur und großer Menschlichkeit. Gebt dieses Erbe niemals auf. Ihr seid Erben der großen Mutter Russland."

Nun ist ganz zufällig dieser vom Papst so herausgehobene Peter auch die immer wieder genannte große Vorbild-Persönlichkeit von Wladimir Putin. Aus gutem Grund: Denn Peter hat die wichtigsten militärischen Eroberungen zur Entstehung Russlands durchgeführt. Er führte vor allem gegen die Türken im Schwarzen Meer und gegen die Schweden in der Ostsee viele Eroberungskriege (mit wechselndem Erfolg). Und Katharina II. ist nicht zuletzt durch Eroberung großer Teile des katholischen Polens in die Geschichte eingegangen.

Es ist ziemlich erstaunlich, dass nicht nur Putin, sondern auch der Papst diesen Peter und diese Katharina als Vorbild hinstellt, und zwar nicht in einer vielleicht unbedachten Spontanbemerkung, sondern in einer vorbereiteten Rede. Das wirft mehrere Fragen auf:

  • Hat er sich da von einem nationalistischen Russen ein Manuskript unterschieben lassen?
  • Glaubt er, dass es das Verhältnis zur russischen Orthodoxie bessert, wenn er die Geschichte so verzerrt darstellt?
  • Ist er gar dem "Zar und Zimmermann"-Kitsch verfallen?
  • Hat da im Vatikan, wo doch früher überaus kluge Köpfe mit großer Weltbildung saßen, niemand aufgepasst?
  • Oder ist dort wirklich argentinischer Provinzialismus eingekehrt, seit Franziskus alle Konservativen hinausgeschmissen hat?
  • Oder hat sich der eigenwillige, aber ohne jedes historische (und politische und wirtschaftliche) Wissen fuhrwerkende Papst einfach wieder einmal über Warnungen hinweggesetzt?

Wie auch immer: Das hätte nie passieren dürfen. Jetzt werden mit guter Logik auch zahllose andere Völker und Nationen ebenfalls eine solche Papst-Ansprache verlangen, die total ihre einseitige Geschichtsdarstellung wiedergibt und nationale Überlegenheitsgefühle bejubelt.

Die Österreicher könnten sich etwa – und sogar mit viel mehr Fug und Recht – darauf berufen, dass die Habsburger ihr Reich nicht mit Kriegen, sondern durch Erbschaften, Heiraten und Diplomatie errungen haben. Sie könnten sich darauf berufen, dass in Wien zweimal das ganze christliche Abendland bedrohende Kriegszüge der Türken gestoppt werden konnten. Sie könnten sich darauf berufen, wie auch jeder geschichtskundige Pole bezeugt, dass einzig im (kleinen) österreichischen Teil nach der Teilung die polnische Identität voll respektiert worden ist. Sie könnten sich darauf berufen, dass Österreich trotz seiner Größe nie beim kolonialen Imperialismus außerhalb Europas mitgemacht hat. Sie könnten sich darauf berufen, dass die letzten Jahrzehnte der Doppelmonarchie immer wieder als erstes, zumindest teilweise gelungenes Modell für die EU und ein multinationales Zusammenleben herangezogen werden.

Es geht aber nicht nur ums Vergleichen. Es geht vor allem um die angesichts seines bisherigen Kurses überraschende und an sich überaus positive Tatsache, dass der Papst so begeistert und so emphatisch nur die nationale Selbstdarstellung eines einzigen Landes rühmt.

Ja, Patriotismus, Heimatverbundenheit und Einsatz für die eigene Gemeinschaft sind in jedem Fall zu bejahende Kräfte. Aber bitte immer nur, solange sie sich nicht gegen andere Völker richten, solange sie nicht andere Völker erobern wollen, solange sie nicht dazu führen, dass man das jeweils eigene Volk als erhaben und über dem Rest der Welt stehend ansieht.

Vor allem sollte der Papst allen Völkern dieser Welt gleich offen gegenüberstehen – oder zumindest die katholischen Völker nicht schlechter behandeln als die anderen. Das bezieht sich im Falle Russlands nicht nur auf die Polen und Litauer, sondern auch auf die Ukraine, wo jedenfalls der Anteil der Katholiken deutlich größer ist als in Russland. Sie alle haben unter der russischen Knute gelitten. Und leiden zum Teil weiter unter der russischen Bedrohung.

Was müssen sich speziell in diesen Ländern die Söhne und Töchter der Kirche denken, wenn sie den Papst so reden hören?

Nachträglich Ergänzung: Es brauchte etliche Tage, bis der Papst erkannt hat, was er mit seiner Stellungnahme angerichtet hat, bis er erkannt hat, dass seine Worte "nicht glücklich" gewählt waren, bis klar geworden ist, dass er ohne lange nachzudenken vor sich hin geredet hat, dass ihm halt die Namens Peters und Katharinas noch so aus dem Schulunterricht in Erinnerung gewesen sind ...

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