Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Karl Nehammer erinnert zunehmend an seine Vergangenheit als Offizier. Er stürzt sich, wie von der Hoffnung auf den Maria-Theresien-Orden angetrieben, blindlings in die Schlacht und greift den scheinbar größten Feind frontal an. Mut und Tapferkeit erwecken zwar Eindruck, aber ebenso klar scheint, dass Nehammer bei der Offiziersausbildung in den Lehrstunden für Taktik, Strategie und politische Kommunikation eingeschlafen sein muss (einmal angenommen, dass man in Österreich überhaupt versucht, jungen Offizieren solche Dinge ordentlich beizubringen). Nehammer hat durch seine undurchdachten Hurra-Attacken die Aussicht auf ein gutes Gesamtende des Krieges für seine Armee deutlich reduziert. Denn er hat mit der Absage an eine Koalition mit der FPÖ seiner Partei gleich auf vier Ebenen schwer geschadet.
Nehammer hat mit voller Kraft den FPÖ-Parteiobmann Herbert Kickl angegriffen, weil dieser eine Erhöhung der Sicherheit Österreichs durch einen – nur europaweit technisch möglichen – Raketenabwehrschild unter fadenscheiniger Bemühung der Neutralität ablehnt und bekämpft. So nachvollziehbar der Ärger Nehammers über diesen Kickl-Kurs ist, der ein völliges Einschwenken der heutigen FPÖ auf den früheren Anti-Landesverteidigung-Kurs von SPÖ&Co bedeutet, so klar ist Nehammers eigentliches Motiv: Die FPÖ ist jene Partei, die laut mehreren Umfragen der ÖVP weitaus am meisten Wähler-Unterstützung abgenommen hat. Nehammer will diese Menschen, die von Schwarz zu Blau gewechselt sind, zurückgewinnen, indem er ihnen zeigt, wie verantwortungslos Kickl ist.
Das Ziel ist verständlich. Jedoch sind die Mittel untauglich. Nehammers Strategie (oder die seiner neuen Berater) ist absurd und aus mehreren Gründen wenig durchdacht, auch wenn nachvollziehbar ist, dass Kickl nicht nur Nehammer durch seine politische Linie auf die Nerven geht. Das ist gleich aus mehreren Gründen eine dumme Strategie.
Nehammer hat mit der Kritik recht, dass Kickls aggressive Absage an einen gemeinsamen Raketenschutzschirm in Europa für Österreich sehr schädlich ist. Denn dieser Schutzschirm ist – oder wäre – die absolut einzige Chance, dass sich Österreich gegen einen Angriff vor allem ballistischer, also über den Weltraum kommender Raketen schützt. So wie solche Raketen aus Russland die ukrainische Bevölkerung fast täglich quälen.
Gewiss ist nicht sicher, dass Sky Shield ein durchgreifender Erfolg wird. Sicher ist aber, dass Österreich im Alleingang solchen Raketen jedenfalls hilflos ausgeliefert ist. Es ist die einzige Chance, dass Österreich sich gegen solche Waffen wehren kann.
Kickls Ablehnung von Sky Shield droht Österreich gegen jene terroristische Waffe, die sich vom Nahen Osten bis zum Schwarzen Meer als dominanteste Entwicklung in bewaffneten Konflikten erwiesen hat, ungeschützt zu lassen. Dies gilt vor allem dann, wenn die FPÖ zu einem Glied der nächsten Regierung werden sollte und ihre Politik nicht ändert.
Eine rationale Reaktion der ÖVP auf diesen Schwenk der Blauen würde daher so ausschauen: "Als Partei, für die Österreichs Sicherheit und Freiheit eine zentrale Aufgabe sind, kommt für uns eine Regierungsteilnahme nur dann in Frage, bei der die Sicherheit des Landes, also auch die Sicherheit gegen Raketenangriffe die oberste Priorität darstellt; das erfordert nach bestem derzeitigem Wissen auch unbedingt die Teilnahme an Sky Shield. Daher kommt für uns eine Regierungsteilnahme nur dann in Frage, wenn alle Versuche unternommen werden, Österreichs Freiheit auch durch internationale Kooperationen wie Sky Shield gegen Raketenangriffe zu schützen."
Das wäre honorig, klar und richtig. Das wäre an der Sache ausgerichtet und nicht an der Person Kickl. Es gibt ja absolut keinen nachvollziehbaren Grund, diese Problematik nur bei Kickl als absolutes Ehehindernis festzumachen. Denn:
Nehammer ist gerade als Person wenig glaubwürdig, wenn er Kickls Versuche, die Neutralität zu einem Fetisch zu machen und dahinter seine Russlandliebe zu verbergen, zum dominanten Thema macht. Denn es war Nehammer selber, der die Neutralität vor ein paar Monaten ohne jede Notwendigkeit zu einem Fetisch erklärt hat: "Österreich war neutral, Österreich ist neutral, Österreich wird auch neutral bleiben. Für meinen Teil ist damit die Diskussion beendet." Man kann den schweren eigenen Fehler, de facto Diskussionen über die von vielen in der ÖVP schon seit den Schüssel-Khol-Zeiten als schädlich erkannte Neutralität zu verbieten, nicht aus der Welt schaffen, indem man die Fehler anderer aufspießt.
Um wie viel weiter sind da Schwarz UND Blau schon im gemeinsamen Nachdenken darüber, was für Österreich gut ist, in Zeiten der ersten schwarz-blauen Koalition gewesen! Damals haben noch beide Regierungspartner für die Interessen Österreichs gekämpft und nicht parteipolitisch taktiert (das tat nur Jörg Haider von Kärnten aus). Die dumpfe und populistische Behauptung, dass das Wort "Neutralität!" auch nur eine Sekunde Österreich in der Stunde der Not helfen würde, hat man damals wohlweislich der SPÖ überlassen.
Wechsel auf die parteitaktische Ebene, wo es um die nächste Wahl geht. Dort ist klar zu erkennen, dass ein Großteil der bürgerlichen Wähler am Wahltag andere Probleme als wichtiger in die Waagschale der persönlichen Wahlentscheidung werfen wird als Sky Shield. Das mag man aus gutem Grund für falsch halten. Aber das ist Faktum.
Für liberalkonservative Wähler sind zum Beispiel viel wichtiger:
Es kann überhaupt keinen Zweifel geben, dass fast jeder dieser Aspekte für einen großen Teil der bürgerlichen Wähler genauso wichtig ist wie die Effektivität der Landesverteidigung. Und in Summe noch viel wichtiger. Alle diese Aspekte sprechen aber gegen eine Koalition mit einer Linkspartei.
Daher verstehen viele Bürgerliche überhaupt nicht, warum zwar die Sky-Shield-Frage zu einem Killerargument erhoben worden ist, das die künftige Rergierungsbildung dominiert, nicht aber diese anderen Inkompatibilitäten. Würde die ÖVP diese ebenso ernst nehmen wie es ihre bisherigen Wähler tun, dann müsste sie mit einer vielfachen Energie auch Nein zu einer Koalition mit der Babler-SPÖ sagen.
Das tut sie aber nicht. Deshalb werden viele bisherigen ÖVP-Wähler sich – bei aller Aversion gegen die Person Kickls und bei allem Wissen um die Wichtigkeit einer effizienten Landesverteidigung – für die FPÖ als kleineres Übel entscheiden.
Die Kickl-Ablehnung wird sich nicht nur vor der Wahl bei den Versuchen der Wählergewinnung als kontraproduktiv erweisen, sondern noch viel mehr nach dem Wahltag. Denn dann wird die SPÖ als Folge des ÖVP-Neins zur Kickl-FPÖ dank Nehammer eine unheimlich starke Position haben. Dann wird sich die ÖVP mit der Tatsache abfinden müssen, dass es keine andere FPÖ gibt, dass auch Nehammer mit Sicherheit keine andere FPÖ erzwingen kann, und dass Nehammer die FPÖ mit seiner Aktion sogar gestärkt hat. Denn für die Koalitionssuche hat sich die ÖVP ja selbst kastriert und um jede Alternative zur SPÖ gebracht. Damit gerät die SPÖ geradezu in eine Position der Allmacht. Denn selbst mit Grünen plus Neos wird sich wahrscheinlich keine Koalition ausgehen (ganz abgesehen davon, wie schrecklich das wäre – siehe Berlin!).
Die SPÖ kann dann von den Personen bis zu den Inhalten alles diktieren, weil die ÖVP keine Alternative hat. Es sei denn, die ÖVP würde ihren Obmann stürzen.
Nehammer hat nicht begriffen, wie sehr er den Aktionsradius, die strategischen Möglichkeiten der ÖVP eingeschränkt, ja demoliert hat, als er ohne jede Not eine Zusammenarbeit mit der Kickl-FPÖ abgelehnt hat.
Wie viel klüger war die ÖVP einst, als sie immer die Linie vertreten hat:
Aber Klugheit ist keine politische Kategorie mehr.