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Der Krieg in der Ukraine könnte einen doppelten Bezug zu Österreich bekommen: einerseits in Hinblick auf den Mai 1955, andererseits in Hinblick auf Österreichs eigene Zukunft. Diese Perspektive sollte – auch von Österreich aus – viel stärker ins internationale Bewusstsein gerückt werden, da die gegenwärtige Kriegslage ohne mutigen Schritt noch eine lange Dauer des Mordens und der Zerstörung erwarten lässt; da keine der beiden Seiten imstande scheint, in absehbarer Zeit einen kompletten militärischen Sieg zu erringen; da Russland zwar in einem millimeterartigen Rückzug steckt, da Wladimir Putin aber mit Gewissheit noch viele Grauslichkeiten einfallen werden, bevor er bereit wäre, eine wirkliche Niederlage einzugestehen.
So eindrucksvoll die nationale Geschlossenheit der Ukrainer bei ihrem heldenhaften Befreiungskampf auch ist, so richtig die geschlossene Unterstützung dieses Kampfes durch Europa und Nordamerika auch ist, so sehr dem zynischen Kriegsverbrecher Putin im Sinne aller unterjochten Nationen eine Demütigung zu gönnen wäre, so widerlich oder dumm jene Stimmen auch sind, die in Europa irgendwelche "Erfolge" Russlands bejubeln: Trotz alldem ist es eine große Tragödie, dass alle Bemühungen um einen Friedensschluss eingeschlafen sind.
Gewiss darf ein akzeptabler Friedensschluss niemals darin bestehen, dass Russland jetzt das behalten kann, was es bei seinen Überfällen der letzten Jahre erbeutet hat. Genau das aber würde eine Realisierung der naiven Ratschläge bedeuten: "Macht jetzt sofort einen Waffenstillstand und dann sehen wir weiter." Das wäre ein grünes Licht für alle künftigen Aggressionen – nicht nur Russlands.
Aber auf der anderen Seite scheint es absolut klar, dass es keinerlei positive Aussichten auf einen Sturz oder gar Rücktritt Putins gibt. Russland hat keine Tradition einer bürgerlichen Revolution oder einer Demokratie. Es hat auch keine Bevölkerung, die willens oder imstande wäre, darum zu kämpfen. Und selbst wenn Putin heute sterben oder ermordet werden sollte, sind die Aussichten extrem gering, dass dann irgendwelche Nachfolger friedlicher agieren würden. Auch der von manchen als interessante Alternative angesehene und offensichtlich von Putin ermordete Söldnerführer Prigoschin wollte ja nicht Frieden schließen, sondern nur noch viel aggressiver Krieg gegen die Ukraine führen.
Vor allem aus folgendem Grund wird Moskau sicher nicht substantiell einlenken: Der besteht in der wie hoch auch immer zu beurteilenden Wahrscheinlichkeit eines Wahlsiegs Donald Trumps. Solange dieser in Hinblick auf die Ukraine auf seinem radikal-isolationistischen Kurs und damit einer Abwendung von der Ukraine bleibt, wird Putin zumindest bis zum amerikanischen Wahltag weiterkämpfen.
Dennoch sollte man die Perspektive eines Friedens ohne einen "Endsieg" nach noch jahrelangem Blutvergießen nicht ganz begraben. Bei einem solchen Frieden müssten beide Seiten gesichtswahrend davonkommen, dabei müsste Putin sein Gesicht bewahren, und dabei dürften die Ukrainer bei ihrem Anspruch auf Freiheit und Unabhängigkeit nicht im Stich gelassen werden. Letztlich gibt es zur Erfüllung dieser scheinbaren Quadratur eines Kreises nur zwei zumindest theoretisch praktikable Formeln – und als dritte Möglichkeit eine Kombination beider Formeln:
Gewiss, die Hoffnungen auf Frieden in absehbarer Zeit durch einen dieser drei Wege sind nicht riesengroß. Aber das Ziel wäre so positiv, dass es jeder Anstrengung wert sein sollte. Dazu müssten sich viele Seiten bewegen:
Das trifft natürlich als erstes auf die Ukraine selbst zu. Sie müsste die Vorteile erkennen. Auch 1955 kam ja klugerweise der Vorschlag von Österreich selbst! Neutralitätshistoriker wissen genau, wie schwer es für Julius Raab 1955 war, das neutrale Modell der Schweiz ins Gespräch zu bringen, weil es die Sozialisten zuerst vehement ablehnten. Diese hatten darin eine Abkoppelung vom Westen gesehen.
Gerade in dieser Perspektive ist es sehr auffallend, wie dick der ukrainische Außenminister in einer Videoschaltung zu den in Wien versammelten österreichischen Botschaftern die Neutralität der Alpenrepublik gelobt hat. Er bezeichnete sie zwar nicht ausdrücklich als Vorbild für die Ukraine, aber der Unterschied zu früheren, recht negativen Kommentaren über die Neutralität sollte auffallen. Jedenfalls kann man annehmen, dass unter den Ukrainern nach zwei Jahren Leiden die Friedenssehnsucht gewachsen ist, und dass die Aussicht auf ein weiteres opfervolles Durchkämpfen durch breite Lagen russischer Minen nur gedämpfte Begeisterung auslöst.
Notwendig ist aber auch, dass Donald Trump am besten schon lange vor den Wahlen klarmacht, dass er im Falle eines Wahlsiegs die Ukraine nicht wie einen Stein fallenlassen wird, sondern nur in Absprache mit Kiew. Denn nur dann wird Putin bereit sein, erobertes Territorium wieder freizugeben. Jedenfalls könnte Trump sich dann eigentlich auch über einen der von ihm verbal immer so gepriesenen "Deals" freuen.
Und schließlich wäre es auch hilfreich und klug, wenn insbesondere Österreich selbst sein international nicht mehr allzu bekanntes Modell selbstbewusster den Kriegsparteien, vor allem den Ukrainern, anbieten würde. Immerhin könnten die Russen das Modell 1955, also ein von ihnen immer positiv gesehenes Modell, jetzt durchaus gesichtswahrend auch in Hinblick auf die Ukraine akzeptieren.
Freilich müsste Österreich für einen solchen Friedensversuch auch bereit sein, auf längere Zeit selbst an seiner Neutralität festzuhalten – so sehr an sich im Eigeninteresse Österreichs eine Aufgabe der Neutralität und eine Eingliederung in einen westlichen Schutzschirm auch klug wäre. Aber solange auch nur ein Promille an Hoffnung besteht, dass Putin sich nach einer dieser drei Varianten (oder gar einer unbekannten vierten?) zurückzieht, solange darf man an Österreichs Neutralität nicht rütteln. Und: Sollte er sich wirklich zurückziehen, dann hätte ja auf längere Zeit eine Eingliederung in einen Schutzschirm viel von seiner Notwendigkeit verloren.
Tut er das aber nicht, dann wäre das freilich eine neue Bestätigung, wie wichtig und dringlich ein solcher Schritt im Interesse der Sicherheit und Freiheit Österreichs und seiner Bürger ist. Dann sollte man sich dringend jener russischen Stimmen der letzten Monate erinnern, dass man all das zurückhaben will, wo in den letzten Jahrzehnten russische Truppen geherrscht haben.