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Seltsamkeiten hinter dem Lohnrunden-Ritual

Der Chef des IHS lässt einen den Mund offen stehen: Er bezeichnet die Forderung nach 11,6 Prozent mehr Lohn in der Metallindustrie allen Ernstes als "sehr niedrig". Angesichts des Rückganges der Inflation auf 7,4 Prozent, und angesichts einer Rezession in Deutschland, die mit absoluter Sicherheit schwere Auswirkungen auf Österreich haben wird, klingt das abenteuerlich. Das erinnert freilich mit besonderer Deutlichkeit daran, dass bei den Berichten über solche Aussagen von Wirtschaftsforschungsinstituten immer die allerwichtigste Information fehlt. Eine Information, die wir auch regelmäßig bei den Auftritten sogenannter Politikberater vermissen.

Diese fehlende Information lautet: Von wem aller hat das betreffende Institut, der großspurig auftretende Politikexperte in den letzten zwei Jahren Aufträge erhalten? Wie viel Honorar haben die jeweils ausgemacht?

Wenn aber diese Information nicht veröffentlicht und beigestellt wird, dann sind die Aussagen absolut wertlos. Dann wird man den Verdacht nicht los, dass da ein Propagandist unter der Tarnkappe eines unabhängigen Experten auftreten darf.

Vor allem der ORF als eigentlich zur Objektivität verpflichtetes Medium dürfte niemals jemanden auftreten lassen, ohne diesen Hintergrund offenzulegen. Das erinnert an die zuletzt in Deutschland aufgedeckte Praxis, dass im Gebührenfernsehen immer wieder "Passanten" interviewt worden sind, die in Wahrheit Exponenten, Angestellte oder Mandatare einer politischen Partei sind (entsprechend der Einfärbung des öffentlich-unrechtlichen Rundfunks waren das ganz zufällig immer rote oder grüne "Passanten").

Übrigens begehen die Linke und damit ihre zahlreichen Medienorgane noch eine Sauerei rund um die Lohnrunde: Der legendäre Gewerkschaftschef Benya hatte sich einst zwar durchaus Verdienste um die gute Entwicklung der österreichischen Sozialpartnerschaft gemacht, aber nicht durch das, was da von diesen Medien heute als Benya-Formel bezeichnet wird (Lohnerhöhungen müssten die Inflation plus drei Prozentpunkte ausmachen).

Benya hat in Wahrheit auf eine ganz andere Formel gesetzt, die zwar nie offen gesagt worden ist, die aber von Wirtschaftswissenschaftlern im Nachhinein nachgewiesen worden ist: Die österreichischen Lohnabschlüsse sind am Ende immer eine Spur, maximal einen Prozentpunkt unter den deutschen in der jeweiligen Branche geblieben. Das hat den Arbeitern immer noch gute Abschlüsse gebracht, aber die Konkurrenzfähigkeit der heimischen Unternehmen Schrittchen für Schrittchen erhöht.

Heute weisen Ökonomen in Hinblick auf die Lohnsteigerungen noch auf einen ganz anderen Zusammenhang hin: Das mit großem Trommelwirbel geradezu rituell alljährlich inszenierte Ringen um die Erhöhung der Kollektivvertragslöhne hat in Wahrheit deutlich an Bedeutung verloren. Denn der Anteil der Arbeitnehmer, der mehr bekommt als das, was im Kollektivvertrag steht, wird immer größer. Denn durch die große Demographiekrise gibt es ein immer dramatischer werdendes Ringen um die Arbeitskräfte. Und dieses Ringen führt immer öfter zu individuellen Lohnvereinbarungen, bei denen die Gewerkschaft völlig irrelevant ist.

Aber weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften haben ein Interesse, dass das groß veröffentlicht wird. Die Arbeitgeber fürchten noch mehr "Nachfolgetäter" (also Mitarbeiter, die die Hand aufhalten). Und die Gewerkschaft wiederum muss unbedingt den Eindruck erwecken, dass sie wichtig ist, dass die Arbeiter ohne sie schier verhungern müssten. Daher wird es auch bei dieser Lohnrunde alles andere als ruhig und schnell zugehen. Wir werden stürmische Betriebsversammlungen erleben und wohl auch kurze Streiks. Das gehört zur Regie, und die Medien spielen atemlos mit.

Wäre das nicht so, könnten ja noch mehr Arbeitnehmer entdecken, dass man die Gewerkschaft eigentlich gar nicht mehr braucht und dieser den Austritt mitteilen. Das würde die Gewerkschaftseinnahmen noch stärker reduzieren. Das wäre für den ÖGB wie auch die SPÖ katastrophal. Aus diesem Grund sind ja auch jene in der SPÖ bald zurückgepfiffen worden, die meinen, dass der Gesetzgeber in die Löhne eingreifen und Mindestlöhne dekretieren solle. Dann würden ja noch mehr Menschen die Gewerkschaft verlassen. "Unsere Leit" müssen hingegen glauben, dass sie nur dank der Gewerkschaft jeden Monat Geld überwiesen bekommen.

Ein sozialdemokratischer Parteiführer, der nicht diesen Glauben verbreitet, wäre hingegen bald seinen Job los.

PS: Der österreichische Arbeitsrecht-Professor Franz Marhold verwies bei seiner großen Abschiedsvorlesung in diesem Zusammenhang noch auf einen Aspekt: Wenn die Politik Löhne festsetzt, würden regelmäißg vor Wahlen schlimme Dinge beschlossen werden.

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