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Während in der Weltstadt Paris jetzt (wieder) eine generelle Sperre eingeführt worden ist, dass kein Haus höher als 37 Meter sein darf, empören sich die Wiener Rathausgenossen darüber, dass die Unesco verlangt, die Bauhöhe des geplanten Hochhauses neben dem Konzerthaus auf 43 Meter zu begrenzen, wenn Wien weiter in der Unesco-Liste des Weltkulturerbes Platz haben will. Das gilt für die Wiener Ratshausprovinzler als skandalöse Zumutung.
Wenn die politischen Vertreter der Wiener SPÖ über das Heumarkt-Projekt und das Weltkulturerbe schwadronieren, so muss man fast glauben, das Unesco-Prädikat wäre der Bundeshauptstadt dereinst (gegen ihren Willen) aufgedrängt worden und seither wäre eine Schutztruppe der Vereinten Nationen stationiert, die streng darüber wacht, dass nicht mehr zu hoch respektive zu hässlich gebaut wird und moderne Architektur den historischen Prachtbauten nur ja nicht zu nahe rückt. Und selbstredend hätte Wien mit Entgegennahme der Welterbe-Urkunde all seine bauliche Selbstbestimmung auf alle Zeiten hin abgegeben.
Dass derlei Unsinn ist, liegt auf der Hand – hält die Rathausgenossen im sich derzeit wieder zuspitzenden Welterbe-Konflikt (es geht um den Verbleib auf der "roten Liste" beim bevorstehenden Kongress in Saudi-Arabien) freilich nicht davon ab, in Richtung der UN-Organisation ausfällig zu werden. Wiens "Welterbe-Beauftragter" Ernst Woller, der in seiner Vita zwar keine einschlägige Erfahrung im Städtebau vorweisen kann, dafür umso erfolgreicher die roten Karrieresprossen hochgeklettert ist (von der SJ zum Renner-Institut und der "Städtischen" bis zum SPÖ-Landtagspräsidenten), teilte zuletzt mit der Grazilität eines Heumarkt-Catchers aus und meinte allen Ernstes, die Unesco wolle den "heimischen Rechtsstaat aushebeln" und Wien "gängeln".
Derartige Ausrutscher auf dem diplomatischen Parkett sind durchaus neu (die scharfe Replik der Unesco detto), ansonsten fühlt man sich in vielen Dingen 20 Jahre zurückversetzt, als es beim Großprojekt Wien-Mitte schon einen hausgemachten Streit ums Weltkulturerbe gab, der seitens der Stadtväter mit denselben üblen Methoden ausgefochten wurde wie heutzutage. Von damals gelernt haben sie aber nicht etwa einen sensiblen Umgang mit dem historisch gewachsenen Stadtbild und ein restriktives Zurückweisen überbordender Investoren-Wünsche, sondern nur, wie man mit fiesen Tricks Unesco und Öffentlichkeit in die Irre führt.
Wir schreiben den 11. Oktober 2003, Roter Salon im Wiener Rathaus: Bürgermeister Michael Häupl bekommt von Unesco-Welterbe-Direktor Francesco Bandarin in ungewöhnlich kleinem Rahmen die Welterbe-Urkunde überreicht. In seiner Danksagung ist der mächtige Stadtboss so gerührt, dass seine Stimme bricht und er sich Tränen aus dem Gesicht wischen muss.
Alles nur Show oder echte Emotionen? Das fragen sich damals viele. Immerhin ist jetzt "Wiens historisches Zentrum" offiziell und endgültig in den erlauchten Kreis jener Stätten aufgenommen, die sich Weltkulturerbe nennen dürfen. Und das nach einem fast zwei Jahre währenden, aufwühlenden Kampf, der offenbar auch an Polit-Schwergewicht Häupl nicht spurlos vorübergegangen ist. Denn auf besagter Unesco-Liste stand Wiens City (samt kleinerem Umkreis) schon zwei Jahre davor, doch dann kam es beim Hochhausprojekt Wien-Mitte zum Konflikt mit den Welterbe-Hütern (befeuert von kritischen Medien und der interessierten Öffentlichkeit).
Die in diplomatischen Kreisen als Chuzpe aufgefasste Novität war damals nämlich, dass eine Welterbestätte – noch bevor sie offiziell ausgezeichnet wurde –, schon wieder von der begehrten Liste zu rutschen drohte; oder auf die "rote Liste" der gefährdeten Stätten gesetzt würde. Dabei ging es nicht um gesprengte Buddha-Statuen oder anderweitig kriegerisch bedrohte Kulturgüter, sondern einzig um den politischen Willen in der Hauptstadt einer demokratischen Republik, partout vier Hochhaustürme unweit des Stephansdoms in der Welterbe-Pufferzone hochziehen zu wollen.
Wien wollte gleichzeitig die Welterbe-Hüter in einer Mischung aus Wiener Schlawinertum und Arroganz um den kleinen Finger wickeln, indem man signalisierte, beides wäre eh locker vereinbar. Dass sich das à la longue nicht ausgehen konnte, war zwar relativ rasch klar, doch im Selbstverständnis der Wiener SPÖ galt ein Zurückweichen als Autoritätsverlust – zumal auch beträchtliche Summen für den Immobilieninvestor der einst roten Hausbank (BAI – Bauträger Austria Immobilien) flossen. Insgesamt waren ursprünglich über dem Landstraßer Bahnhof vier bis zu 97 Meter hohe Türme geplant – realisiert wurde aber nur einer, der heutige Justiztower (87 Meter), der zuvor ausgeklammert worden war und so rasch umgesetzt werden konnte, rund um den aber auch der damalige Justizminister Böhmdorfer eine problematische Rolle gespielt hat.
Die ÖBB als Grundeigentümer wollten sich mit dem monströsen Neubau quasi gratis einen neuen Bahnhof hinstellen lassen – daher müsse so hoch gebaut werden. Wurde jedenfalls allen erzählt, und viele glaubten es. Tatsächlich war der Bahnhof samt kleinem Einkaufszentrum und Markthalle in einem ungustiösen Zustand. Und zwar deshalb, weil man ihn absichtlich verkommen hatte lassen. Der "Ratzenstadl" Wien-Mitte müsse einfach weg, pflegte Häupl zu sagen. Zum Schenkelklopfen. Es ist eigentlich eine üble Spekulanten-Methode, zuerst ein Gebäude bewusst verkommen zu lassen, um es dann abreißen und prächtig neu bauen zu können. Aber da die Genossen bekanntlich nicht spekulieren (siehe Wien-Energie …), stimmt dieser Vorwurf sicher nicht.
Auch beim Heumarkt hörten wir schon zahlreiche Argumente über das hässliche, heruntergewirtschaftete Hotel Intercontinental (dereinst von Architekturkritiker Friedrich Achleitner schon als "Masse ohne Maß" bezeichnet) oder über das nicht mehr zeitgemäße Areal des Eislaufvereines, der nur mit einem opulenten Hochhausbau zu neuer (alter) Blüte gebracht werden könne. Die grüne Ex-Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, die letztlich in dieser Causa über ihre Parteibasis stolperte, prägte etwa den Begriff der "typisch wienerischen Hinterhofästhetik", die einzig per Luxuswohnturmprojekt des Investors Michael Tojner zu beseitigen wäre.
Von der daraus resultierenden Degradierung funktionierender Kultureinrichtungen (Konzerthaus) und Zerstörung historisch einzigartiger Sichtachsen ("Canaletto-Blick" vom Belvedere) hört man hingegen herzlich wenig.
Apropos Achleitner: Wer ein einziges Gebäude schon als "Masse" tituliert, von dem würde man doch annehmen, vier Hochhaustürme in 800 Metern Entfernung zum Wahrzeichen Wiens wären ihm ein Wörtchen der Kritik wert gewesen. Doch weit gefehlt! Just bei Wien-Mitte stellte er sich sogar auf die Seite der Befürworter und explizit gegen das Unesco-Weltkulturerbe – und formulierte einen Aufruf zur völligen Freiheit in der Architektur. Demgegenüber protestierten wahre Kapazitäten der rot-weiß-roten Architekturhistorie gegen das Großprojekt – unter anderem Roland Rainer und Gustav Peichl, um nur die Bekanntesten zu nennen (beide übrigens in meiner Zeit für die "Presse" tätig).
Die Freiheit der Kunst (=Architektur) ist freilich bei derart handfesten wirtschaftlichen und politischen Interessen ein billiges Argument. Denn am Anfang stand ja nicht der Genius mit seinem begnadeten Federstrich, sondern es sind immer die Geschäftsleute und Bürokraten, die gemeinsam Bruttogeschoßflächen, Nettonutzflächen, Renditen, Millionengewinne etc. ausrechnen, um dann damit bei der Stadtpolitik eine entsprechende Kubatur zu erbetteln (erzwingen), die dabei gewiss ihre guten Kontakte spielen lassen. "Sie wünschen, wir widmen", war damals (und ist heute wahrscheinlich immer noch) ein geflügeltes Wort in den Gängen des Rathauses.
Dass das Projekt Wien-Mitte genauso aufgesetzt war, belegt auch das entlarvende Wort Häupls, der einmal meinte, "wenn man oben draufdrückt, wird’s unten blader". Also nach dem Motto, wenn ihr uns dazu zwingt, werden die nun ach so schlanken Türme zu einem monströsen, fetten Klotz, der halt noch hässlicher wird. Um künstlerische Freiheit geht es dabei also sowieso nicht. Nicht minder entlarvend war am Höhepunkt des Konflikts das Angebot des damaligen Investors, gegen eine Ausgleichszahlung der Stadt Wien die Türme auf die damals geforderte Unesco-Höhe von etwa 60 Metern schrumpfen zu lassen. Ein unmoralisches Angebot, über das selbst die Wiener Roten empört waren.
Und vollends entlarvt war die "Wir-müssen-so-hoch-bauen"-Lüge am Ende, als dann das Neubauprojekt – gut zehn Jahre später eröffnet – deutlich abgespeckt mit nur einem kleinen Turm sehr wohl wirtschaftlich rentabel umgesetzt werden konnte.
Und ganz ähnlich ging es in den vergangenen Jahren auch am Heumarkt zu: Zunächst wurde 2014 das "Meisterwerk" des Stararchitekten Isay Weinfeld präsentiert, das mit einem 74 Meter hohen Turm einer künstlerischen Offenbarung gleichgesetzt wurde. (Die damals verkündeten Superlative aus der PR-Giftküche kann jeder nachlesen, der will). Mittlerweile wurde das ach so großartige und einzigartige Projekt freilich schon etliche Male – und wahrscheinlich nicht nur wegen des Drucks der Unesco – umgeplant und mit allerlei Fantasietermini ("Wohnflügel", "Wohnscheibe") versehen.
Letztstand: Die Gebäudehöhe wurde auf 56,6 Meter verringert, allerdings forderte die Unesco bisher ja eine maximal Bebauungshöhe von rund 43 Metern (die Höhe des bestehenden Hotelkomplexes). Man darf gespannt sein, ob sich Geschichte wiederholt und auch der aktuelle Bürgermeister Michael Ludwig bald die Bevölkerung warnt, dass es dann "unten noch blader wird".
In einem letzten Punkt hat sich die unsägliche Welterbegeschichte von vor 20 Jahren jedenfalls schon wiederholt: Sobald die SPÖ-Stadtväter realisieren, dass die UN-Organisation stur bleiben wird, gibt man (noch?) nicht nach, sondern zieht das vermeintlich letzte Ass aus dem Ärmel und beginnt das Unesco-Gütesiegel schlechtzureden. Der damalige Planungsstadtrat Rudolf Schicker war ein Meister solch abwertender Metaphern – von Käseglocke bis Glassturz, unter der die Stadt zu ersticken drohte, warnte er ein ums andere Mal. Und aus der zweiten, dritten Reihe der Stadtpolitik (etwa der Landstraßer Bezirksvorsteher Erich Hohenberger) gab es auch immer wieder Stimmen, die da laut fragten: "Wos brauch ma des überhaupt?".
Also: Welterbe zurückgeben, dann gibt’s keine Probleme mehr. Allerdings war der "Chef", also Häupl, damals noch anderer Meinung, der durchaus ein Faible für diesen Titel hatte und dessen Tränen durchaus ernst gemeint gewesen sein könnten. Zudem war er es untypischerweise höchstpersönlich, der im März 2003 das Projekt-Aus samt Neuplanung via "Presse" verkündet und so die Investoren vor vollendete Tatsachen gestellt hat.
Nachdem Tourismuschef Norbert Kettner schon vor Jahren vorgeprescht war, hat sich beim Heumarkt zuletzt auch Finanzstadtrat Peter Hanke aus der Deckung gewagt und gemeint, ohne Welterbe-Titel "wäre es wahrscheinlich auch kein Beinbruch". Eine "gute Entwicklung der Immobilie" am Heumarkt sei ihm jedenfalls wichtiger.
Das mit dem Beinbruch mag aus touristischer Sicht wahrscheinlich stimmen (zumindest angesichts der aktuellen Post-Corona-Zahlen), aber wer dieses Unesco-Gütesiegel als Tool für die Fremdenverkehrswerbung ansieht, hat irgendetwas nicht verstanden. Außerdem wäre es eine veritable Blamage für eine angebliche Welt(kultur)stadt und daher sehr wohl auch ein internationaler Imageverlust für Wien.
Viel schwerer wiegt aber das damit ausgesendete verheerende Signal, das den Startschuss einer womöglich schlimmen (Stadt-)Entwicklung gibt: Denn wenn nur noch eine viel zu lange mit viel zu viel Macht ausgestattete Partei das Sagen über die opulenten Neubauprojekte in Wien hat und angesichts eines schwachen nationalen Denkmalschutzes das internationale, städtebauliche Korrektiv der Unesco wegfällt, dann verspielt Wien tatsächlich sein (Welt-)Erbe. Es kann sich wohl jeder selbst ausmalen, wie zahlreich im Bereich der Ringstraße weitere Turmbauten aus dem Boden sprießen würden.
Vielleicht muss man die roten Stadtväter auch nur daran erinnern, dass sie selbst es waren, die dieses UN-Gütesiegel vor mehr als 20 Jahren beantragt und den völkerrechtlichen Vertrag akzeptiert haben – und dass ihnen niemand etwas von außen aufgedrängt hatte. Den Schritt, von selber den Titel zurückzugeben, wagt die Wiener SPÖ dann aber doch (noch) nicht. Politisch ehrlicher als ein immerwährender Eiertanz um jedes einzelne Bauprojekt wäre es freilich, wenn auch für Wien eine historische Katastrophe.
Würdig dem anvertrauten Erbe gegenüber haben sich die Rathausverantwortlichen in den 20 Jahren ohnedies nicht erwiesen. Wobei Wien-Mitte und Heumarkt beileibe nicht die einzigen städtebaulichen Sünden waren und sind. So gesehen war es für die Wiener bisher eher zum Heulen.