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Es war Ende 1999: Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac auf Staatsbesuch in Österreich. Bundespräsident Thomas Klestil gab für den Gast ein feierliches Staatsdiner mit den Spitzen der Republik in der Hofburg. Auch ich war als Chefredakteur der "Presse" damals bei Hof noch gelitten und mit meiner Frau geladen, um vom kaiserlichen Service zu speisen ("essen" sagt man da ja wohl nicht …) und den Tischreden der beiden Herren zu lauschen.
Nachher bekamen wir ein Glas mit edlem Cognac in die Hand. Wir gesellten uns zu dem vom Rest eher gemiedenen Ehepaar Claudia und Jörg Haider. Ich kannte Haider seit unserem Jus-Studium an der Wiener Universität (war aber später dennoch fast der einzige Journalist in politisch relevanter Position, der mit ihm per "Sie" geblieben ist, nicht aus persönlicher Aversion, sondern aus Abneigung gegen die zwischen Journalisten und Spitzenpolitikern übliche Fraternisierung). Unser Small Talk wurde nach wenigen Minuten von einem Adlatus unterbrochen: "Herr Landeshauptmann, der Herr Bundespräsident bittet, dass Sie zu ihm und Herrn Staatspräsident in seinen Arbeitsraum kommen mögen."
Haider ging und blieb dort bis Ende der Veranstaltung. Was für uns bald peinlich wurde, denn ich habe Claudia Haider vorher nie gesehen und sie war offensichtlich trainiert, mit Journalisten maximal übers Wetter zu reden. Andererseits wollten wir sie höflichkeitshalber jetzt nicht einfach in der feindlichen Umgebung in der fremden Stadt stehen lassen …
Was bei der Begegnung von Klestil, Chirac und Haider selbst passiert ist, wird wohl nie bekannt werden, hat doch keiner der drei später jemals Auskunft gegeben. Und inzwischen sind sie alle tot.
Diese Begegnung hinter der Tapetentür ist historisch umso auffälliger, als Haider davor mehrmals unhöfliche Bemerkungen über Chirac gemacht hatte. Und sie ist noch spannender, weil Chirac dann fast der einzige nicht-linke Spitzenpolitiker geworden ist, der wenige Wochen später führend bei den antiösterreichischen Sanktionen der anderen EU-Staaten mitgemacht hat.
Haider ist es offensichtlich nicht gelungen, den Franzosen davon zu überzeugen, dass er harmlos ist. Vielleicht hat er es auch gar nicht versucht. Was aber eher ungewöhnlich wäre, da Haider in kleinem Kreis durchaus charmant sein konnte. Aber für Chirac war es wohl schon ein Minuspunkt, dass er mit Haider nicht Französisch reden konnte wie zuvor mit Klestil. Überdies wäre eine öffentliche Versöhnung für Chirac jedenfalls störend gewesen, weil er schon damals die Herausforderung durch die Familie Le Pen – damals war es Vater Jean-Marie – gefürchtet und Haider als Parallelfall gesehen hat.
Am spannendsten war diese Dreier-Begegnung aber deshalb, weil Klestil kurz danach bei der Regierungsbildung eine so dramatische Rolle gespielt hat. Mit Sicherheit hätte er sich dabei nicht so peinlich verhalten, hätte jene Dreierbegegnung harmonisch geendet. Für den gelernten Diplomaten Klestil war immer die Außenwirkung der Vorgänge in Österreich entscheidend. So hatte er Jahre davor in einem Hintergrundgespräch als Generalsekretär des Außenministeriums, an dem ich teilgenommen habe, davon gesprochen, dass es für diese Außenwirkung gut wäre, würde Bundespräsident Kurt Waldheim zurücktreten, da die Vorwürfe gegen ihn ein nicht mehr überwindbares Eigenleben bekommen hätten.
Klestil wollte, dass die geladenen Journalisten diese Forderung dann als ihre eigene wiedergeben, ohne ihn zu zitieren. Jedoch hat das ein Kollege von der "Furche" nicht begriffen und Klestil damit zitiert. Worauf dieser von Alois Mock, seinem Chef im Außenministerium, eine heftige Rüge versetzt bekam. Das war für Klestil peinlich – aber dann umgekehrt wohl Hauptgrund, warum ihn der Mock- und Waldheim-Gegenspieler Erhard Busek 1992 zum ÖVP-Bundespräsidentenkandidaten gemacht hat. Busek fuhr mit Klestil seinen einzigen großen Sieg ein (nicht zuletzt, weil Klestil im Wahlkampf heile Familie gespielt und die schon monatelang im Geheimen virulente Affäre mit seiner späteren zweiten Frau noch verdeckt hat, die mir schon vor dem Wahlkampf aufgefallen war – ich sah aber die Rolle eines seriösen Journalisten nie darin, private Seitensprünge in die Öffentlichkeit zu zerren).
Die Regierungsbildung hatte lange gedauert, weil schon das Wahlergebnis des 3. Oktober 1999 dramatisch war: Der SPÖ erlitt schwere Verluste von fast 5 Prozentpunkten, blieb aber noch Erster und wollte mit Klestils Hilfe noch einmal den Bundeskanzler stellen. Nach ähnlich hohen Zugewinnen erreichte die FPÖ die zweitmeisten Stimmen, lag aber an Mandaten und Prozenten bis auf die Hundertstelstelle gleichauf mit der ÖVP; diese hatte 400 Stimmen weniger. Waren die beiden nun ex aequo Zweite? Oder war die ÖVP Dritte? Dieses Ergebnis erschwerte die Regierungsbildung zusätzlich, weil ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel im Wahlkampf angekündigt hatte, dass er als Dritter in Opposition gehen würde. Dass er das dann nicht getan hat, sondern sogar Bundeskanzler geworden ist, ist ihm oft vorgeworfen worden – jedoch nicht von den Wählern. Denn die haben ihm drei Jahre später bei den nächsten Wahlen mit 42,3 Prozent den größten Wahlerfolg zugebilligt, den in den letzten 30 Jahren irgendeine Partei hatte.
Im Winter 1999/2000 herrschte jedenfalls große Ratlosigkeit. Das Klima zwischen SPÖ und ÖVP war nach 14 Jahren großer Koalition vergiftet und von Aversionen geprägt. Andererseits wollte Klestil wegen der außenpolitischen Wirkung unbedingt wieder Rot-Schwarz, das er in seiner Realitätsferne als Signal der Stabilität ansah. Widerwillig verhandelte die ÖVP mit der SPÖ. Es gelang, ein Regierungsprogramm auszuhandeln – jedoch weigerten sich wegen einiger sozialpolitischer Reformprojekte darin die nicht gerade unwichtigen Gewerkschaftsvertreter in der SPÖ, dieses Papier mitzutragen. Darauf brach Schüssel die Versuche ab, mit der SPÖ eine Regierung zu bilden. Zahllose Versuche Klestils, doch noch Rot-Schwarz zu retten, blieben erfolglos. Sie waren schon deshalb chancenlos, da die Chemie zwischen Klestil und Schüssel nie funktioniert hat. Trotz des gemeinsamen ÖVP-Hintergrunds.
Erleichtert wurde Schüssels Absage an die SPÖ durch lockende Signale von der FPÖ. Ohne den sonst üblichen Auftrag des Bundespräsidenten, eine Regierung zu bilden, fanden über die Weihnachtstage 1999 intensive Geheimgespräche zwischen Schwarz und Blau statt. Ort war meist das Hietzinger Haus des ÖVP-Mannes Andreas Khol. Die Gespräche verliefen von Anfang an in exzellenter Stimmung. In allen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen war man sich rasch einig. Haider hatte sich schon seit Jahren klar wirtschaftsliberal positioniert.
Als kluger Stratege hat Haider schon vorher bei einem Hintergrundgespräch mit einigen Journalisten auch das größte Hindernis beiseite geräumt: seine eigene Person. Darin machte er schon zu Zeiten der rot-schwarzen Verhandlungen erstens klar, dass die FPÖ auf Finanz- und Sozialministerium bestehen würde. Und zweitens signalisierte er, dass er eh lieber Landeshauptmann in Kärnten bleibe, als um das Bundes- oder Vizekanzleramt in Wien zu fighten.
Das war zwar ein Fall von "sauren Trauben", aber strategisch schlau. Haider ahnte, dass der Widerstand gegen seine Person im In- und Ausland zu groß werden könnte. Gab es doch von ihm etliche Äußerungen, in denen er recht deutlich um die ehemaligen Nazis geworben hatte.
Als Einschub ein kurzer Vergleich Haiders zu seinen Nachfolgern in der FPÖ, worin er sich überall unterschied:
Haider war überzeugt, dass er als Parteiobmann auch von außen ein entscheidender Schlüsselspieler bleiben könnte. Was ihm, wenn auch mit abnehmender Wirkung, bis Sommer 2002 gelang, bis es wegen der Eurofighter-Anschaffung zur Konfrontation mit Schüssel kam. Diese gewann Schüssel, weil er inzwischen ein wertschätzendes Verhältnis mit allen freiheitlichen Regierungsmitgliedern aufgebaut hatte, die bald alle Haider als immer lästigere Störung empfanden. Was wiederum diesen immer grantiger machte.
Zurück zu den Geheimgesprächen 1999/2000. Auch Außenstehende ahnten, dass eine schwarz-blaue Überraschung in der Luft liegt. So auch Thomas Klestil. Er kochte vor Wut, dass da offensichtlich Parteien über eine Regierungsbildung verhandelten, die zwar eine parlamentarische Mehrheit hatten, die aber von ihm keinen Auftrag dazu hatten. Dabei steht doch in der Bundesverfassung, dass es der Bundespräsident ist, der den Bundeskanzler nominiert.
Deshalb begann auch Klestil Geheimgespräche, um erstens eine Regierung ohne Regierungsbildungsauftrag, um zweitens Schwarz-Blau, und drittens Schüssel als Bundeskanzler zu verhindern. Dabei zielte er sehr bald auf Neuwahlen ab, was auch immer er sich davon erwartete. Klestils Problem dabei: Der Bundespräsident kann laut Verfassung nur auf Vorschlag der Bundesregierung Neuwahlen ausschreiben. Die noch provisorisch amtierende Regierung unter SPÖ-Mann Viktor Klima hätte ihm jedoch niemals einen solchen Vorschlag unterbreitet. Denn da hätten auf Grund der Einstimmigkeitsregel auch die ÖVP-Minister zustimmen müssen. Was die nie getan hätten.
Daher plante Klestil, einen ihm loyalen Spitzenbeamten aus dem Außenministerium zum Bundeskanzler zu bestellen, nämlich Helmut Türk. Diese Bestellung ist fast der einzige Akt, den ein Bundepräsident ohne Vorschlag von irgendjemand anderem (Regierung oder Nationalrat) setzen kann. Türk sollte ein Mini-Kabinett zusammenstellen. Sofort nach der Angelobung durch Klestil sollte diese "Regierung" ihren einzigen Zweck erfüllen – noch bevor das Parlament sie hätte stürzen können: Sie sollte dem Bundespräsidenten umgehend Neuwahlen vorschlagen.
Doch dieses Projekt wurde mir rechtzeitig bekannt, weshalb ich Klestil in einem Kommentar scharf kritisierte. Ich verglich ihn mit dem damaligen kroatischen Präsidenten Tudjman. Dieser war international als autoritär verfemt, vor allem weil er dem von einer Mehrheit gewählten Kandidaten das Amt eines Bürgermeisters von Zagreb verwehrte.
Dieser Kommentar hat Klestil aufs Höchste empört – aber letztlich zur Einsicht gebracht, dass er das Match verloren hat. Wahrscheinlich hat auch Türk zurückgerudert, der nie öffentlich darüber gesprochen hat. Klestil hat mit Verspätung die ungeschriebene, aber logische Realverfassung begriffen: Bei Bildung einer neuen Regierung ist letztlich einzig entscheidend, ob diese eine Mehrheit im Parlament hinter sich hat. Und der Bundespräsident ist – auch wenn in der Verfassung etwas anders steht – lediglich ein Staatsnotar.
Gleichsam als Angebot, damit Klestil sein Gesicht wahren konnte, haben ÖVP und FPÖ auf zwei FPÖ-Minister verzichtet, die Klestil besonders wenig mochte: auf Hilmar Kabas und Thomas Prinzhorn. Zwar hätte Klestil sie formal als Minister verhindern können. Er wäre aber machtlos gewesen, wenn die beiden beispielsweise mächtige Kabinettschefs eines anderen Ministers geworden wären und so eigentlich das Ressort geführt hätten.
Dieser Kompromiss hat Klestil aber dennoch nicht dazu gebracht, sich normal zu benehmen. Er gelobte zwar eine Regierung an, zu deren Bildung er nie den Auftrag gegeben hat. Das hätte er aber theoretisch verweigern können, da in der Verfassung steht: "Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt." Dieser ist also formal frei in der Ernennung eines Kanzlers. Eine Nichtbestellung Schüssels hätte das Land aber in eine schwere Verfassungskrise gestürzt. Die wagte Klestil zum Glück aber dann wieder doch nicht.
Statt dessen hat er als kindische Rache bei der Angelobungszeremonie eine angewidert-steinerne Miene gemacht. Da hat ihn seine ganze diplomatische Erziehung verlassen, derzufolge man eigentlich auch zu einem bösen Spiel gute Miene machen sollte.
Erst durch diese Bilder ist ja für die breite Öffentlichkeit seine katastrophale Niederlage sichtbar geworden. Erst sein eigenes Agieren in jenen Stunden hat ihn vor der ganzen Nation zum Loser gemacht. Es hat aus einer erfolgreichen Persönlichkeit einen für den Rest seines Lebens nie mehr ernst genommenen Minus-Mann gemacht, der nur noch durch sein Privatleben Aufmerksamkeit erregen konnte.
Dieser Beitrag erscheint in weitgehend ähnlicher Form in einer Sonderausgabe der Wochenzeitung "Zur Zeit".