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Prigoschins Ermordung: Der Anfang von Putins Ende?

Spektakuläre Morde, die nie aufgeklärt werden, sind nun schon seit Jahrzehnten ein Markenzeichen der Putin-Diktatur. Aber auch wenn der tödliche Anschlag auf die Privatmaschine des Söldnerführers Jevgenij Prigoschin wie eine gewalttätige Machtdemonstration aussieht, beschleunigt er wohl eher den Niedergang des Kreml-Herrschers.

Der Umgang sowjetischer Herrscher mit ihren Gegnern ist nie zimperlich gewesen – da wurde gemordet, in psychiatrischen Gefängnissen gefoltert und in Straflagern aufgerieben. Diese schreckliche Tradition hat Wladimir Putin längst aufgenommen. Seit Jahrzehnten bezahlen seine Gegner mit Tod und Gulag. Um nur die bekanntesten zu nennen: Die Blutspur begann mit der Journalistin Anna Politkovskaja, die 2006 im Stiegenhaus ihres Wohnhauses ermordet wurde – wohl, weil sie zu viel über den Tschetschenien-Krieg herausgefunden hatte. 2015 erschütterte der Mord an dem Oppositionspolitiker und Putin-Kritiker Boris Nemzow auch international die Reputation des russischen Präsidenten. Der Gift-Anschlag auf Alexej Nawalnyj 2020 missglückte – dafür lebt dieser jetzt in grausamer Einzelhaft, dauerbeschallt mit Putin-Reden.

Kurz vor dem Überfall auf die Ukraine begann das nächste Stadium des Putinschen Mordens: Die Opfer waren aber kein Putin-Gegner mehr, sondern allesamt dem Kreis um den Präsidenten schon sehr nahe.12 Oligarchen sind mittlerweile unter rätselhaften Umständen ums Leben gekommen – teils in Russland, teils aber auch in Spanien, England, Frankreich. Die meisten von ihnen hatten ihr Vermögen auf dem Energiesektor gemacht. Plötzlich aber begingen sie Selbstmord (manchmal, nachdem sie angeblich vorher ihre Frauen und Kinder getötet hatten), fielen aus dem Krankenhausfenster oder ertranken in ihrem Swimmingpool. Als Reaktion darauf, dass sich offensichtlich – wie zu Stalins Zeiten – niemand mehr sicher fühlen kann, organisieren sich immer mehr Mitglieder aus Putins Kreis deshalb nicht nur Leibwächter, sondern Privatarmeen, versuchen zu emigrieren oder zumindest ihre Familien ins Ausland zu bringen.

Und jetzt Prigoschin: Der Mann, der mit seinen Wagner-Söldnern in Afrika und in der Ukraine für Putin gekämpft hat, der immense Reichtümer nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Kremlherrn angehäuft hat, der mit seinen Internet-Troll-Farmen westliche Wahlen in Putins Sinne beeinflusst hat. Dem sich auf seinem Marsch gegen Moskau niemand ernsthaft entgegengestellt hat, auch wenn er ihn dann unter rätselhaften Umständen frühzeitig abbrach.

Was sich in den 60 Tagen seit diesem seltsamen Putschversuch ereignete, entzog sich jeder Logik: Zuerst angeblich ins Exil geschickt, reiste Prigoschin schon bald wieder munter in Russland herum, postete vollmundige Videos im Internet – und wurde sogar wieder von Putin zum Gespräch empfangen. Das künstliche Flugzeugunglück ist denn auch kaum die verspätete Strafe für sein Aufbegehren. Was immer das genaue Motiv dahinter sein mag, für die Männer bis hin in den innersten Kreis um Putin ist es eine Warnung - das Alarm-Zeichen, dass die Gewalt jetzt jederzeit auch jeden von ihnen treffen kann.

Noch sind diese Putin-Trabanten nicht in der Angststarre, die unter Stalin herrschte. Die Bedrohung, die ihnen jetzt so nahe gekommen ist, könnte daher vermehrt Versuche auslösen, die Macht zu übernehmen – konsequenter als es Prigoschins Marsch gewesen ist.

Neben Machtkämpfen innerhalb des Kremls drohen auch die Wagner-Söldner ein Unruhe-Faktor zu werden. Sie wollen ihren Anführer rächen. Auf ihrem Telegram-Kanal drohen sie: "Die Ermordung von Prigoschin wird katastrophale Folgen haben." Und dann wird präzisiert, dass sie nicht allein sind: "Die Leute, die das angeordnet haben, haben keine Ahnung von der Stimmung und der Moral in der Armee."

Und so ist es durchaus wahrscheinlich, dass die als Zeichen der Stärke gedachte Exekution per Flugzeugunglück eher das Signal für die Schlussrunde des Systems Putin ist.

P.S.: Bei der Paranoia, die in Diktaturen nun einmal herrscht, ist es freilich auch durchaus möglich, dass Prigoschin gar nicht in der verunglückten Maschine gewesen ist, sondern aus Vorsichtsgründen in der zweiten, unversehrt gebiebenen gereist ist. Dann freilich würde es für Putin noch enger, denn damit wäre er der Lächerlichkeit preisgegeben.

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