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Wenn niemand mehr Politiker werden will

Hinter den Flammen der lodernden Waldbrände, die auf allen (Des-)Informations-Kanälen die Apokalypse heraufbeschwören sollen, führen alle anderen Themen ein Schattendasein. Eines davon sollte uns aber viel mehr bewegen, denn es ist nur die Spitze eines Eisbergs, der für die heimische Politik bedrohlich ist (und trotz der Klimaerwärmung nicht schmilzt, sondern wächst): In knapp einem Jahr sollen wir neue EU-Abgeordnete wählen, doch da gibt es ein Problem. Niemand scheint bereit, sich wählen zu lassen.

Dabei wäre es mehr als wichtig, weder Hinterbänkler noch Abgeordnete, die man im eigenen Land loswerden möchte, und auch keine inhaltlich Halb- bis Viertel-Kompetenten nach Brüssel zu schicken – greifen doch EU-Kommission und -Parlament immer stärker in das Leben der Menschen ein, auch dort, wo sie gar nicht dazu legitimiert sind. Und damit gelingt es ihnen, das wichtige Friedensprojekt zu diskreditieren und aus glühenden Europäern Skeptiker zu machen. Über besseres Polit-Personal hätte es aber jedes Mitgliedsland in der Hand, für bessere Institutionen zu sorgen und die Stimmung für das europäische Projekt wieder ins Positive zu wenden.

Der ÖVP wird es guttun, Othmar Karas endlich in Pension zu schicken. 18mal gegen die österreichischen Interessen gestimmt zu haben, hätte für ein vorzeitiges Ende der Karriere reichen müssen. Nur: einmal gewählt, wird man nicht nur einen Karas schwer los. Jetzt tut sich aber das Problem auf, dass ihm kein ernstzunehmender Politiker aus dem schwarz/türkisen Lager nachfolgen will. Karoline Edtstadler sagte bereits ab, Alexander Schallenberg ebenso. Der typische ÖVP-Ausweg wird wohl sein, nach einer Quereinsteigerin vorzugsweise aus dem ORF (denn dann ist das Gesicht ja jedem Wähler bekannt) zu suchen. Als ob sich nicht schon zur Genüge gezeigt hätte, dass über Politik zu berichten etwas ganz anderes ist, als den Beruf eines Politikers auszuüben – man erinnere sich an die rasch verglühten ORF-Quereinsteiger bei der SPÖ, Josef Broukal und Eugen Freund.

Das Problem, das sich hier auftut, haben alle unsere Parteien: Es wachsen keine Talente nach. Das macht die Personalreserve mehr als dünn und das Spitzenpersonal nicht gerade überzeugend. Der Kampf der "Giganten" Doskozil und Babler um die sozialistische Parteispitze war eine traurige Illustration dafür und hätte – auch ohne die Probleme mit dem Zählen bis 600 – für einen Nachdenkprozess in allen Lagern sorgen müssen, was man gegen die personelle Ausdünnung tun könnte.

Einerseits liegt es sicher an einer mangelnden Nachwuchspflege. Die wenigen, die sich noch für eine Polit-Karriere interessieren, kommen in ein Umfeld, wo es nicht mehr um die Auseinandersetzung mit Problemen, das Experimentieren mit inhaltlich neuen Wegen, das Aufgreifen neuer, tragfähiger Ideen geht – sondern maximal um das Befüllen der Social-Media-Kanäle. Und so wächst auch kein inhaltlich starker Politiker nach, der imstande wäre, Probleme zu erkennen, Lösungen vorzuschlagen und Wähler durch Qualität zu überzeugen. Auch Politik ist ein Beruf, der gelernt sein will. Talente wie Sebastian Kurz eines war, gibt es nur alle paar Jahrzehnte einmal – und er hat nicht in seiner Partei gelernt, wo es ja auch keine Nachwuchs-Schmieden mehr gibt, sondern war ein rascher Lerner in der Praxis des Integrations-Staatssekretariats und des Außenministeriums.

Andrerseits liegt es aber auch daran, dass es sich niemand, der dem Land etwas zu bieten hätte, aber auch auf anderen Gebieten Karriere machen kann, überhaupt antun will, in die Politik einzusteigen. Denn jeder weiß mittlerweile, was dann zu erwarten ist. Sofort steht man unter dem Generalverdacht, aus irgendwelchen unlauteren Motiven den Schritt in die Politik zu tun. Schmutzkübel werden auf dem Boulevard (und oft nicht nur dort) in Stellung gebracht und bei günstigem Wind ausgegossen. Wo kein Makel zu finden ist, wird einer konstruiert. Und: Ein Politiker hat kein eigenes Leben mehr. Wo immer ein Politiker etwa privat in einem Restaurant essen möchte, werden Handys gezückt, Fotos gemacht und im Internet gepostet. Und dann wird noch die Neidgenossenschaft auf Touren gebracht, weil die Politiker-Gehälter viel zu hoch wären. Was in der Pauschalität des Vorurteils sicher unfair ist – Regierungsmitglieder, aber auch Bürgermeister haben Arbeitszeiten, die keine Gewerkschaft tolerieren würde. Und dazu müssen sie das schlechte Image in Kauf nehmen – auch solche, die es nicht verdienen.

Und wenn sich dann doch jemand die Politik als Beruf antut – vielleicht sogar aus dem längst in Vergessenheit geratenen Motiv, seinem Land dienen zu wollen –, hat er auch noch gegen das einzig verbliebene Mittelmaß in den Parteireihen zu kämpfen. Ist es anders zu erklären, dass etwa die ÖVP, nachdem sie Heinz Fassmann in die Wüste geschickt hat, ihren Abgeordneten Rudolf Taschner, den eloquenten und hochqualifizierten Wissenschaftler, vollständig versteckt, als dass Martin Polaschek vor einem Vergleich mit ihm geschützt werden soll?

Und so entsteht aus all diesen Gründen eine Abwärtsspirale: Die Politiker werden immer schwächer, die Institutionen geraten dadurch immer weiter in Misskredit – und die großen Herausforderungen unserer Zeit werden dadurch nur drängender. Auf allen Ebenen – in der Gemeinde, im Bundesland, im Bund und in Europa.

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