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"Lasst die unabhängige Justiz arbeiten!" So dröhnte es in den vergangenen Jahren ununterbrochen von der grünen Justizministerin, von ihrem Parteifreund in der Präsidentschaftskanzlei und von vielen anderen Gesinnungsgenossen. Offenbar gilt dieses Zadic-Prinzip aber nur in sehr bestimmten Fällen, nämlich in jenen, wo sie selbst politisches Interesse an einer Verfolgung und einer Demütigung der von ihren Staatsanwälten ins Visier Genommenen hat. In anderen Fällen gilt offensichtlich das Gegenteil: Wenn Kärntner Staatsanwälte nämlich gegen einen der Ministerin politisch sympathischen Menschen haargenau dasselbe machen, was vorher die Genossen aus der WKStA gegen ÖVP- und FPÖ-Politiker gemacht haben, dann herrscht plötzlich höchste Handlungsbereitschaft, dann wird sofort in die "unabhängige Justiz" eingegriffen.
Denn nur wenige Stunden, nachdem bekannt geworden war, dass die Kärntner Staatsanwaltschaft das Handy und den Computer eines Kärntner Journalisten wegen des Verdachts der Beihilfe zu einer Verletzung von Amtsgeheimnis und Datenschutz beschlagnahmt haben, hat die grüne Ministerin in aller Öffentlichkeit einen "dringenden Berichtsauftrag" an die Kärntner Staatsanwälte erteilt.
So schnell ist noch nie eine Intervention eines Justizministers erfolgt. Und ebenfalls nur wenige Stunden später gibt die Oberstaatsanwaltschaft Graz die Weisung nach Kärnten, die Ermittlungen gegen den Journalisten überhaupt einzustellen. Obwohl dort noch gar kein Akt gelandet sein konnte, sondern nur die ziemlich gleichgeschaltet berichtenden Zeitungen – oder ein Anruf aus dem Ministerbüro.
Da schaut der verblüffte Österreicher aber. Wie in diesem Land ohne jede Not Dinge blitzschnell auf dem kleinen Amtsweg laufen können! Wenn es der Ministerin politisch in den Kram passt, dann gibt es plötzlich keine unabhängige Justiz mehr, die man unbedingt in Ruhe arbeiten lassen müsse. Dann funktionieren Oberstaatsanwaltschaften wie auf Pfiff.
Wenn hingegen früher der Leiter der Wiener Oberstaatsanwaltschaft oder der Chef der Strafjustizsektion von der WKStA ob etlicher Merkwürdigkeiten und jahrelangem Nichtstun Berichte verlangt haben, dann war schon die Anforderung der Berichte ein Skandal und letztlich der Hauptgrund für die Suspendierung der beiden durch Zadic (dass die WKStA seit diesen Suspendierungen noch langsamer geworden ist, sei nur am Rande hinzugefügt).
Nun sei damit nicht gesagt, dass das Verhalten der Kärntner Staatsanwälte in Ordnung gewesen ist. Bisher kennt man allerdings nur die Darstellung einer Seite, also des um seinen Computer befreiten Journalisten. Unzweifelhaft haben viele Journalisten – auch ich – immer wieder nur deshalb Geschichten erfahren, weil Beamte oder Politiker sie in der Hoffnung auf Anonymitätsschutz durch das Redaktionsgeheimnis heimlich weitergespielt haben. Ob das rechtlich wirklich in Ordnung ist, ist nie ausjudiziert worden. Weshalb kluge Journalisten lieber bei heiklen Dingen immer den physischen Kontakt bevorzugt haben. Denn gar nicht so wenige Juristen behaupten, der Schutz durch das Redaktionsgeheimnis beziehe sich nur auf ihre Rolle als Zeugen, nicht aber darauf, wenn sie selber Angeklagter sind.
Aber was wirklich empört, ist das so skandalös ungleiche Vorgehen der Ministerin. Man denke nur daran, dass die WKStA zuletzt sogar sämtliche Chats von allen Mitarbeitern des Bundeskanzleramtes verlangt hatte. Man denke etwa daran, dass die Öffentlichkeit über die von der WKStA angelegten Akten unglaublich viele Dinge erfahren hat, die rechtlich völlig irrelevant sind, aber für die Betroffenen sehr peinlich. Etwa dass Sebastian Kurz über seinen Vorgänger "Orsch" gesagt hat; oder dass ein anderer schwul ist. Das alles war der Ministerin wurscht. Nicht wurscht ist ihr aber, wenn die Kampagne gegen einen feindlichen Bürgermeister eventuell behindert wird.
Auch dass sich sämtliche linken Journalisten-Vereine, "Experten" und viele Medien sofort über die Beschlagnahme von Handy und Computer des Journalisten aufgeregt haben, dass die gleichen Vereine und Medien aber in den letzten Jahren nie ein kritisches Wort über den hemmungslosen Zugriff der Staatsanwälte auf unzählige ÖVP- und FPÖ-nahe Handys verloren haben, ist widerlich bis zum Exzess. Noch mehr ist das aber das Verhalten der angeblich für die Justiz zuständigen Ministerin. Außer – es gibt einen neuen Verfassungsartikel, der lautet: Journalisten stehen über dem Gesetz, alle die mit ÖVP und FPÖ zu tun haben, unter diesem."
Hätte die ÖVP Rückgrat, würde Bundeskanzler Nehammer jetzt endgültig die Ministerin wegen ihres eindeutigen Eingriffs in die Unabhängigkeit der Justiz zum Rücktritt auffordern. Aber er tut das genausowenig, wie auch nur eine der sich zur Kärntner Affäre äußernden anderen Parteien Kritik an der Ministerin übt. Denn sie allesamt haben klammheimliche oder offene Sympathien für die Recherchen des Kärntner Journalisten.
Obwohl es dabei eigentlich um recht marginale Dinge geht, nämlich um möglicherweise überhöhte Überstundenabrechungen im Klagenfurter Bürgermeisteramt. Die ganze Aufregung wird erst verständlich, wenn man weiß, dass der für diese "Missstände" verantwortliche Bürgermeister (Christan Scheider) vom "Team Kärnten" kommt, also von einer ansonsten unbedeutenden Kleinpartei. Das passt aber absolut nicht ins Konzept und Denken von Rot, Blau, Schwarz (irgendwie kann man es natürlich auch als schön empfinden, dass die Drei wenigstens einmal einig sind …).
Da alle drei Parteien in den letzten Jahren Gelegenheit hatten, in Klagenfurt Vertrauensleute in wichtige Beamtenpositionen zu hieven, ist zwar eher unklar, wer die Überstundenabrechnungen hinausgespielt hat. Umso klarer ist, dass alle drei Parteien kein Interesse haben, dass der Mann vom "Team Kärnten" (mit einer wechselreichen Vergangenheit bei FPÖ, BZÖ und FPK) noch länger Bürgermeister bleibt. Es ist in ihren Augen ja auch wirklich ein Skandal, wenn sich immer wieder neue Parteien ins politische Spiel der Altparteien mischen. Auf der anderen Seite ist es wohl reichlich naiv von Herrn Scheider gewesen, bei der Suche nach einem Amtsmissbrauch betreibenden Beamten auf die "unabhängige Justiz" zu bauen und zu ignorieren, wie unantastbar Journalisten vor dieser Justiz sind. Zumindest wenn sie sich politisch richtig verhalten.
Aber die Spielchen im Klagenfurter Biotop sind nur am Rande wichtig. Für ganz Österreich interessant und beklemmend sind hingegen das Verhalten der Justizministerin und ihr nun blamiertes Gerede von der unabhängigen Justiz. Interessant wäre natürlich auch, wie der Oberste Gerichtshof das Redaktionsgeheimnis in Strafverfahren in Zeiten der Chats letztlich wirklich beurteilt. Das durften wir bisher nie erfahren.
Interessant wäre aber auch, wie der Verfassungsgerichtshof in einem dort gerade anhängigen Fall urteilen wird – der an sich nichts mit der Politik und auch nicht mit Klagenfurt zu tun hat –, in dem sich ein von Staatsanwälten Verfolgter gegen die Beschlagnahme seines Mobiltelefons beschwert. Wegen Verletzung des Datenschutzes und des Rechts auf das Privatleben. Freilich: Beim derzeitigen Verfassungsgerichtshof sollte man nicht sonderlich viel Hoffnung hegen, dass er als Schützer der Grundrechte anderer Menschen als (selbsternannter) Journalist aktiv wird. Es sei denn, es ginge um die Grundrechte von Asylwerbern.