Die Schuld am Tod einer Zeitung und die ignorierten Rettungsmöglichkeiten
27. Juni 2023 00:52
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 7:30
So viele drängen sich derzeit in die Öffentlichkeit, um den Tod der "Wienerzeitung" zu beklagen, dass alleine damit das Blatt fast komplett zu sanieren wäre, wenn neben einem – dort bisher unbekannten – Sparkurs all die Klagemänner und Klageweiber auch Abonnenten der in letzter Zeit arg schwindsüchtig gewordenen "Wienerzeitung" geworden wären. Dabei hatte kein einziger von ihnen den Mund aufgemacht, als einst unter Werner Faymann der Zeitung der tödliche Stich versetzt worden ist, der nun nach langem Leiden zu deren Verbleichen geführt hat.
Denn Faymann hat einst aus rein parteipolitischer Schrebergartenzwerg-Perspektive einem Höhenflug der Zeitung ein brutales Ende bereitet, der in den Jahren davor durch eine überaus hoffnungsvolle Entwicklung eingeleitet worden war. Faymanns Vorgehen hat gezeigt, dass politische Eigentümer – zumindest, wenn sie von Charakteren wie ihm verkörpert werden – völlig außerstande sind, einem Medium den notwendigen Frei- und Atemraum zu lassen, den es zu seinem Überleben braucht.
- Tatsache ist, dass damals die Zeitung eine (verkaufte) Auflagenhöhe erreicht hatte, von der sie in den Folgejahren nur noch träumen konnte.
- Tatsache ist, dass mir einst bei meinem (von der damaligen, durch ständige Selbstdarstellungsneurose geprägten Styria-Führung erzwungenen, die eine völlig andere ideologische Ausrichtung der "Presse" wünschte) Abschied von der "Presse", bei der ich 31 Jahre Erfahrungen gesammelt hatte, Tausende Leser zur "Wienerzeitung" gefolgt waren, die vor allem dieses Auflagenhoch bewirkt hatten.
- Tatsache ist, dass Faymanns Vorgänger, die Herren Schüssel und Gusenbauer, nie versucht hatten, sich in die redaktionelle Entwicklung der Zeitung einzumischen (die plumpen Versuche eines SPÖ-Funktionärs namens Kalina, organisierten Druck aufzubauen, konnte die Redaktion daher auch kühl ignorieren).
- Tatsache ist, dass die Redaktion auch das Verlangen einer Ministerin abschmettern hat können, einen Gastkommentar schreiben zu wollen (weil die Gastkommentarschiene generell nicht für Minister vorgesehen war, die ja ohnedies ständig Interviews, Presskonferenzen und Erklärungen abgeben).
- Tatsache ist, dass ich in meinen viereinhalb Jahren als liberalkonservativer Chefredakteur mit der ganz überwiegend gemäßigt-sozialdemokratischen Redaktion gut harmonieren konnte, in der viele offensichtlich erfreut waren, dass damals Professionalität Einzug gehalten hat (selbst wenn anfangs viele murrten, dass sie wegen Vorverlegung der täglichen Redaktionskonferenz um zwei Stunden mehr arbeiten mussten).
- Tatsache ist, dass neben den allgemeinen Anstrengungen vor allem zwei Maßnahmen den Erfolg meiner "Wienerzeitungs"-Jahre ausgelöst haben: einerseits war das die leserfreundliche Vergrößerung der Schrift und andererseits die Einführung von Meinungselementen, die radikal geholfen hat, den Eindruck der Zeitung zu entstauben. Beides sind keine Geheimrezepte, sondern bekannte Empfehlungen zumindest ausländischer Experten.
- Tatsache ist aber auch, dass eine Zeitung, die heute zu rund 90 Prozent von Pflichteinschaltungen lebt, keine Existenzberechtigung hat. Sind diese doch im elektronischen Zeitalter großteils völlig überflüssig oder werden von vielen Unternehmen sogar als schikanös empfunden.
- Tatsache ist auch, dass die "Wienerzeitung" nicht die erste und schon gar nicht die letzte Tageszeitung sein wird, die den rasanten technologischen Veränderungen zum Opfer fällt, lesen doch Menschen unter 50 Jahren generell signifikant weniger Papierzeitungen.
- Tatsache ist weiters, dass die jetzt österreichweit gestreute Behauptung lediglich ein guter Schmäh ist, die "Wienerzeitung" wäre die älteste Tageszeitung der Welt (was zu glauben ohnedies voraussetzt, dass man Namens- und Eigentümeränderungen seit 1703 sowie längere Unterbrechungen ignoriert): Denn es würde ein Blick in Wikipedia genügen, um herauszufinden, dass die älteste noch erscheinende Zeitung vielmehr die seit 1645 in Schweden erscheinende "Post-och Inrikes Tidningar" ist.
- Tatsache ist, dass es niemals Aufgabe des Steuerzahlers sein kann, alles Alte nur deshalb zu erhalten, weil es alt ist – sonst würde man etwa zwischen Wien und Salzburg noch immer mit der Pferdekutsche fahren, sonst würden pubertierende Knaben ihrer schönen Sopranstimmen wegen noch immer kastriert, sonst wären Frauen noch immer von Universitäten ausgeschlossen.
- Tatsache ist, dass der Ruf nach Finanzierung der "Wienerzeitung" durch den Steuerzahler (sowie die unzähligen anderen Forderungen nach noch mehr Geld, die Rot und Grün täglich erheben) ignoriert, dass Österreich in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit immer weiter zurückfällt, weil die Steuerlast ohnedies jetzt schon viel zu hoch ist; was dieser Tage die alljährliche IMD-Studie erneut bestätigt hat.
- Tatsache ist ebenso, dass in Österreich die inhaltliche Mainstream-Gleichschaltung vieler Redaktionen und vor allem der Qualitätsverfall der alle Medien beliefernden Agentur APA diese rasante Entwicklung noch zusätzlich beschleunigen wird.
- Tatsache ist freilich auch, dass die Wirtschaftskammer WKO, die seit Jahren am lautesten – und an sich zu Recht – das Ende der teuren Pflichterveröffentlichungen in der "Wienerzeitung" gefordert hat, jetzt infamerweise völlig den Mund hält, da ihr Wunsch erfüllt wird, und so die ganze laute Kritik allein auf die Regierung niederprasseln lässt.
Hat also die Regierung richtig gehandelt, als sie das Schließen der "Wienerzeitung" beschlossen hat, weil dieses zwar für die betroffenen Mitarbeiter und die noch verbliebenen Leser schmerzhaft, aber letztlich unumgänglich ist?
Nein, ganz und gar nicht. Da haben vielmehr eine medienpolitisch völlig überforderte Ministerin und ihre Berater (die keine Ahnung von der Zeitungswelt haben) sowie der Koalitionspartner so ziemlich alles falsch gemacht, was falsch zu machen ist.
- Sämtliche gestorbenen Zeitungen (von "täglich Alles" bis zum "Wirtschaftsblatt") haben bei ihrer Einstellung ebenfalls behauptet, dass sie weitererscheinen werden, halt nur in anderer Form, statt in Papier künftig elektronisch. Aber regelmäßig war dann auch die elektronische Ausgabe sehr bald kaputt. Es ist also nur schmerzlich, wenn die Regierung glaubt, dass irgendjemand diesen Schmäh noch ernst nimmt.
- Genauso lächerlich ist all das Gerede von einem Medien-Hub oder einer Journalistenweiterbildungs-Werkstatt, die es dort jetzt geben werde. Das ist absolut reine Steuergeldverschwendung. In Wahrheit gibt es jetzt schon viel zu viele Journalistenausbildungstätten und -Institute, die alle völlig sinnlos sind. Es ist schon tausende Male bewiesen, dass gute Journalistenaspiranten etwas anderes, etwas Wirkliches studiert haben und dann das Handwerk wie ein Lehrling im Betrieb von den älteren Kollegen lernen sollten (einmal vorausgesetzt, sie haben auf der Schule gut Deutsch und gut Rechtschreiben gelernt und sie haben eine gute Allgemeinbildung von der Geschichte bis zu den Grundrechnungsarten).
- Vor einer Einstellung der "Wienerzeitung" hätte unbedingt eine öffentlich intensiv beworbene Feilbietung in Papierform erfolgen müssen. Schließlich war die Zeitung ja in ihrer jetzt so groß vermarkteten Geschichte schon einmal in privaten Händen. Da man für die "Wienerzeitung" wohl kaum Geld bekommen hätte, hätte es eher um folgenden Wettbewerb gehen müssen: Wer sich am längsten rechtlich verbindlich verpflichtet, den Titel in Papierform weitererscheinen zu lassen, bekommt den Zuschlag. Hätte sich da kein Interessent gefunden, hätte sich zumindest der Fokus der allgemeinen Erregung weg von der Regierung hin zur medialen Marktlage verschoben.
- Es hat auch keine Sekunde alternative Angebote oder Vorschläge gegeben, wie man die "Wienerzeitung" geschickt mit anderen Zeitungen fusioniert – etwa als deren Wien-Teil.
- Es hat auch keinerlei Versuche gegeben, jene Stadt in die Pflicht zu nehmen, deren Namen die "Wienerzeitung" schon im Titel trägt. Immerhin gibt es in fast jedem anderen Bundesland große regionale Tageszeitungen, die den jeweiligen Ländern wertvolle regionale Drehscheibe sind. Immerhin ist die Stadt Wien gleichzeitig der größte Unterstützer von Medien, wenn auch auf sehr tiefem Niveau (vom "Falter" bis zum Boulevard).
- Es hat auch keinerlei Versuche gegeben, die gleichzeitig(!) im gleichen(!) Ministerium verkorkste "ORF-Lösung" mit der "Wienerzeitung" in Bezug zu setzen. Wenn man schon allen Österreichern – also noch mehr Menschen als bisher! – viel Geld für einen (angeblich) öffentlich-rechtlichen Rundfunk abknöpft, dann hätte man mit absolut der gleichen Berechtigung und Logik einen Teil dieser "Haushaltsabgabe" der "Wienerzeitung" geben können, die noch viel mehr öffentlich-rechtlich ist. Das heißt nicht, dass die Zwangsabgabe, die künftig jeder zahlen muss, in diesem Fall gerechtfertigt wäre. Aber sie ließe sich dann wenigstens mit einem zusätzlichen Argument besser begründen, wenn man sie schon einführt. Denn jedenfalls ist die "Wienerzeitungs"-Redaktion zehnmal mehr um Objektivität, Seriosität und Ausgewogenheit bemüht als die überwiegend linksradikale ORF-Redaktion.
- Und letztlich hat man auch die sich geradezu aufdrängende Lösung ignoriert, die im Stichwort "Online" liegt: Wenn man schon die "Wienerzeitung" auf Internet umstellen will, wenn beim ORF schon der größte Zankapfel in dessen Internetauftritt (der sogenannten "blauen Seite") besteht, dann wäre es logisch, dass die "Wienerzeitung" künftig komplett diese "blaue Seite" ersetzt, deren größter – wenn auch einziger – Vorteil darin liegt, dass sie möglichst rasch möglichst viele APA-Meldungen an die Öffentlichkeit bringt. Das wäre eine sinnvolle Zukunft für die "Wienerzeitung" (wenn man sie schon in Papier einstellt), denn der rasche Blick auf irgendeine Internet-Seite ist zweifellos eine wichtige Aufgabe, die sich irgendwie als öffentlich-rechtlich rechtfertigen lässt (auch wenn eine gleichzeitige Qualitätsverbesserung der APA und ihre Rückkehr zum alles überstrahlenden Objektivitätsbemühen in jedem Fall dringend wäre). Eine Zusammenlegung der beiden Internet-Seiten wäre für die österreichischen Steuerzahler auch weitaus billiger geworden als das, was die schwarz-grüne Koalition da jetzt zusammengeschustert hat.
Aber so gibt es für ORF wie "Wienerzeitung" nur die schlechteste aller nur möglichen Lösungen. Aber das kommt halt heraus,
- wenn eine Regierung ohne einen einzigen Menschen, der eine Ahnung von der Zeitungswelt hat, zusammen mit sehr agilen ORF-Lobbyisten "Lösungen" für die Medienpolitik bastelt;
- wenn noch dazu die "Wienerzeitungs"-Redaktion, statt vor kreativen Ideen zu sprühen, sich in trotzige Protesthaltung und einen Privatkrieg mit dem hilflosen und weisungsgebundenen Geschäftsführer verstrickt;
- und wenn die Linke schon gar kein Interesse an einer guten Lösung, sondern nur an Polemik gegen die Regierung hat, obwohl der Untergang des Blattes einst genau in der linken Ecke begonnen hat.
Auch wenn man dort heute von Herrn Faymann nichts mehr wissen will …
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