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Natürlich wäre es schön für das Selbstwertgefühl der Europäer, würden sie neben Amerikanern, Russen und Chinesen mit gleichem Gewicht zur vierten Weltmacht. So weit kann man den immer wieder aufpoppenden Emanzipation-Vorstellungen des französischen Präsidenten Macron durchaus folgen. Auch wenn seine jüngsten Aussagen rund um dieses Thema stark den Eindruck machen, dass sie primär der Ablenkung von heimischem Chaos dienen, wo sich die französischen Bürger wieder einmal ihrem Volkssport hingeben und Revolution machen wollen. Auch wenn seine Aussagen verdammt danach klingen, dass er einfach opportunistisch den Chinesen nach dem Munde plappert, um als Lohn ein paar gute Geschäfte für Frankreich einzuheimsen.
Frankreich agitiert zwar schon mehr als ein halbes Jahrhundert für ein eigenständiges Europa – aber ohne, dass Europa dadurch diesem Ziel nähergekommen wäre. Der Verdacht vieler Europäer ist groß, dass es bei diesen regelmäßigen Profilierungsversuchen nur darum geht, der eigenen Nation einzureden, dass sie wirklich noch eine "Grande" wäre. So auch bei seinem jüngsten Versuch, als er ausgerechnet nach ausgiebiger Geschäftemacherei in China lautstark verkündet, Europa müsse dem Druck widerstehen, "Amerikas Gefolgsleute" zu werden.
Das klingt ganz danach, als ob er mit solchen Äußerungen einen vereinbarten Preis für gute Vertragsbedingungen abliefern würde. Wörtlich sagte er: Das "große Risiko" für Europa bestehe demnach darin, "in Krisen verwickelt zu werden, die nicht unsere sind". Und noch deutlicher: "Das Schlimmste wäre zu denken, dass wir Europäer bei diesem Thema Mitläufer sein sollten und uns an den amerikanischen Rhythmus und eine chinesische Überreaktion anpassen sollten." Demnach wäre es eine Falle für die Europäer, zu einem Zeitpunkt der Klärung der eigenen strategischen Position in fremden Krisen gefangen zu sein. Europa drohe dann Vasall der USA oder Chinas zu sein, obwohl man ein dritter Pol sein könne.
Emmanuel Macron bleibt jedoch die Antwort schuldig, was diese Worthülsen anderes sein sollen als Futter für die chinesische Propaganda, die jetzt trompeten kann: "Seht her, selbst die Europäer lassen Taiwan im Stich". Macron verschweigt, was die Europäer denn konkret anders tun würden, würden sie nicht mehr in Allianz mit den USA stehen, würden sie – in seiner Diktion – nicht mehr "Gefolgsleute" der USA, nicht mehr "Mitläufer" sein, nicht mehr angebliche "Vasallen" Chinas und der USA.
Das einzige, was klar ist: Europa müsste als total eigenständige Weltmacht dann viel mehr für seine eigenen Verteidigungskräfte ausgeben. Genau das haben aber gerade die USA – insbesondere, aber nicht nur unter Donald Trump – schon längst immer wieder gefordert. Denn die regelmäßig zum Isolationismus neigenden Amerikaner sind es längst müde geworden, dass sie immer wieder einschreiten müssen, wenn sich die Europäer gegenseitig in die Haare geraten, wie sie es vom ersten Weltkrieg bis zum Kosovo-Krieg getan haben.
Was kann Macron mit seinen seltsamen Wortmeldungen aber sonst meinen?
Gerade die Franzosen sind auch sehr eindringlich zu fragen, ob sie ganz vergessen haben, was das von ihnen millionenfach beschworene Wort "Liberté" eigentlich konkret bedeutet. Soll Freiheit nur den selbsternannten "großen" Nationen zustehen, während die "kleineren" – etwa die Ukraine mit ihren 44 Millionen Menschen – keinen Anspruch darauf haben?
Das klingt für manche vielleicht polemisch, findet freilich in der französischen Geschichte durchaus starke Wurzeln. So sind von der Bretagne über die Basken, Burgund und Korsika bis zum Languedoc sowie Elsass und Lothringen viele Teile Frankreichs in früheren Jahrhunderten keineswegs freiwillig (oder nach Habsburger-Art durch friedliche Fürstenehen) unter die politische, sprachliche und kulturelle Herrschaft von Paris geraten. So hätte Europa sich unglaublich viel an Leid und Konflikten erspart, wenn nach dem ersten Weltkrieg das vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson verfochtene Selbstbestimmungsrecht wirklich realisiert worden wäre, und nicht das revanchistische Diktat des Franzosen Georges Clemenceau.
Aber auch wenn wir von der Gegenwart sprechen, ist eindeutig klar: Der ganz große Teil der Europäer will lieber einen amerikanischen als einen französischen Weg gehen. Das wollen sie ganz besonders in Zeiten, da der Imperialismus anderer Großmächte so bedrohlich weit sein Maul aufgerissen hat, wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
In Hinblick auf die Ukraine waren es im Übrigen die Briten und die Mittelosteuropäer, die lange vor den Amerikanern die Notwendigkeit erkannt haben, dass man der bedrohten Ukraine zur Seite stehen muss. Im Interesse ganz Europas und nicht der USA. Und seit die Russen zu so widerwärtigen Methoden greifen wie der Enthauptung von Ukrainern und der willkürlichen Verhaftung ausländischer Journalisten ist bis auf kleine links- und rechtsextremistische Kreise die Unterstützung für die Partnerschaft mit den USA sogar noch gewachsen.
Auch im Falle Chinas sind es keineswegs nur die bedrohten und um ihre Freiheit bangenden Bürger Taiwans, die heilfroh sind, dass die USA der Insel beizustehen versprochen haben, sondern das sind auch alle anderen Nationen ringsum, von den Thailändern bis zu den Japanern, von den Philippinos bis zu den Indonesiern. Selbst das noch immer nach einem ähnlichen System wie China regierte Vietnam ist intensiv interessiert daran, dass sich die Amerikaner nicht ganz zurückziehen.
Dennoch kann es an sich keine Frage sein: Es ist richtig, dass Europa primär auf seine eigenen Interessen zu achten hat. Aber gerade die gibt es dadurch auf, dass es imperialistischen Aggressoren so deutlich sagt: "Freie Bahn!" Gegen die eigenen Interessen verstößt es jedoch auch gerade derzeit noch auf einem ganz anderen Feld. Nämlich dadurch, dass es in unglaublichem Ausmaß dabei ist, sich selbst freiwillig noch mehr abhängig zu machen – und zwar ausgerechnet von jenem China, in dessen Eingeweide sich Macron liebedienerisch begeben hat. Denn durch die von der EU-Führung militant ausgegebenen Befehle Richtung E-Autos, Richtung Solarpaneele, Richtung Windmühlen macht sich die Union total von China abhängig. Dieses verfügt ja über Beinahe-Monopole gleich bei mehreren Rohstoffen, die man für Batterien&Co benötigt. Dagegen war die Abhängigkeit von Russland beim Gas, die jetzt alle so selbstkritisch beklagen, fast eine Kleinigkeit.
Das ist überdies geradezu absurd, da keine andere Weltregion auch nur annähernd so der Klimareligion verfallen ist wie Europa, da gerade China, an das sich Macron heranmacht, ein großer CO2-Emittent ist. Aber die Klimapanik-Modelle sprechen immer von globalen Wirkungen. Diese Panik geht zwar sicher von den Deutschen aus, aber Frankreich kalkuliert insgeheim, dass Deutschland einmal noch viel mehr von seinen Atomkraftwerken abhängig sein wird, wenn die letzten deutschen Atom-, Gas- und Kohle-Kraftwerke geschlossen haben, wenn kein Auto mehr mit Diesel oder Benzin fahren darf und alles nur noch mit Strom betrieben werden muss. Das alles geht zwar vom Grün-Schwachsinn in allen deutschen Parteien aus. Das nützt aber nur den Franzosen und Chinesen (und überhaupt nicht dem Klima, selbst wenn alle von Potsdam verbreiteten Thesen richtig wären). Und wenn Frankreich will, dann stehen in Deutschland alle Räder still.
Es sind aber nicht nur die Seltsamkeiten der französischen China-Politik, es ist nicht nur Macrons billiger Handels-Opportunismus, die den Traum von "Vereinigten Staaten von Europa" – unter französischer (oder deutsch-französischer?) Führung – substanzlos machen. Dem stehen noch viele andere Realitäten entgegen. Die wichtigsten in Kürze:
Aus all diesen und etlichen anderen Gründen kommt jede nüchterne Analyse zu einem klaren Schluss: Die hehre Idee der Vereinigten Staaten von Europa ist längst schon durch die Realität der EU letal abgetrieben worden. Für viele Generationen bleibt daher nur die Hoffnung, dass wenigstens der Binnenmarkt weiterhin gut funktionieren kann und nicht durch die skizzierten Blödsinnigkeiten ebenfalls umgebracht wird. Wie es nicht zuletzt im Verhältnis zu den Briten leider schon geschehen ist.
PS: Apropos: Das große Ausmaß der Mitschuld der eifersüchtigen Franzosen am Brexit wäre eine eigene ausführliche Analyse wert.