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Eine gründliche Aufarbeitung aller Fehler, die bei den Reaktionen auf die Corona-Epidemie begangen worden sind, täte not. Das betrifft viele sich als nicht immer sinnvoll erwiesenen Aktionen der Regierung, das betrifft die oft problematischen Ratschläge der Wissenschaft, das betrifft aber auch die Aktionen anderer Akteure, wie etwa der Medien und der Opposition. Eine solche Aufarbeitung kann aber ganz sicher nicht durch einen parlamentarischen Ausschuss gelingen. Denn dieses Instrument hat sich als völlig unbrauchbar erwiesen, weil es regelmäßig von ein paar Hinterbänklern zur Selbstprofilierung und zum Hetztribunal missbraucht werden, aber fast nie zu sinnvoller Aufklärung führen kann. Die Aufarbeitung kann aber auch nicht durch Experten erfolgen, die auf Regierungsseite aktiv gewesen sind.
Diese Aufarbeitung mit der Hoffnung auf sinnvolle Ergebnisse kann eigentlich nur durch eine völlig freie und vertraulich arbeitende Kommission geschehen, die regierungsunabhängig vertraulich Zugang zu allen Informationen bekommt. Dazu müsste wahrscheinlich eine gesetzliche Plattform ermöglicht werden, die etwa (pensionierten?) Richtern und bisher nicht involvierten (zum Teil ausländischen?) Experten die Garantie geben muss, ein paar Monate unabhängig und vertraulich arbeiten zu können, um konkret – von Regierung wie Opposition – gestellte Fragen zu beantworten. Ihnen müsste die Möglichkeit gegeben werden, mit den gleichen Rechten wie ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss arbeiten zu können, sodass sie Zugriff auf alle Dokumente bekommen, sodass alle Zeugen auch wirklich aussagen müssen, aber ohne die widerliche Behandlung durch Parlamentarier zu erfahren, die sich nur als parteipolitische Kettenhunde verstehen.
Dennoch werden wir allzu oft an der Unmöglichkeit scheitern, Unvergleichbares zu vergleichen: Wie setzt man etwa die Wahrscheinlichkeit, dass es tausend Tote mehr gibt, zu den pädagogischen Schäden durch zwei Wochen ausgefallenen Schulunterrichts und zur Wahrscheinlichkeit von zwei Milliarden Euro Verlust für das Wirtschaftsprodukt in Relation – oder gar zum Verlust an Lebensqualität, weil man nicht in Theater, Kinos, Konzerte, Fußballspiele und Restaurants gehen kann, weil man nicht Freunde oder Verwandtschaft treffen kann? Und haben die zuletzt genannten scheinbar weniger wichtigen Beispiele der Lebensqualität nicht auch sehr viel mit Gesundheit zu tun, sind also keineswegs nur eine unbedeutende Randerscheinung, sondern wichtiges Lebens-Mittel?
Dabei sollte es eigentlich primär nur darum gehen, für die Zukunft zu lernen, und erst in zweiter Linie um eine Fehlerauflistung: Kann man Pandemien bekämpfen, ohne unbedingt lange ein ganzes Land mit irren Kosten – sowohl finanziellen wie auch menschlichen – lahmzulegen und so vielleicht noch größere Schäden auszlösen ? Was an Aktionen war vermeidbar? Was war vielleicht zu zaghaft? Wie kann man konträre Verlangen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen gegeneinander abwägen, die an sich beide ihre Berechtigung haben?
Die üblichen Klugscheißer wissen nachher natürlich immer alles besser. Aber in Wahrheit hat man vor allem in den Anfangsphasen der Pandemie seriöserweise keine Ahnung haben können, wie schwer diese verlaufen wird. Wird sie einer katastrophalen Pest- oder Ebola-Pandemie gleichen, die ganze Landstriche schwer dezimiert, zu deren Bekämpfung wirklich sehr strenge Maßnahmen legitim wären? Oder wird sie eher einer Grippewelle gleichen? Wobei man freilich nicht ignorieren darf, dass auch eine solche viele Todesopfer fordern kann, und ebenso nicht, dass die Corona-Pandemie am Schluss wirklich in die Gefährlichkeitsklasse einer Grippe-Pandemie mutiert ist, was sie aber eineinhalb Jahre nicht gewesen ist.
Letztlich geht es um die philosophisch-ethische Erkenntnis, dass Leben immer mit Gefahren verbunden ist, dass zum Leben immer wieder gehört, bewusst den Tod zu riskieren, dass die Illusion eines total sicheren Lebens, also eines Lebens, das von Anfang bis Ende in sterile Watte gehüllt ist, alles andere als lebenswert ist.
Eines wird eine solche sinnvolle Aufarbeitung aber nicht sein können: nur eine Befassung mit Verwaltungshandeln. Daher ist der Vorschlag eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses absurd, der ja nur das untersuchen darf. Doppelt absurd ist es, angesichts der Erfahrungen mit den letzten Ausschüssen, sich durch dieses Instrument noch jemals eine seriöse Aufarbeitung kritischer Fragen zu erwarten. Solche Ausschüsse sind nur noch ein Tribunal mit beweisfreien Denunziationen und alle Grenzen sittlicher Anständigkeit verletzenden Zeugen-Demütigungen geworden.
So haben etwa ganz sicher auch die Medien eine wichtige und problematische Akteursrolle gespielt, die eindeutig kritisch aufzuarbeiten ist, ist doch nach einer Umfrage aus Deutschland, wo die Dinge ähnlich gelaufen sind, das Ansehen der Medien bei nicht weniger als 40 Prozent während der Corona-Krise gesunken:
Ganz sicher sollte aber auch das Verhalten der Opposition und anderer politischen Instanzen von so einer richterlichen Kommission untersucht werden. Nur damit kann verhindert werden – so wie es jetzt den Gerichten in Sachen Ischgl gelungen ist –, dass wütende Medienattacken für Wahrheit gehalten werden oder gar über Schuld und Unschuld entscheiden.
Ganz zweifellos muss eine solche Kommission daher etwa auch die öffentlichen Aussagen des Herbert Kickl untersuchen:
Offenbar im Wissen um diesen wunden Punkt der FPÖ-Argumentation wird in FPÖ-nahen Medien bis heute immer wieder die Behauptung von der Unwirksamkeit oder gar massiven Schädlichkeit der Corona-Impfungen getrommelt. Bisweilen nennen sie dafür sogar eine wissenschaftliche Quelle. Schaut man jedoch diese Quellen nach (womit man bei der FPÖ offenbar nicht rechnet), dann sind sie sehr oft nicht wissenschaftlich oder sie bestätigen das Gegenteil der FPÖ-Behauptungen: Die Impfungen haben die Wahrscheinlichkeit schwerer oder tödlicher Verläufe dramatisch gesenkt.
Auf der anderen Seite der Opposition muss man auch Pamela Rendi-Wagner und die Wiener Stadtpolitik fragen, ob sie nicht völlig einseitig die rein medizinische Dimension der Pandemie-Bekämpfung gesehen haben, um durch Angstmacherei zu punkten. Was genauso verantwortungslos gewesen sein dürfte.
Aber natürlich ganz besonders kritisch ist immer das Verhalten des Staates selbst zu untersuchen.
Dabei geht es etwa um die mehrfache Aussage von Sebastian Kurz, alle Schäden der Pandemie-Bekämpfung ersetzen zu wollen, "koste es, was es wolle". War die Strategie, flächendeckend Unternehmen für Umsatzausfälle zu entschädigen, nicht eine grob fahrlässige Anmaßung? Ethisch wäre eine solche Behauptung eigentlich nur dann zulässig gewesen, hätte Kurz persönlich die Mittel zur Erfüllung des "Koste es, was es wolle" gehabt.
Hat nicht Finanzminister Brunner mit seiner heutigen, kaum getarnten, wenn auch reichlich späten Kritik an Kurz recht, dass man "in Krisen" oft "ein bisschen Millionen mit Milliarden verwechselt" habe? Denn – was auch die SPÖ mit ihren täglichen Forderungen nach immer noch mehr Geld für irgendwelche Wohlfahrtszwecke wissen sollte – jedes leichtfertig ausgegebene öffentliche Geld fehlt dann für oft viel wichtigere Zwecke. Etwa für die Behandlung anderer Krankheiten, etwa für die Verbesserung der Bildung, etwa dafür, dass wir ausreichend qualitätsvolle Ärzte, Lehrer, Richter, Verwaltungsbeamte, Polizisten, Soldaten, Forscher, Ingenieure haben, etwa für die Förderung von österreichischen Familien zur Verhinderung des Aussterbens der Republik.
Denn – was die Politik gerne vergisst – jedes Defizit in einem dieser Bereiche kann für die Nation viel letaler sein, als wenn während der Corona-Maßnahmen brustschwache Betriebe pleite gegangen wären, als wenn gut verdienende Unternehmen in den Krisenjahren nicht einen keineswegs lebenswichtigen Bonus bekommen hätten.
Hat die Regierung nicht auch eindeutig in ihrer Werbung für die Impfungen wider besseres Wissen gehandelt? Denn lange wurde der Eindruck erweckt, dass auch die Corona-Impfung so wie andere Impfungen vor Ansteckung schütze. Das hat man am Anfang glauben wollen und können, das hat sich aber im Laufe der Monate als unrichtig erwiesen. Hat sich die Regierung nicht viel zu spät auf die richtige Linie zurückgezogen, dass die Impfungen nicht im wörtlichen Sinn "sicher" seien? Dass sie nicht den erhofften Ansteckungsschutz, sondern nur eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Verhinderung schwerer oder tödlicher Verläufe gebracht hat? Hat man nicht – vielleicht auch im gutgläubigen Vertrauen auf die Mehrheit der Experten, aber auch das wäre aufzuarbeiten – zu lange verschwiegen, dass es in wenigen Fällen auch zu Impfschäden kommen kann?
Wenn jetzt etwa der deutsche Gesundheitsminister Lauterbach plötzlich sagt, dass ein Geimpfter im Verhältnis eins zu zehntausend einen Impfschaden erlitten hat, dann widerspricht das schlicht der von vielen Regierungen immer wieder gemachten Behauptung, dass Impfungen sicher seien.
Durch solche übertriebenen Aussagen haben die Regierungen deutlich an Glaubwürdigkeit verloren, auch wenn eine differenzierte, aber wahrheitsgemäße Argumentation viel schwieriger ist, die immer nur die Wahrscheinlichkeiten des Eintretens unangenehmer Folgen vergleichen könnte. Aber freilich: Die meisten Menschen und Politiker begreifen den mathematischen Begriff Wahrscheinlichkeit gar nicht und die Tatsache, dass es für Entscheidungen im Leben fast nie hundert Prozent Eindeutigkeit gibt. Das sieht man etwa an Behauptungen, wie "Ich kann ruhig weiterrauchen, denn es gibt ja auch Hundertjährige, die immer geraucht haben" ...
Tatsache ist, dass die Wahrscheinlichkeit von Impfschäden (die nur in den seltensten Fällen Todesfolgen bedeuten) deutlich geringer ist als etwa die Zahl der Verkehrstoten in fast jedem einzelnen der letzten 70 Nachkriegsjahre (zuletzt hat es allerdings durch mehrere Faktoren wie die technischen Verbesserungen der Fahrzeuge eine deutliche Reduktion der Todeszahlen gegeben).
Tatsache ist, dass bei fast jedem halbwegs wirksamen, also nicht bloß homöopathischen Medikament im Beipackzettel Wahrscheinlichkeiten für sehr unangenehme Schadwirkungen aufgelistet sind, die oft weit höher sind als die Wahrscheinlichkeit eines echten Impfschadens. Trotzdem nehmen fast alle Patienten diese Medikamente – auch jene, die über die Corona-Impfungen nur per "Giftspritzen" schimpfen.
Auch juristisch bleibt Vieles am Verhalten der Regierung aufzuarbeiten. War das Chaos an rasch wechselnden, unklaren und verwirrenden Verordnungen nicht ein Zeichen von Unfähigkeit – oder von überflüssigem politischem Aktionismus? Und noch viel gravierender war der Eingriff von Politik und Ärztekammer in die Meinungsfreiheit, der mit zensurartigen Maßnahmen auch ernsthafte wissenschaftliche Diskussionen unterbunden und sie wie wilde Verschwörungstheorien behandelt hat. Da haben auch Verfassungsgericht & Co nicht geschützt.
Bei allen ehrlichen Analysen wird immer davon auszugehen sein, dass man halt nachher viel gescheiter ist, als man mitten im Strudel der Ereignisse gewesen ist. Selten ist uns so deutlich vermittelt worden, dass auch seriöse Wissenschaft kein Evangelium ist, sondern ein oft wüster Streit an Meinungen, Einschätzungen, Erkenntnissen, Sichtweisen – aber auch an Eitelkeiten. Letztlich ist die Regierung ziemlich genau dem Ratschlag der Ärztekammer gefolgt, etwa auch bei den diversen Anläufen zu einer Impfpflicht. Die Ärztekammer hat sicher nach bestem Wissen und Gewissen agiert - ist aber genauso fehlbar wie jeder einzelne Wissenschafter, und sie hat vor allem in keiner Weise eine gesamtgesellschaftliche Perspektive, wie sie ein Regierung haben sollte. So schwer das auch ist. Und die Abwahl des SPÖ-nahen Ärztekammer-Präsidenten zeugt auch davon, dass selbst unter den Ärzten dieser Kurs keineswegs einhellige Begeisterung hervorgerufen hat.
All diese Hinweise heißen aber ganz und gar nicht, dass Österreich (oder die vielen anderen ähnlich agierenden Länder) versagt hätten. Das sehen auch die meisten Österreicher so: 72 Prozent sagen, die Gesellschaft habe die Corona-Krise gut bewältigt, Allerdings sagen 25 Prozent – also ziemlich genau das politische Potential von FPÖ und einigen Splittergruppierungen – hingegen das absolute Gegenteil: Sie habe "komplett versagt". Das bestätigt freilich auch eine tiefe Spaltung der Gesellschaft, die nur mit genau dem hier skizzierten Vorgehen überwunden werden kann.
In der Aufarbeitung muss es aber insbesondere auch um Erkenntnisse für die Zukunft gehen, für eine bessere Aufstellung des Gesundheitssystems (siehe die seit vielen Wochen anhaltenden Medikamentenengpässe, die wahrscheinlich schlimmere Folgen haben als alle Impfschäden zusammen). Und um die Grundfrage, ob man wirklich der durch ihre China-Freundlichkeit diskreditierten Weltgesundheitsorganisation WHO Eingriffsrechte in die nationale Seuchenpolitik geben soll, aber auch ob nicht ein verbindlicheres Zusammenwirken in der EU sinnvoll wäre.
Ob das alles jemals aufzuarbeiten gelingt? Manche glauben ja, dass es jetzt überhaupt besser wäre, die Dinge langsam in den Schoß der Geschichte zurücksinken zu lassen. Das würde jedoch wohl dazu führen, dass immer wieder, auch nach hundert Jahren, Streit auflodern kann. Andererseits zeigen die Erfolge der FPÖ, dass man auch mit mancher Unseriositäten politisch punkten kann, weshalb ein Konsens unerreichbar scheint.
Denken Sie etwa an die österreichischen Fragen an die Zeitgeschichte: Wer ist am Justizpalastbrand schuld? Wer hat den ersten Weltkrieg ausgelöst? Wieweit sind die Pariser Vororteverträge am zweiten Weltkrieg mitschuld? Warum haben sich die Sozialdemokraten nicht 1938 an die Seite der Regierung gegen Hitler gestellt?
Über all das wird man noch in hundert Jahren streiten. Genauso wie auch über die gesamte Corona-Krise, wenn man nicht bald eine Formel für eine zeitnahe Aufarbeitung aller Fehler findet.